Osttexas zur Zeit der Großen Depression. An dem Nachmittag, an dem es Frösche, Flussbarsche und Elritzen regnete und ein Sturm über Camp Rapture hinwegzog, ersticht Sunset ihren Ehemann. Sie hatte es satt, ständig von ihm verprügelt und vergewaltigt zu werden. Als er wieder einmal über sie herfiel, hat sie ihn – Deputy Pete – mit seiner Dienstpistole erschossen. Erstaunlicherweise zeigt Sunsets Schwiegermutter Marilyn Verständnis für sie und schickt ihren prügelnden Ehemann selbst in die Wüste. Doch nicht nur das: Nun braucht Camp Rapture einen neuen Deputy und Sägewerksbesitzerin Marylin verwendet ihren ganzen Einfluss als größte Arbeitgeberin der Region, um Sunset zur Nachfolgerin zu machen. Mit dem verwahrlosten Clyde und dem gerade erst in Camp Rapture angekommenen Hillbilly als Gehilfen nimmt Sunset die Arbeit auf – und ist schon bald in einen Mordfall verwickelt, in dem sie selbst zur Hauptverdächtigen avanciert.
In seinem Roman „Kahlschlag“ setzt sich Joe R. Lansdale wie so oft in seinen Büchern mit den Themen Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Armut auseinander. Mit lakonischer Sprache erzählt er von der Gefahr, die Männer in Frauen sehen, die an ihren eingefahrenen Geschlechtsbildern rütteln, und in Afroamerikanern, die erfolgreich und intelligent sind. In einer einzigen Szene gleich zu Beginn macht er diese Stimmung deutlich: Nachdem Sunset benommen von der Tat und dem Sturm wieder zu sich kommt, bittet sie den Schwarzen Uncle Riley, sie zu ihrer Schwiegermutter zu bringen. Er hat Angst, dass er gelyncht wird, wenn die weißen Leute die halbnackte Sunset neben ihm sehen. Als Sunset dann noch den Revolver bei ihm lassen will, sagt er nur: „Die weißen Leute finden seine Leiche, dann sehn sie mich, und schon ist ein Nigger fällig. Wenn die dem Mr. Pete seine Waffe in meinen Wagen sehn, wo er doch Constable war, dann knüpfen die den Jungen und mich schneller auf, als wie wenn einer sagt: Schnappen wir uns den Nigger“.
Auf den ersten Seiten wird somit die Atmosphäre deutlich, in der die Geschichte spielt. Außerdem zeigt bereits die Sprache von Uncle Riley, welchen Wert Joe R. Lansdale auf authentische Dialoge legt, die im englischen Original noch deutlicher werden, aber auch in der Übersetzung von Katrin Mrugalla gut übertragen wurden. Nichts wirkt lächerlich oder fremd, sondern alles fügt sich in die Geschichte ein. Bei Lansdale werden die Charaktere zudem in den Plot eingearbeitet und haben im Beziehungsgeflecht eine Bedeutung. Dabei treten skurrile Charaktere wie ein nur mit einer Küchenschürze bekleideter Killer auf (bekannt aus „Sturmwarnung“), die aber niemals zur bloßen Karikatur werden, sondern noch in ihrer Erbarmungslosigkeit menschlich sind. Sie folgen ihrem moralischen Kompass, der sich aus den Erfahrungen ihres bisherigen Lebens entwickelt hat. Deshalb gibt es bei Lansdale keine selbstgerechten oder edelmütigen Helden, niemand ist aufopferungsvoller als es plausibel ist. Selbst Sunset ist so hartnäckig und mutig, weil sie ihren Job ernst nimmt – und nicht aus altruistischen Motiven. Das allein ist schon eine schriftstellerische Handwerkskunst, die nicht jeder Autor beherrscht.
Im Kern des Plots greift „Kahlschlag“ auf das bekannte Westernmotiv von einer Gruppe Aufrechter zurück, die in der Stadt aufräumen wollen. So nimmt sich Sunset mit der Unterstützung ihrer Schwiegermutter und Clive den Stadtoberen an, die vor allem in ihre eigene Tasche wirtschaften. Daneben gibt es Krimi-Elemente und schlussendlich sogar eine große Katharsis. Es ist bemerkenswert, welche Wendungen die Geschichte nimmt und den Leser in ein Wechselbad der Gefühle schickt, um schließlich in einem Showdown zu münden, den man so schnell nicht vergessen wird.
„Kahlschlag“ ist einer der besten Romane von Joe R. Lansdale, der spannende und witzige Unterhaltung bietet und außerdem ein Bild von Osttexas in den 1930er Jahren vermittelt – einem Ort und einer Zeit, in die LAnsdale immer wieder zurückkehrt.
Joe R. Lansdale: Kahlschlag. Übersetzt von Katrin Mrugella. Golkonda 2010.
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