Im letzten Jahr gehörte Sara Grans „Die Stadt der Toten“, der ersten Teil mit Claire de Witt, der besten Ermittlerin der Welt, zu meinem ganz klaren Krimi-Highlights: Claire ist eine angenehm andere Detektivin, die ihre Fälle mit Spürsinn, I-Ging-Kugeln und den esoterisch angehauchten Wahrheiten des Buches „Detéction“ von Jacques Stilette löst. Ihr zweiter Fall ist nun ungleich persönlicher: Ihre große Ex-Liebe Paul wurde ermordet. Sie hat ihn längst nicht vergessen, deshalb will sie den Mörder finden – und verliert sich beinahe in dem Fall.
Schon auf den ersten Seiten bemerkte ich, dass mir bei „Das Ende der Welt“ etwas Entscheidendes fehlte: die Stadt New Orleans, die mit ihrer Abgestumpftheit und Abgerissenheit, ihren Verwüstungen und Verfehlungen so gut zu Claire de Witt passte. Dieses Mal ermittelt sie in San Francisco und verarbeitet Pauls Tod vor allem mit Kokain. Dem vielen Koks ist es vielleicht auch zuzuschreiben, dass ihre Ermittlungen weitgehend vor sich hin plätschern: Sie spricht mit Polizisten, Pauls Frau Lydia, Freunden und Bekannten. Nebenbei erinnert sie sich an einen Jahre zurückliegenden Vermisstenfall, einer der letzten Fälle, den sie mit ihrer ein Jahr später verschwundenen Freundin Tracy löste. Doch auch bei diesem weitaus spannenderen Ausflug in die Vergangenheit steht weniger die eigentliche Ermittlung als vielmehr die Persönlichkeit Claires im Mittelpunkt. Das ist streckenweise packend und düster zu lesen, aber Claire wirkt mitunter auch wie eine pubertierende 13-Jährige – sowohl in der Rückschau als in der Gegenwart. Hinzu kommt eine Reihe von Nebenhandlungen, die zwar amüsant zu lesen sind, aber nicht davon ablenken können, dass es in diesem zweiten Buch etwas zu viele lose Fäden gibt und Sara Gran sie nicht immer im Griff zu haben scheint. Es fehlt hier – in Struktur und auch Sprache – eine größere Sorgfalt und Überlegung. Das zeigt sich gerade am Ende des Buches, das mit jedem der letzten fünf Kapitel hätte enden können. Aber jedes Mal will Sara Gran die Schraube noch ein Stückchen weiter drehen – und überdreht sie dann beinahe.
Sicherlich fehlt diesem Buch das Überraschungsmoment des Vorgängers, auch ist „Das Ende der Welt“ besser als ein Großteil anderer Kriminalromane. Immerhin behandelt Sara Gran hier existentielle Fragen, greift bekannte Motive der us-amerikanischen Literatur auf und hat weiterhin eine eigensinnige Ermittlerin geschaffen. Dennoch braucht auch ein Buch voller Abgedrehtheiten und mit Claire de Witt einen tragfähigen Fall, der etwas Rätsel enthält Doch hier bleibt am Ende vor allem ein Satz von Jacuqes Silette in Erinnerung, der einst sagte: „Die Detektivin, die vorgibt, die Wahrheit nicht zu sehen, begeht mehr als eine Todsünde.“ Und dieser Wahrheit weicht Claire de Witt in diesem Buch zu oft aus. Schade.
Sara Gran: Das Ende der Welt. Übersetzt von Eva Bonné. Droemer/Knaur 2013.