TDDL 2013 – Tag 3 des Lesens um den Bachmannpreis

Hannah Dübgen (c) TDDL2013

Von einem Preiskandidaten bis zur Teebeutelprosa reichten die heutigen Lesungen. Den Auftakt machte Hannah Dübgen mit einem Text über ein blindes Kind und die Gefühle seiner Mutter, aus deren Perspektive er auch erzählt ist. Der Text ist eine Annäherung der Mutter an die Tatsache, dass das Kind blind auf die Welt gekommen ist, und der möglichen Schwierigkeiten, die daraus entstehen. Anscheinend hat ein Chromosomenfehler dazu geführt, dass dem Mädchen – den Namen erfahren wir nicht – die Augäpfel fehlen. Nun fragt sich die Mutter, wie sie ihr erklären soll, was „hoch“ ist, beschreibt die Reaktion von Bekannten und ihres Mannes. Leider geht der Text nicht über eine Wohlfühlgrenze des bürgerlichen Paares hinaus, sondern bleibt in Beschreibungen stecken. Hubert Winkels kritisierte dann – wie zu erwarten war – die Du-Perspektive und untermauerte seine Anmerkungen abermals sehr gut, indem er darlegte, dass diese Redeform spätestens bei den Reflexionen über die eigenen Schuldgefühle nicht mehr passte. Außerdem störten ihn die Allgemeinplätze. Meike Feßmann hatte die gleichen Einwände, beschrieb das Vorgehen der Autorin als „abgrasen“, hob aber wie Hildegard Keller ihr Einfühlungsvermögen hervor. Das konterte Daniela Strigl allerdings gekonnt mit dem Hinweis, dass Empathie eine Zutat für Literatur sei, aber alleine nicht ausreiche. Für Burkhard Spinnen war es „Literatur als Teil der großen Menschheitsapotheke“.

Roman Ehrlich (c) TDDL2013

Danach las Roman Ehrlich einen Auszug aus seinem bereits am kommenden Dienstag erscheinenden Roman „Das kalte Jahr“. In seiner Dystopie kehrt der Erzähler nach einer Katastrophe in seinen Heimatort zurück und findet in seinem Elternhaus ein Kind namens Robert Richard vor, das eventuell auch eingebildet sein könnte. Zeit ist dort eine vage Kategorie geworden, die Vergangenheit äußert sich meist in einem „gestern“, und der Erzähler versucht nun, die Wirklichkeit zu fassen, die sich aber längst nicht mehr greifen lässt. Mir hat dieser Auszug gut gefallen, vieles bleibt in der Schwebe und ich schätze, dass im Roman die Motive besser aufgegriffen werden.

Auch die Jury zeigte sich durchaus angetan von Roman Ehrlichs Text. Hubert Winkels fühlte sich an Leif Randts „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ erinnert und sah hier eine düstere Dystopie, in der es keinen Außen- oder Innenwelt mehr gibt und sich der Erzähler erst an eine Orientierung herantastet. Das sei alles „geschickt, klug und fein“ gemacht. Für Daniela Strigl war es eine auf angenehme Weise beunruhigende Geschichte, die in einer kalten Welt spielt. Meike Feßmann war sich hingegen nicht sicher, in welche Richtung der Text weitergeht, auch Hildegard Keller vermisste eine Entwicklung. Für Burkhard Spinnen holt Roman Ehrlich das Genre der Postapokalypse aus der Trivialität heraus – allerdings sagt dieser Satz mehr über Herrn Spinnen als über den Text aus.

Benjamin Maack (c) TDDL2013

Nach der Mittagspause las dann Benjamin Maack ‚„Wie man einen Käfer richtig fängt“ von Joachim Kaltenbach“ – und er wurde den hohen Erwartungen sehr gerecht. Endlich wurde eine Geschichte vorgelesen, die stimmig war und keinen beständig über sich selbst nachdenkenden Erzähler hatte. Vielmehr erzählte sie von einem käfersammelnden, pubertierenden Jungen, der voll und ganz in seiner Käferwelt lebt und heimlich in Kathrin verliebt ist. Deshalb schleicht er ihr auch schon einmal auf die Toilette nach, entwendet ihren benutzten Tampon aus dem Mülleimer und schließt ihn mit seinen Käfern in einer Dose ein. Insgesamt eine unheimlich, manchmal etwas verstörende, aber auch lustige Geschichte, die mir sehr gut gefallen hat.

Juri Steiner sah in dem Jungen „Dr. Mabuse als Kind“, für ihn war es ein Text, der mit Gut und Böse spiele. Burkhard Spinnen las die Geschichte eine Idylle, in der der Vater des Jungen die „Fahne der europäischen Aufklärung hochhält“. Meike Feßmann fand die Geschichte ebenfalls sehr gut und griff dann meinen Kritikpunkt auf, den ich nach der Lesung bei Twitter äußerte: die Geschichte ist sieben Sätze zu lang. Für Paul Jandl war die Geschichte ebenfalls stimmig, ein „summender Text“.

Nikola Anne Mehlhorn (c) TDDL2013

Zum Abschluss las dann Nikola Anne Mehlhorn den Anfang eines Romans, an dem sie gerade schreibt. Er beginnt als Geschichte einer zerbrechenden Ehe, dann wird ein Kind vermisst und schließlich erinnert sich die frustrierte Mutter an das Milleniumssilvester. Es sind viele zu viele angefangene Handlungen in diesem Text, außerdem hat er noch nicht einmal annähernd einen Schluss. Sehr deutlich war dann auch die Jury in ihrem Urteil. Meike Feßmann sagte, dass dieser Text komplett verunglückt sei und alles auf dem Niveau der Teebeutelsprüche ist, die die Erzählerin gerne zitiert. Paul Jandl konstatierte, der Text langweile sich mit sich selbst und seiner langweiligen Hauptfigur. Daraufhin machte dann schnell das Wort von der „Teebeutelprosa“ die Runde – und Hubert Winkels sagte zum Schluss schon gar nichts mehr.

Mein Favorit ist seit heute Benjamin Maack, der aufgrund der positiven Jury-Urteile auch als Anwärter für den Bachmannpreis gehandelt werden muss. Dahinter folgen meines Erachtens Roman Ehrlich, Katja Petrowskaja, Heinz Helle und Verena Güntner. Der Publikumspreis ist sehr schwierig vorherzusagen, da ja sehr wenige Stimmen über die Vergabe entscheiden und beispielsweise Joachim Meyerhoff und Anouscha Mueller sehr viele Anhänger haben. Bei 3sat kann man bis heute 20 Uhr über diesen Preis abstimmen.

Alle Texte und Zusammenfassungen der Jury-Diskussionen lassen sich auf der Seite des Bachmannpreises nachlesen, dort gibt es auch die Videos zu den einzelnen Auftritten.

Rückblick auf Tag 1 und Tag 2

Andere:
Atalantes Historien

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2 Gedanken zu „TDDL 2013 – Tag 3 des Lesens um den Bachmannpreis

  1. caterina

    Deiner Zusammenfassung stimme ich voll und ganz zu. Roman Ehrlich und Benjamin Maack haben mir beide sehr zugesagt, ihre Texte waren für mich das Highlight dieser Tage der deutschsprachigen Literatur. Von Ehrlich werde ich mir wohl den Roman zulegen, die schwer greifbare Atmosphäre in seiner Geschichte gefiel mir und hat Neugier auf mehr geweckt. Und auch auf das, was von Maack noch kommen wird, bin ich gespannt. Dübgen und Mehlhorn waren für mich hingegen vollkommen reizlos, aber auch hier gilt wieder: Ich muss noch mal im Stillen lesen.

    By the way: Hieß das Kind bei Ehrlich nicht Richard? Robert war doch der Vater in Dübgens Text, oder?

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    1. Zeilenkino Beitragsautor

      Ja, das Kind hieß Richard, danke für den Hinweis. Den Roman von Roman Ehrlich werde ich ebenfalls lesen, außerdem sind Maack und er die Namen, die ich mir von den diesjährigen Tagen merken werde. 🙂 Und ich bin neugierig auf Nadine Kegele geworden.

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