Der plötzliche Tod seines Vaters stellt Christoffer (Ulrich Thomsen, „Das Fest“) vor ein lebensentscheidendes Dilemma: Soll er dem Wunsch seiner Mutter folgen und sein bisheriges, äußerst glückliches Leben in Stockholm zurücklassen, um das familieneigene Stahlunternehmen durch eine Fusion zu retten, obwohl er weiß, welche Belastung es für ihn ist? Oder soll er auf seine Ehefrau Maria (Lisa Werlinder) hören und mit ihr in Stockholm bleiben, obwohl er weiß, dass seine Familie ihm das kaum verzeihen wird?
Scheitern einer Ehe
Bei dieser Entscheidung gibt es kein richtig oder falsch, sondern sie muss schlichtweg getroffen werden. Also bleibt Christoffer in Dänemark und übernimmt die Leitung des Unternehmens. Anfangs sträubt sich Maria gegen diesen Entschluss, dann geht sie mit ihm nach Kopenhagen und verzichtet auf einen Vertrag am Stockholmer Theater. Zwei Jahre soll die Fusion dauern, danach wollen sie in ihr altes Leben zurückkehren. Aber bereits diese zwei Jahre stellen die Ehe auf eine harte Probe: Christoffer verschließt sich zunehmend, er will seine Arbeit von seiner Ehe trennen und schließt Maria auf diese Weise von seinem Leben aus. Maria verlangt immer wieder von ihm, dass er sie mit einbeziehen soll, indem er mit ihr redet. Doch er versagt es ihr. Sie distanzieren sich voneinander – sehr deutlich in den Bildern ihrer Beziehung zu sehen. Anfangs betonten diese ihre körperliche Nähe, beständig küssten sie sich, fassten sich an. Je länger sie in Kopenhagen sind, desto weniger finden Berührungen statt – und falls doch, sind sie flüchtig und wirken fast einstudiert. Es ist ein langsames Scheitern der Ehe und ihrer großen Liebe, das keineswegs notwendig, aber fast schon zwangsläufig erscheint – und es ist äußerst schmerzhaft, ihm zuzusehen.
Christoffers Wandel vollzieht sich vor den Augen des Zuschauers. Er hat sich für ein kapitalistisches Leben entschieden, das allein dem Unternehmen gewidmet und in diesem Fall mit Familie gleichzusetzen ist. Harte Entscheidungen und unternehmerische Realitäten haben einen Preis: Isolation tritt an die Stelle seiner früheren Lebenslust. Sehr deutlich wird seine Distanzierung im Bild gezeigt, oft schaut er durch Fensterscheiben oder sitzt hinter ihnen. Höhepunkt ist hier eine Villa in Südfrankreich, die in ihrer Größe, Abgelegenheit und Dekadenz sein Leben versinnbildlicht. Von Ulrich Thomson unauffällig, aber umso eindringlicher gespielt, begleitet der Zuschauer Christoffer bei dieser Wandlung.
Das Leben in der Oberschicht
„Das Erbe“ ist der zweite Teil einer Trilogie über die dänische Gesellschaft und widmet sich der Oberschicht. Dabei spürt Per Fly den Auswirkungen eines Aufwachsens in einer seit Generationen wohlhabenden Industriellenfamilien nach. Mehrfach betont Christoffers Mutter, dass er zum Führen geboren sei – er habe das Talent, das beispielsweise seiner Schwester oder deren Mann fehlte. Ohne dass es filmisch erzählt wird, ist allein durch das Verhalten der Mutter die Erziehung zu erahnen, die Christoffer hatte – und die ihn genau auf diese Rolle und das zugehörige Pflichtbewusstsein vorbereitet hat. Wenn dann eine Totale die 900 Arbeiter erfasst, für die Christoffer die Verantwortung übernehmen soll, ist fast zu spüren, wie viel Last, aber auch Verpflichtung diese Aufgabe mit sich bringt – und dass er nicht anders kann, als seine Rolle anzunehmen und auszufüllen.
Dass dieses Leben trotz aller Rituale wie Familienessen, Jagdausflüge und Small Talk nicht karikiert wird, verdankt sich vor allem der Erzählperspektive: Per Fly blickt durch die Perspektiven seiner Figuren auf dieses Leben, so dass ihre Entscheidungen nachzuvollziehen sind. Deshalb muss man die Figuren nicht mögen, aber man bringt Verständnis für sie auf. Sie führen ein Leben, in dem Oberflächlichkeiten ausgetauscht werden, Vertrautheit oder Wärme gibt es indes nicht. Stattdessen wird Illoyalität gegenüber dem Unternehmen hart bestraft und langjährige Mitarbeiter ohne Reue entlassen. Eine Frau wie Maria hat in dieser Welt keinen Platz, sie ist zu lebenslustig und lebendig. Abermals zeigt sich hier die eindrucksvolle Bildsprache von Harald Gunnar Palgaard und Per Fly: Maria sind die warmen Farben zugeordnet, die anfangs auch Christoffer umfassen. Im Verlauf des Films werden sie zugunsten der von Blautönen dominierten Farbgebung stärker in den Hintergrund gedrängt. Bemerkenswerterweise wird jedoch lediglich die Bildsprache des Dramas immer kälter – seine emotionale Stärke bleibt indes ungebrochen.
„Das Erbe“ ist ein Film, der sich vollends auf die psychologische Entwicklung seiner Hauptfigur konzentriert und sich bei deren Darstellung nicht allein auf den Schauspieler verlässt, sondern mit der Bildsprache nuanciert herausarbeitet. Und das allein macht Per Flys Drama sehenswert!
Pingback: Filmforum Bremen » Das Bloggen der Anderen (02-12-13)