Regina Nössler ist eine Autorin, die in der deutschsprachigen Krimi-Landschaft viel zu wenig bekannt ist – obwohl sie nach „Schleierwolken“ mit „Die Putzhilfe“ wieder einen hervorragenden Kriminalroman geschrieben hat, in dem sie gekonnt mit der identifikatorischen Lesart spielt.
Niemand darf wissen, wohin sie flieht: An einem Tag im November verlässt Franziska Oswald ihr Leben in einem kleinen Ort. Sie wirkt aufgelöst, gehetzt, geht aber dennoch planvoll vor und setzt sich schließlich in den ersten Fernzug, der kommt. So landet sie in Berlin. Statt in einem gediegenen Haus wohnt sie fortan in einer dunklen Hinterhofwohnung in Neukölln, statt als Soziologin an der Universität arbeitet sie bald als Putzhilfe bei der resoluten Henny Mangold in Dahlem, die sie zufällig im Museum kennengelernt hat. Ständig ist sie besorgt, dass ihr jemand auf der Spur sein könnte, insbesondere ihr Ehemann Johannes. Dabei übersieht sie, dass die Teenagerin Sina sie ins Visier genommen hat. Franziska wirkt einfach wie ein sehr leichtes Opfer und Sina ist gerade langweilig.
Einsamkeit scheint die drei zentralen Figuren in „Die Putzhilfe“ anfangs zu verbinden, gerade Franziska leidet unter der Größe und dem Schmutz Berlins. Schnell glaubt man beimLesen zu wissen, worauf hier alles hinauslaufen muss. Aber dann stellen sich leise Zweifell ein, nicht alles scheint zu passen, es gibt Widerhaken, vor allem aber Leerstellen, die keinesfalls zufälloig sind. Denn entscheidend ist in diesem Roman, was nicht erzählt wird. Dadurch verändert sich das Bild, das man von den Figuren hat – bis am Ende alles anders ist als am Anfang.
Regina Nössler spielt sehr geschickt mit Wahrnehmungsmustern und Vorurteilen – auf Seiten ihrer vielschichtigen Figuren und ihrer Leser*innen. Perfider und raffinierter wurde ich schon lange nicht mehr mit meinen vorschnellen Urteilen konfrontiert.
Regina Nössler: Die Putzhilfe. Konkursbuch 2019. 12, 90 Euro.
Dieser Text erschien leicht verändert zuerst in dem Magazin BÜCHER 06/2019.
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