Über „Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld“ von Miguel Gomes

Ein melancholisches Krokodil (c) Real Fiction

In seinem Film „Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld“ erzählt der portugiesische Regisseur Miguel Gomes eine Geschichte über die Melancholie. Im Prolog ist im Stil eines alten Schwarzweiß-Films ein älterer weißer Mann zu sehen, der durch die afrikanische Savanne marschiert. Er geht nicht wild entschlossen, sondern zögern und als trüge er eine Last auf seinen Schultern. Tatsächlich klärt ein Erzähler auf, dass dieser Mann dem Kummer um seine verstorbene Frau entfliehen will. Aber er kann der Trauer nicht entkommen – und lässt sich deshalb von einem Krokodil töten. Seither ist einer Legende zufolge häufig ein melancholisches Krokodil in Begleitung einer Frau zu sehen.

Dona Aurora (Laura Soveral) (c) Real Fiction

Danach springt der Film in die Gegenwart und das hellere Schwarzweiß wird klarer, deutlich kontrastreicher. Das Bild zeigt die Rentnerin Pilar (Teresa Madruga), die in einem leeren Kino sitzt und sich einen Film an schaut. Der Titel „The Lost Paradise“ wird eingeblendet. Anscheinend hängt Pilar vergangenen Zeiten nach. Die Filme, die sie liebt, sind nicht mehr zeitgemäß, erfüllen sie aber mit Melancholie. Ihre restliche Zeit verbringt die gläubige Pilar mit sozialem und politischem Engagement: Sie protestiert gegen die UNO, will einer Taizé-Anhängerin eine Unterkunft bieten und sorgt sich um ihre ältere Nachbarin Aurora (Laura Soveral). Die exzentrisch Achtzigjährige lebt mit ihrer kapverdischen Haushälterin Santa (Isabel Cardoso) zusammen und glaubt, Santa habe sie verhext. Als sie im Sterben liegt, wünscht sie sich, dass Pilar einen gewissen Gian Luca Ventura (Henrique Espírito Santo) ausfindig macht. Sie kommen zu spät ins Krankenhaus, aber er erzählt Pilar und Santa nach Auroras Beerdigung eine Geschichte aus deren Vergangenheit, mit der der dritte Teil des Films, „Paradise“, beginnt.

Der junge Gian Luca Ventura (Carloto Cotta) in Afrika (c) Real Fiction

Dieser dritte Teil ist im Stil der goldenen Stummfilm-Ära des Hollywoodkinos gedreht und wird mit dem Satz „Aurora hatte eine Farm in Afrika“ eingeleitet, der zugleich an „Jenseits von Afrika“ denken lässt. In der Folge entspinnt sich fast ein Abenteuerfilm aus der portugiesischen Kolonialzeit in Afrika, der von Gian Luca erzählt wird. Die Schauspieler selbst sprechen in diesem Teil nicht, sondern die Erzählerstimme kommentiert, während die Bilder das Gesagte zeigen – und dabei die bekannten Ingredienzen eines Films verwenden, der in Afrika spielt: Großwildjagd, Kolonialisierung, Aufstände, Liebe und Tod. Übertitel mit „Paradies“ erzählt er tatsächlich von einem verlorenen Paradies. Vielleicht haben Kolonialherren Afrika als ein Paradies empfunden, aber das war es mit Sicherheit nicht.

(c) Real Fiction

Insgesamt besticht „Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld“ vor allem auf der formalen Ebene, die durchzogen ist von Anspielungen und Spielereien. Bereits der Titel „Tabu“ bezieht sich nicht auf das moralische Verbot, sondern auf den (fiktiven) Monte Tabu, an dessen Fuß Auroras Farm lag, und verweist zugleich auf den gleichnamigen Murnau-Film. Er ist (zumindest im Deutschen und Portugiesischen) eine Spielerei, wie auch Miguel Gomes mit den verschiedensten Stilen und Techniken spielt. Aus einem eleganten Schwarzweiß-Film auf 35mm wird ein historischer Fast-Stummfilm auf 18mm, es gibt Off-Kommentare, Brüche, Perspektivwechsel und eine anachronistische Erzählweise. Daneben mischt Miguel Gomes Drama, Abenteuerfilm, Komödie, Dokumentarfilm und Musical. Dadurch wird „Tabu – Eine Geschichte von Liebe und Schuld“ zu einem eigenwilligen Film, der ein besonderes, ja, ein fast vergessenes Kino-Erlebnis beschert: „Tabu“ ist wie ein Film, der einem merkwürdig bekannt und doch ganz neu vorkommt. Ein Film, der an Murnau denken lässt – und an Vincente Minelli. Ein wunderschöner Film, der den Film in den Mittelpunkt stellt.

Der Film startet am 20. Dezember 2012 in den deutschen Kinos.

Diesen Beitrag teilen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert