Vor diesem Buch habe ich fast ein wenig gefürchtet. Dafür haben Klappen- und Pressetext gesorgt, noch dazu habe ich – obwohl ich mich durchaus als hartgesotten bezeichnen würde – immer etwas Probleme mit Folterszenen. Doch als ich Helen FitzGeralds „Die dunkle Treppe“ einmal angefangen hatte, konnte ich das Buch nicht mehr zur Seite legen. Wortwörtlich: Ich habe dieses Buch in einem Rutsch durchgelesen und habe mich willentlich bei einer Verabredung verspätet, weil ich es unbedingt fertig lesen wollte. Deshalb werde ich auch nicht allzu viel über den Inhalt verraten, obwohl er teilweise auf dem Klappentext und auch anderen Besprechungen nachzulesen ist. Doch nach meiner Einschätzung ist „Die dunkle Treppe“ ein Buch, über das man vorab so wenig wie möglich wissen sollte.
Aber der Reihe nach: Die 18-jährige Bronny wird bald durch einen Bluttest erfahren, ob sie – wie ihre bereits verstorbene Mutter – an Huntington erkrankt ist und sterben wird. Seit ihr Schwester vier Jahre zuvor diesen Test machte und erfuhr, dass sie die Krankheit nicht geebrt hatte, war Bronniy überzeugt, dass ihre Chancen schlechter stünden. Deshalb hat sie die letzten vier Jahre – ihre Teenagerzeit – in einer „Finsternis“ verbracht, „die sich langsam über mich senkte. Die unerbittlich in mich einsickerte.“ Sie hat in diesen vier Jahren viel verpasst: Sie ist niemals Achterbahn gefahren, hat keinen Jungen geküsst und ihre Unschuld nicht verloren. Sie war „so gut wie tot“. Deshalb lässt sie sich zu einem folgenreichen Entschluss hinreißen: Bevor sie das Ergebnis erhält, will sie wirklich leben. Spontan reist sie mit wenig Geld von Australien nach London und stürzt sich dort mit einer Hostel-Clique in einen Feiermarathon voller Drogen, Alkohol und – ihr größtes Ziel – Sex. Bald besetzt sie mit ihrer Clique ein Haus. Und dort wird es unheimlich: Aus dem Keller vernimmt sie Geräusche. Doch sie weiß nicht, ob sie durch die Drogen Halluzinationen hat – oder dort unten tatsächlich jemand ist.
Helen FitzGeralds Bücher zeichnet zumeist die Verbindung von psychologischer Komplexität und dunklem Humor aus. Auch „Die dunkle Treppe“ ist eine eigene Mischung aus Jugendroman und düsterer Thriller. Das ist vor allem durch den Wechsel der Erzählstimmen begründet. Teile des Buchs sind personal aus Sicht der 18-jährigen Bronny erzählt, die aufgrund ihrer mangelnden Erfahrungen oftmals sehr naiv ist. Sie reflektiert wenig, stattdessen erinnern diese Passagen an das Tagebuch eines Teenagers. Dadurch werden die jungen Männer in ihrem Leben allzu einfach auf einen Typ reduziert – und hier ist schnell klar, wer auf jeden Fall der Gute sein muss. Daneben gibt es eine auktoriale Erzählstimme, die dem Roman mehr Tempo verleiht – und schließlich kommen weitere Erzähler zu Wort, die die Spannungskurve weiter hochschrauben. Daher trägt dieser Wechsel an Perspektiven sehr dazu bei, dass „Die dunkle Treppe“ so unterhaltsam und spannend ist – wenngleich die Teile unterschiedlich gelungen sind. Darüber hinaus entsteht dadurch beim Lesen ein Sog, der mitunter in dunkelste Abgründe führt. Hier schafft Helen FitzGerald eine neuartige Mischung, sie spart nicht mit brutalen Details und galligem Humor. Dadurch ist „Die dunkle Treppe“ eine bestechende Verbindung von Coming-of-Age-Geschichte und hartem Thriller – ein Schmöker im besten Sinn!
Helen FitzGerald: Die dunkle Treppe. Übersetzt von Steffen Jacobs. Galiani 2012.