„Verschwurbelt“ ist das Wort dieser Lesetage in Klagenfurt. Nachdem gestern schon dem einen oder anderen Text verschwurbelte Metaphern angelastet wurden, fiel das Wort auch heute recht häufig. Dafür gab es aber – wenn ich richtig aufgepasst habe – keinen Thomas-Bernhard-Vergleich und auch der Name Hitler ist nicht gefallen.
Den Auftakt des zweiten Tages machte Linus Reichlin mit dem Text „Weltgegend“, wohl ein Auszug aus einem Roman. Im Mittelpunkt der Geschichte steht der Arzt Martens, der in Afghanistan einen Anschlag überlebt, in der Folge aber auf zwei Frauen schießt und sie – selbst traumatisiert – verletzt zurücklässt. Er macht sich auf den Rückweg in sein Lager und begreift erst allmählich, was er gerade erlebt hat – und welche Schuld er auf sich geladen hat. Das alles wird souverän erzählt, ein solcher Roman würde sicherlich ein Erfolg werden. Allerdings bot der Text in meinen Augen zu wenig Neues und ließ zu wenig Interpretationsraum. Er war „ganz und gar nicht verschwurbelt“ (Sulzer). Die Jury war ebenfalls durchaus angetan, obwohl sie ihm auch mangelnde Risikobereitschaft (Strigl) attestierten. Und nicht nur Hubert Winkels musste beim Zuhören an einen Fernsehfilm denken. Ich sah schon Hannes Jaenicke im Sand von Afghanistan.
Die zweite Lesung bestritt Maja Haderlap mit ihrem Text „Im Kessel“, an deren Beispiel eine generelle Schwierigkeiten dieser Literaturtage deutlich wird: Die Art und Weise des Vortrags beeinflusst die erste Wahrnehmung ungemein. Zumal die Texte für nicht Daheimgebliebenen immer erst nach dem Porträt und somit unmittelbar zu Beginn der Lesung online gestellt werden, so dass ich vor meinem Fernseher gerade am Anfang allein auf das Hören angewiesen bin. Das funktioniert bei geradlinig erzählten und gut gelesenen Texten, wie beispielsweise heute Linus Reichlin oder gestern Maximilian Steinbeis, mühelos, aber bei poetischeren, komplexeren Beiträgen (gestern Gunther Geltinger, heute Maja Haderlap) nicht. Daher meine inständige Bitte: Könnten nicht wenigstens die Texte früher erhältlich sein?
Zurück zu Maja Haderlap und „Im Kessel“. In dieser Geschichte wird aus einer kindlichen Erzählperspektive die österreichisch-slowenische Historie literarisch verarbeitet. Dabei findet Haderlap sehr schöne, poetische Bilder, die für mich aber erst nach einem zweiten, konzentrierten Lesen vollends zu fassen waren. Die Jury war überzeugt von ihrem Beitrag, allerdings missfiel Meike Feßmann der Satz „Ich höre den klingenden Namen Dachau, den ich schon kenne, Natzweiler aber ist neu und sogleich vergessen“. Dagegen beschied ihm Alain Claude Sulzer sogar Makellosigkeit. Geschwurbelt wurde in dem Text also nicht, aber wenigstens werden „gezwirbelte Stacheln“ erwähnt. 😉
In der dritten Lesung präsentierte Julya Rabinowich mit „Erdfresserin“ eine ganz andere Erzählung. Im Mittelpunkt steht eine junge Frau, die von der Mutter misshandelt wurde, als Prostituierte ihr Geld verdient und nun einen kranken Mann in dessen Wohnung pflegt. Die „verschwurbelte“ Struktur macht es den Zuhörern auch hier nicht gerade leicht, der Geschichte zu folgen – zumal auch hier der Vortrag bestenfalls mittelmäßig war. Die Jury war von der Erzählung aber durchaus angetan. Daniela Strigl beschied ihm eine „sensationelle Sinnlichkeit“, Burkhard Spinnen fand den Plot gut, die Ausführung aber zu instrumentiert. Mich hat vor allem die abgründige Hauptfigur interessiert, für deren kaputtes Innenleben Julya Rabinowich interessante Bilder gefunden hat.
Nach der kurzen Mittagspause ging es dann mit einem recht gefälligen Text weiter. Nina Bußmann erzählt in „Große Ferien“ die Geschichte eines Lehrers, der nach 30 Jahren Schuldienst mit seiner neu gewonnene Freizeit nur wenig anzufangen weiß und sich in Erinnerungen an einen Schüler ergeht. Erst allmählich stellt sich heraus, dass der Lehrer aufgrund eines Zwischenfalls mit diesem Schüler gehen musste. Die Geschichte ist sehr klar und nüchtern erzählt, Stil und Plot ließen mich an Juli Zeh denken, auch der Vortrag war wirklich sehr angenehm. Über die überwiegende Begeisterung in der Jury war ich dann doch überrascht. Zwar monierte sie eine Reihe Klischees in dieser Lehrer-Schüler-Geschichte, zeigte sich aber vom Stil durchaus angetan. Doch gerade dort fehlte mir der eigene Ton der Autorin.
Den Abschluss fand dieser zweite Tag dann mit „Spur einer Dorfgeschichte“ von Steffen Popp, der seinen komplexen, assoziativen und interessante Text durch seinen Vortrag leider seiner Wirkung beraubt hat. Vermutlich hat er sich etwas dabei gedacht, aber dieses an eine Litanei erinnernde Lesen hat mir das Zuhören unglaublich schwer gemacht. Auch das ist ein Text, der mehrfach gelesen werden sollte und hohe Konzentration erfordert, damit er in seiner ganzen Einzigartigkeit erfasst wird. Im Kern geht es um vier Menschen, die einen Ort im Osten Deutschlands erkunden. Ihre Wahrnehmungen sind wie Spiegelsplitter, die erst zusammen-, in Beziehung zueinander gesetzt werden müssen, damit ein Bild dieser Ortschaft entsteht. Vollends überzeugt bin ich von diesem Beitrag nach wie vor nicht – aber das kann auch daran liegen, dass ich beim heutigen, nochmaligen Lesen stets die Stimme des Autors im Kopf hatte. Die Jury lobte die Reichhaltigkeit dieses Beitrags (Strigl), obwohl ihn Winkels als „Halbfertigprodukt“ ansah, da vieles nicht miteinander verbunden sei.
Bleibt als Fazit: Seit heute hat Maja Haderlap sicherlich gute Chancen auf den Bachmannpreis, auch Nina Bußmann habe ich auf der Rechnung. Aber angeblich ist ja Thomas Klupp der Favorit. Und der liest erst morgen – als letzter …
Pingback: Bibertage in Klagenfurt | DENKDING