Ein Jahr ist seit dem Tod von Donald Delpe, der großartigen Hauptfigur aus Anthony McCartens Roman „Superhero“, vergangen. Und dieses Jahr ist für die Familie Delpe nicht gut gelaufen: Mutter Renata vergräbt sich in ihrer Trauer und wirft ihrem Mann stumm seine vermeintliche Verantwortungslosigkeit vor. Sie kann ihren Sohn Donald nicht loslassen und pflegt sogar weiterhin seinen Facebook-Account. Hilfe verspricht sie sich von einem Chat im Internet, in dem sie mit einem Vertreter Gottes spricht. Vater Jim will sich seiner eigenen Trauer nicht stellen, sondern vergräbt sich in seiner Arbeit und ist überzeugt, dass seiner Familie nur ein Neuanfang in einem Haus auf dem Land helfen würde. Und Donalds Bruder Jeff hat es mittlerweile aufgegeben, seinen Eltern in ihrer Trauer zu helfen. Er hat sich in die Welt des Online-Rollenspiels „Life of Lore“ zurückgezogen, in der er sich frei entfalten kann. Nachdem seine Mutter aber ein weiteres Mal Kontrolle mit Fürsorge verwechselt, zieht Jeff die Konsequenzen und haut ab. Daraufhin versinkt Renata tiefer in ihre Depressionen und stellt aberwitzige Bemühungen an, ihren Sohn zu finden. Jim beschließt hingegen, dass er die Welt von „Life of Lore“ kennenlernen muss. Denn dort – so ist er überzeugt – wird er seinen Sohn finden. Also macht er sich mit der Hilfe eines Computer-Experten auf den Weg in die virtuelle Welt.
In seinem Buch „Ganz normale Helden“ beschreibt Anthony McCarten verschiedene Wege des Trauerns und des Umgangs mit einem schweren Verlust. Dabei enthält er sich eines Urteils, sondern schildert die Verlorenheit der Delpes, die sie seit Donalds Tod fühlen. Insbesondere die Vater-Sohn-Beziehung von Jim und Jeff hat in dem letzten Jahr Schaden genommen. Und nun erkennt Jim, dass er kurz davor steht, seinen zweiten Sohn endgültig zu verlieren. Endlich beginnt er, Interesse für Jeffs Leben zu zeigen. Doch anstatt den direkten und ehrlichen Kontakt zu suchen, steigt er unter einem Pseudonym in dessen Online-Welt ein – und damit eröffnet Anthony McCarten das zweite Thema seines Romans: Die Verführungskraft eines Online-Rollenspiels. Dabei gelingt es ihm anfangs, den Spaß und die Faszinationen solcher Spiele zu beschreiben, aber letztlich bleibt auch bei Anthony McCarten die Online-Welt ein Tummelplatz für Selbstdarsteller und Verrückte.
Da die Trauer der Delpes zusehends von der Sorge um Jeff und Jims Eintauchen in die virtuelle Welt überlagt wird, gibt es in „Ganz normale Helden“ viele Ausführungen zu Online-Spielen, Computer-Abkürzungen und wiedergegebene Chats. Immer wieder taucht McCarten in das Spiel ein. Doch im Gegensatz zu dem lesenswerten Vorgänger „Superhero“ stimmt in „Ganz normale Helden“ die stilistische Mischung nicht, sondern wirkt oftmals aufgesetzt und gewollt. Als das Spiel zudem zunehmend Katalysator für Jeffs Suche nach seiner (sexuellen) Identität wird und Jim zusehends unter Realitätsverlust leidet, mehren sich die Klischees. Vor allem aber nimmt dieser Aspekt des Romans zu viel Raum ein – und wird in einer ausufernden Detailfülle geschildert.
„Ganz normale Helden“ ist als Fortsetzung zu „Superhero“ weniger interessant als der erste Teil und lässt sich auch unabhängig von ihm lesen. Insgesamt vermag das Buch zu unterhalten, aber ausufernde Beschreibungen, unnötige Volten und Nebenhandlungen ziehen die Lektüre doch sehr in die Länge.
Anthony McCarten: Ganz normale Helden. Übersetzt von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié. Diogenes 2012.