Jacob Peterson (Mads Mikkelsen, „Jagten“) ) leitet ein Waisenhaus in Indien, das kurz vor der Schließung stellt. Aus seiner Heimat Dänemark winkt ihm finanzielle Unterstützung, allerdings verlangt der reiche Jørgen (Rolf Lassgård), dass Jacob selbst nach Dänemark kommt, um den Scheck entgegenzunehmen. Widerwillig reist Jacob nach Kopenhagen, verspricht aber vorher seinem Ziehsohn Pramod (Neeral Mulchandani), dass er rechtzeitig zu seinem Geburtstag wieder zurück ist. In Dänemark erfährt er dann, dass sein Projekt lediglich in der engeren Auswahl für finanzielle Förderung ist und Jørgen mit der Entscheidung noch warten will. Da Jacob alleine in Kopenhagen ist, lädt ihn Jørgen zu der Hochzeit seiner Tochter Anna (Stine Fischer Christensen) ein. Dort begegnet Jacob nicht nur seiner ersten große Liebe Helen (Sidse Babett Knudsen) wieder, die mittlerweile mit Jørgen verheiratet ist, sondern erfährt auch, dass Anna seine Tochter ist.
Wenn in einem dänischen Film auf einem Familienfest ein Geheimnis enthüllt wird, ist der Gedanke an Thomas Vinterbergs „Das Fest“ fast unvermeidlich, deshalb hält man bei jeder Tischrede den Atem an und wartet förmlich auf die Katastrophe. Im Gegensatz zu Vinterbergs Film machen sich aber Susanne Biers Figuren nicht schuldig, sondern treffen Entscheidungen. Sehr deutlich wird es in der Szene, in der Jacob und Helene über das Ende ihrer Beziehung sprechen: Er betrog sie, sie reiste ab und dachte, er reist ihr nach. Doch er blieb und dachte, sie kommt zurück. Beides haben sie nicht getan, deshalb scheiterte ihre Beziehung.
Idealismus vs. Eigennutz
Im Mittelpunkt von Susanne Biers Film „Nach der Hochzeit“ stehen daher auch keine unbewältigten Vergangenheiten, sondern die Frage, wie sich Eigennutz und Idealismus zueinander verhalten. Sehr deutlich sind anfangs die unterschiedlichen Lebensweisen von Jacob und Jørgen herausgestellt. Während Jacob im Waisenhaus auf einem einfachen Bett schläft, erwartet ihn Kopenhagen eine mit Sauna und Whirlpool ausgestattete Suite, die aber im Vergleich zu Jørgens Herrenhaus noch bescheiden wirkt. Jørgen hat sich ein milliardenschweres Unternehmen alleine aufgebaut, ist glücklich verheiratet und hat drei Kinder. Auch sind sie grundverschiedene Charaktere. Jacob lebte lange Zeit als Aussteiger in den Tag hinein, nun kümmert er sich um indische Waisenkinder. Jørgen ist gewohnt, dass man tut, was er sagt und dementsprechend verhalten sich auch alle in seiner Umgebung. Auf den ersten Blick scheint die Sympathieverteilung daher klar: Der ehemalige Hippie und Helfer auf der einen und der gönnerhafte Patriarch auf der anderen Seite. Doch dann folgt die Hochzeit – und plötzlich sind die Rollen weitaus undeutlicher. Dann knüpft Jørgen an sein großzügiges Angebot die Bedingung, dass Jacob in Kopenhagen bleibt und stellt ihn dadurch vor ein Dilemma: Soll er das großzügige Angebot annehmen und sehr vielen Kindern helfen, dafür aber auf sein persönliches Glück in Indien verzichten und stattdessen für seine leibliche Tochter da sein? Oder soll er nach Indien zurückreisen und das Leben führen, das er selbst sich wünscht, aber die Schließung des Waisenhauses zur Folge hätte?
Ein genauer Blick
Die unterschiedlichen Lebensweisen zeigen sich auch an den anderen Figuren. Obwohl Anna erwachsen und verheiratet ist, hängt sie sehr von ihren Eltern ab. Dagegen erweist sich der siebenjährige indische Ziehsohn von Jacob als weitaus selbständiger. Hier zeigen sich im Kleinen die Auswirkungen des Aufwachsens, außerdem wird deutlich, worin die Stärke von Susanne Bier besteht: Sie schaut genau hin und spürt den kleinen Geschichten nach. Gekonnt und absichtsvoll umschiff das Drehbuch, das sie – wie immer – mit Thomas Anders Jensen geschrieben hat, alle Klischee-Klippen, so dass der Film selbst mit bekannten Symbolen und auf den ersten Blick eindeutigen Charakteren souverän umgeht, ohne lächerlich zu sein. Dabei verweisen die Handkamera und die Nahaufnahmen insbesondere der Augen in den Dialogen noch deutlich auf Susanne Biers Dogma-Nähe (Kamera: Morten Søberg, „Sons of Norway“, „Pusher“), während die melodramatische Musik sowie der Konflikt insgesamt bereits auf ihre spätere weltweite Karriere hindeuten. Auch das altruistische Helferdasein wird sie in „Hæven“ erneut aufgreifen und abermals dessen Grenzen infragestellen.