„Without slavery the rebellion could never have existed; without slavery it could not continue“, sagte Abraham Lincoln im Dezember 1862 in seiner Ansprache im Kongress und schlug vor, dass durch einen Verfassungszusatz die Sklaverei abgeschafft werden sollte. Zu Beginn des Jahres 1865 nimmt er diesen Ansatz abermals auf. Er wurde gerade wiedergewählt und ist populärer denn je. Diese Beliebtheit will er nutzen, um den 13. Verfassungszusatz durchzusetzen. Aber er steht vor zahlreichen Schwierigkeiten: Seine republikanische Partei hält nicht die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit, zudem ist fraglich, ob sie geschlossen abstimmen will. Also müssen Demokraten überzeugt werden, für die Abschaffung zu stimmen – oder sich wenigstens zu enthalten. Außerdem gibt es Anzeichen, dass die Konföderierten zu Friedensverhandlungen bereit sind. Soll er dieses Angebot annehmen oder weiterhin versuchen, mit dem 13. Verfassungszusatz die Sklaverei abzuschaffen und damit möglicherweise ein Ende des vier Jahre währenden Krieges behindern?
Es wird geredet, geredet und geredet
In vielen Dialogen zeichnet das Drehbuch von Tony Kushner in Steven Spielbergs Biopic „Lincoln“ die damaligen Debatten, Hintergrundgespräche und politischen Gepflogenheiten nach. Dabei beweist Tony Kushner sein Gespür für Sprache und einprägsame Sätze, allerdings nehmen die Lincolns insbesondere mit zunehmender Spieldauer zu viel Raum ein. Das ist mitunter anstrengend – so dass ich durchaus geneigt war, dem Kriegsminister zuzustimmen, der Lincoln bat, ihn doch wenigstens einmal mit einer seiner Geschichten zu verschonen. Beeindruckender sind hier die Momente des Zweifels – wenn beispielsweise Lincoln General Ulysses S. Grant (Jared Harris) telegraphieren muss, wie es mit dem Verhandlungsangebot weitergehen soll. Hier gelingt Spielberg trotz bekannten Ausgangs die Spannung der damaligen Zeit spürbar werden zu lassen. In anderen Szenen fehlt diese – zumal ja selbst bei der finalen Abstimmung der Ausgang gewiss ist. Stattdessen sind es auch dort Kleinigkeiten, die im Gedächtnis bleiben: das Zögern des Abgeordneten Hutchins aus Ohio (Walter Goggins aus „Justified“), die Entscheidung des demokratischen Kongressmannes George Yeaman (Michael Stuhlbahrg), der die Sklaverei eigentlich verabscheut, aber die Folgen der Freilassung von 4 Millionen Sklaven fürchtet, und auch das innerparteilichen Taktieren der verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Republikaner. Und durch die vielen Geschichten, die Lincoln zu erzählen hat, fehlt in dem Film die Zeit, um diese Nebencharaktere besser zu charakterisieren.
Eine hervorragende Besetzung
Dabei überzeugt „Lincoln“ insbesondere durch seine beeindruckende Besetzung. Daniel Day-Lewis erscheint als Lincoln überlebensgroß, er zeigt den Präsidenten als besonnenen und nachdenklichen Mann, der sich mit den politischen Gepflogenheiten sehr gut auskannte und auch nicht davor zurückschreckte, seine Ziele mit Methoden zu erreichen, über deren Legalität sich zumindest streiten lässt. Tommy Lee Jones hat als Thaddeus Stevens, der Anführer der radikalen Republikaner, eine dankbar mürrische Rolle, die noch mehr Potential geboten hätte – und er sorgt auch für die unterhaltsamsten Momente in dem Film. Sally Field überzeugt als an den Lasten des Amtes und Tod ihres Sohnes verzweifelnde First Lady Mary Todd Lincoln. Begeistert haben mich aber letztlich die kleineren Rollen, die oftmals ungenannt bleiben: James Spader und John Hawkes sind herrlich als republikanische „operator“, die versuchen, Demokraten zur Ja-Stimme zu verführen, Walter Goggins gibt abermals den Hinterwäldler, Peter McRobbie ist als gegnerischer Demokratenführer herrlich fies und David Strathairn besticht als Außenminister William H. Seward abermals durch eine Leistung, die allzu souverän und selbstverständlich erscheint, um größere Aufmerksamkeit zu erregen – leider.
Nicht ohne Vorkenntnisse
In der Inszenierung ist „Lincoln“ in erster Linie konventionell und erinnerte mich (und meine Kinobegleitung) mehrfach an Redfords „Die Lincoln-Verschwörung“ und könnte fast als erster Teil dazu fungieren. Bei dem Gespräch zwischen Grant und Lincoln sahen sogar die Kulissen sehr ähnlich aus. Und wie dieser Film, so bleibt auch „Lincoln“ letztlich ein Film, der in erster Linie den Intellekt anspricht – abgesehen von der überflüssigen Einblendung Lincolns in einer Flamme, der Inszenierung mit seinem Sohn und dem pathetischen Schluss. Diese Szenen wären nicht nötig gewesen. Außerdem wird insbesondere am Ende deutlich, dass dem Film vorher schon ein klarer Schwerpunkt fehlte. Hier entscheidet sich Spielberg nicht, ob er Lincoln als Person, sein Kampf gegen die Sklaverei, das politische System der USA oder gar die Unterschiede zwischen Norden und Süden in den Mittelpunkt stellen will. Hinzu kommt der bekannte Ausgang der Geschichte, der die Langatmigkeit noch unterstreicht. Außerdem sind Vorkenntnisse des politischen Systems und der Geschichte der USA unbedingt vonnöten. Zwar werden einige Bemerkungen über den amerikanischen Bürgerkrieg vorangestellt, aber die politischen Mätzchen und Wortgefechte machen insbesondere Spaß, wenn man nicht jedes Mal überleben muss, wer das eigentlich noch war. Es ist schade, dass Spielberg hier die Gelegenheit nicht genutzt hat, seine überwiegend unterhaltsame und interessante Geschichtsstunde auch an ein breiteres Publikum zu richten.
Ich fand schon interessant, dass sich Spielberg entschied, die politischen Mühen zu zeigen (statt den kriegerischen), die zu einer solchen Umwälzung führten und dabei auch die moralisch fragwürdigen Schachzüge einer solchen Ikone, die manchmal wohl nötig sind. Das ist dann aber wirklich schon das einzig Ungewöhnliche an dem Film und umschifft die eine oder andere Glorifizierung auch nicht. Spielberg ist zu eingefahren in seinem monumentalen Erzählen, das er schon ewig betreibt, scheint mir. Mir kommt das alles so wahnsinnig unzeitgemäß vor, zu wenig radikal.
Die politischen Schachzüge fand ich auch interessant, aber gerade deshalb hätte ich mir mehr Raum für die Nebenfiguren gewünscht. Da wird zwar vieles angedeutet, aber letztlich ist alles sehr stark auf Lincoln konzentriert. Dass Spielberg zu eingefahren ist, da stimme ich Dir voll und ganz zu. Daher habe ich mich schon gefreut, dass er dieses Mal wenigstens nicht mehr der Musik und dem Pathos allzu sehr übertreibt.
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