„On the road“ – Jack Kerouac und Walter Salles

Die Urfassung von „On the road“ – so will es die Legende – hat Jack Kerouac auf einer ca. 40 Meter langen, aus zusammengeklebten Schreibmaschinenpapieren bestehenden Rolle im Benzedrin-Rausch geschrieben. Und genau mit dieser Szene endet der Film von Walter Salles, der am 4. Oktober in den Kinos startet: Kerouacs Alter Ego Sal Paradise (Sam Riley) spannt eine Papierrolle ein – und legt los. Das Buch ist längt zur Kult-Fibel der Beat-Generation geworden, nun sieht sich der Film mit der Aufgabe konfrontiert, diesen Nimbus einzufangen.

Der lange Weg zur Verfilmung

(c) 2012 Concorde Filmverleih GmbH

Bereits nach Erscheinen des Buches im Jahre 1957 hat Jack Kerouac angeblich die Filmrechte Marlon Brando angeboten. Er stellte sich vor, Brando sollte die Rolle von Dean Moriarty spielen und er selbst würde Sal Paradise sein. Aber zeitlebens scheiterten die Verfilmungsversuche an der Struktur von „On the road“, die der gängigen Anfang-Mittelteil-Ende-Aufteilung widerspricht. Dann sicherte sich Francis Ford Coppola die Filmrechte und unternahm seit 1979 verschiedene Anläufe zur Verfilmung: Unter anderem bot er Jean-Luc Godard die Regie an, auch Gus van Sant wurde mit dem Projekt in Verbindung gebracht. Schließlich wurde 1995 Barry Gifford („Wild at Heart“) engagiert, um das Drehbuch zu schreiben. Der Film kam nicht zustande, aber Giffords Buch „Jack’s Book“ aus dem Jahr 1978, in dem er Kerouacs Lebensgeschichte basierend auf Erzählungen von seinen Wegbegleitern nachspürt, hat Walter Salles nun bei seiner Adaption begleitet.

Zwischen Nähe und Abweichung

Regisseur Walter Salles mit Schauspieler Viggo Mortensen(c) 2012 Concorde Filmverleih GmbH

Fünf Jahre haben Walter Salles und Jose Rivera an dem Buch gearbeitet und verschiedene Fassungen diskutiert. „Wir haben versucht, so dicht wie möglich am Roman zu bleiben. Aber manchmal mussten wir abweichen: die Vorlage verraten, um ihr letztlich treu zu bleiben. Eine Adaption sollte das Publikum auch dazu anregen, das Buch – das Original – wieder zur Hand zu nehmen und seine eigene Version von „On the road“ zu entwerfen“, werden sie im Presseheft zitiert. Die Nähe und die Abweichungen sind gut zu erkennen. Beispielsweise sind der erste Satz in Buch und Film identisch, dagegen spielt Jacks Freund Henri im Film keine Rolle, seine typische Floskel „Was sagt Präsident Truman immer: Wir müssen die Lebenshaltungskosten senken!“ wird hingegen Sal und Neal in den Mund gelegt.

Sal Paradise (Sam Riley, links) und Dean Moriarty (Garrett Hedlund) (c) 2012 Concorde Filmverleih GmbH

Eine Adaption ist niemals eine deckungsgleiche Überführung von einem Medium zu einem anderen – und inhaltlich haben Walter Salles und Jose Rivera eine gute Auswahl getroffen, indem sie die wichtigsten Stationen der Reise (sofern man sie denn bewerten möchte) übernommen haben. Auch die einzigartige Freundschaft zwischen Jack Kerouac/Sal Paradise und Neal Cassady/Dean Moriarty haben sie gut auf die Leinwand adaptiert. Ihre Beziehung lässt zugleich die Kehrseite ihres Lebensstils erkennen. Neal Cassady war ein Getriebener, immerfort in Bewegung, niemals zur Ruhe kommend. Und so mitreißend sein Lebensstil für seine Freunde auch ist, so zerstörerisch wirkt er sich insbesondere auf Neal Cassady selbst aus. Mit Garret Hedlund hat Walter Salles für diese Rolle eine gute Besetzung gefunden. Er verfügt über das Charisma und die Leidenschaft – und passt sowohl hervorragend zu Sam Riley als auch Kristen Stewart, die Cassadys minderjährige Ehefrau Luanna Henderson/Marylou spielt. Doch gerade im Wirken mit Sam Riley, der nach „Control“ und „Brighton Rock“ abermals jene unterdrückte Leidenschaftlichkeit auf der Leinwand zeigt, wird deutlich, wie sehr diese Beziehung von Abhängigkeit und dem Bewusstsein darüber geprägt war. Hier stellt sich lediglich die Frage, warum Walter Salles nicht auf die Originalnamen – wie in der Urfassung von „On the road“ – zurückgreift, sondern weiterhin an den von Jack Kerouac erst auf Intervention der Anwälte seines Verlags geänderten Namen festhält. Dadurch hätte er die ohnehin intendierte biographische Lesart noch verstärkt.

Entstehungsgeschichte oder Romanadaption?

Marylou (Kristen Stewart) (c) 2012 Concorde Filmverleih GmbH

Leider fehlt Walter Salles‘ „On the road“ aber der Mut zu einer unkonventionellen, wilden Inszenierung – also genau das, was „On the road“ auszeichnet: In einer Zeit, in der eine Jugend- oder Gegenkultur noch nicht einmal als solche benannt wurde, schrieb Jack Kerouac über ein Leben, das den meisten Amerikanern fremd war. Gerade die Urfassung von „On the road“ lässt die fiebrige Suche des Jack Kerouac mitempfinden, es ist ein hitziges, turbulentes Buch, bei dessen Lektüre die Klänge von Dizzy Gillespie und Dexter Gordons & Wendell Grays „The Hunt“ im Ohr erklingen – und das man in diesem Rhythmus lesen möchte. Dabei stürmen die Sätze unaufhaltsam voran, sie wirken improvisiert, wild und doch zutiefst aufrichtig. Zwischen Ich-Erzähler und Autor lässt sich nicht unterscheiden, dennoch wechselt Kerouac die Perspektiven und das Tempo, um den Erzählverlauf zu steuern. Dabei bleibt Jack Kerouac in der ur-amerikanischen Tradition des Reisens als Mittel der Selbstveränderung. Hier ist der Weg das Ziel und zugleich ein Synonym für Freiheit. Und wie der Jazz von John Coltrane oder die Bilder von Jackson Pollack bereitete Jack Kerouacs Roman den Boden, auf dem andere folgten.

Sal (Sam Riley) und Dean (Garrett Hedlund, rechts) (c) 2012 Concorde Filmverleih GmbH

Der Film versucht nun zweierlei: Eine Verfilmung des Buches und seiner Entstehungsgeschichte zu sein. Diesem Anspruch können Regisseur Walter Salles und Co-Drehbuchautor Jose Rivera nicht gerecht werden, sondern sie hätten sich für einen Schwerpunkt entscheiden sollen. Zwar erhält der Film durch die Nähe zur Entstehungsgeschichte einen Erzählbogen, die Besonderheiten des Buches gehen jedoch verloren. In dem Film spiegeln die Szenen die unbändige Lebensgier, die Suche nach dem Etwas, das das Leben besonders macht, nicht wider, sondern wirken nacherzählt. Trotz der Bemühungen des Produktionsdesigns und der guten Schauspieler entsteht der Eindruck, hier agierten Menschen von heute in einer historischen Kulisse. Erst wenn Walter Salles auf die Worte aus dem Buch zurückgreift und sie aus dem Off erklingen lässt, wird deutlich, was er eigentlich mit seinen Bildern sagen will. Und sogar das Reisen ist weniger Ausdruck der Freiheit als vielmehr der Weg, der Sal Paradise zum Schreiben bringt.

Insgesamt erfüllt Walter Salles‘ Verfilmung von „On the road“ die selbstgesetzten Erwartungen nicht. Eines haben Regisseur und Drehbuchautor Jose Rivera aber erreicht: Obwohl „On the road“ heutzutage eher ein Zeitdokument der Beat-Generation ist, möchte man nach dem Film das Buch noch einmal zur Hand nehmen und sich auf diese fieberhafte Reise begeben.

Jack Kerouac: On the road. Die Urfassung. Übersetzt von Ulrich Blumenbach. Rowohlt 2010.

Der Film startet am 4. Oktober 2012 in den deutschen Kinos.

(c) 2012 Concorde Filmverleih GmbH

Verlosung:

Zum Kinostart von „On the road“ verlose ich ein Exemplar der Urfassung des Buches von Jack Kerouac. Hierzu hinterlasst bis zum 11. Oktober 2012 einen Kommentar, was eine Fahrt auf der Straße für Euch bedeutet. Der Gewinner wird dann ausgelost.

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11 Gedanken zu „„On the road“ – Jack Kerouac und Walter Salles

  1. Wulf | Medienjournal

    Ohje, was du über den Film schreibst bestätigt meine Befürchtungen, aber die Wildheit lässt sich auch nur schwerlich einfangen, zumindest wüsste ich spontan nicht, wer das adäquat hätte hinbekommen können. Das Buch werde ich trotzdem beizeiten wieder in die Hand nehmen, ebenso wie die Werke von Burroughs und Ginsberg, die haben es mir schon in meiner Jugend angetan, höchste Zeit also, die Beat-Generation zumindest literarisch wieder lebendig werden zu lassen. Denn mit dem Film werde ich – so glaube ich jetzt mehr denn je – nicht glücklich werden.

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    1. Zeilenkino Beitragsautor

      Am Ende des Films bei der Reise nach Mexiko kommt Walter Salles dieser Wildheit schon sehr nahe – oder auch bei der Tanzsszene von Marylou und Dean. Von diesen Szenen hätte ich mir einfach mehr gewünscht. Denn so bleibt der Film überwiegend eine Aneinanderreihung von Szenen.

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  2. Hannah

    Ich freue mich trotzdem auf den Film und würde auch gerne das Buch gewinnen. Für mich bedeutet eine Fahrt auf der Straße vor allem Bewegung. Freiheit passt eher zu den USA, hier sind die Straßen zu voll. 😉

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  3. Doreen

    Vielen Dank für den ausführlichen Bericht zum Film und die Gegenüberstellung zum Buch. Gefällt mir sehr gut. Ich schaue mir On the Road heute im Kino an und mal schauen wie er auf mich wirkt, allerdings habe ich das Buch leider nicht gelesen, deswegen finde ich die Verlosung echt spitze 🙂

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  4. Kathamarie

    Kommt darauf an, ob ich ein Ziel habe oder nicht. Ziellose Roadtrips bedeutet den Gedanken freien Lauf lassen und Neugierde auf das, was immer kommen mag. Wenn die Fahrt ein Ziel hat, dann kann sie natürlich voller Vorfreude oder mit Angst verbunden sein.

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  5. Sarah F.

    Eine Fahrt auf der Straße bedeutet für mich Stress! Ich wohne mitten im Ruhrgebiet und hier sind einfach alle Straßen voll – ob in der Stadt oder auf der Autobahn. Da macht es einfach keinen Spaß zu fahren, wenn man entweder im Stau steht oder alle 5 Meter an einer Ampel halten muss. Und Parkplätze sind auch eine Rarität….
    Selbst im Urlaub zu fahren ist für mich mit dem Auto stressig. Denn auch dann steht man meistens im Stau und ich muss gleichzeitig fahren und für meinen vierjährigen Sohn da sein, dem natürlich auch irgendwann langweilig wird. Für mich ist das Auto also nur ein zwingendes Fortbewegungsmittel!

    LG
    Sarah

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  6. Silvia

    Was sie bedeutet, hängt stark vom Ziel ab – ob zur Arbeit oder in den Urlaub. Einfach nur so herumfahren tue ich eigentlich höchstens mit dem Rad.

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