Nachdem der Ex-Mafia-Buchmacher Harry Arno sein letztes Abenteuer, erzählt in „Pronto“, überlebt hat, ist er wieder nach Florida zurückgekehrt und kümmert sich um seine Geschäfte. Seinen Lastern hat er nicht abgeschworen: Er trinkt, obwohl er weiß, dass er dann zur Geschwätzigkeit neigt, und lässt sich von seiner Ex-Freundin Joyce bemuttern, die aber mittlerweile mit US Marshal Raylan Givens zusammen ist. Allerdings kann Joyce nicht vergessen, dass Raylan (am Ende von „Pronto“) in einem Restaurant einen Mann erschossen hat – wenngleich Tommy „the Zip“ Bucks ein Gangster war, der es auf Harrys und Raylans Leben abgesehen hatte und ebenfalls eine Waffe gezogen hatte. Sie bezweifelt, dass Raylan die Waffe sehen konnte. Außerdem ist sie über Raylans fehlende Gewissensbisse verunsichert.
Geschickt knüpft Elmore Leonard mit „Riding the Rap“ an den Vorgänger „Pronto“ an: Raylan und Joyce sind zwar ein Paar, aber sie haben unterschiedliche Vorstellungen von dieser Beziehung. Während Raylan mit ihrem Zusammensein ganz zufrieden ist, hadert Joyce zunehmend mit seiner klaren Einstellung und dem einfachen Ethos, dass er seine Waffe zieht, um zu töten. Auch Harry hat sich seit Italien kaum verändert. Er fragt sich, ob er seinem Altersruhesitz eine zweite Chance geben soll und ist weiterhin überzeugt, dass er der eigentliche Held der Geschichte sei, der Raylan im richtigen Moment gewarnt hat. Ansonsten bereitet er zum zweiten Mal seinen Ruhestand vor – wenngleich er mittlerweile selbst Zweifel hat, ob er die Finger ganz von dem Geschäft lassen kann. Dann wird er Opfer einer aberwitzigen Entführung. Joye bemerkt sein Verschwinden und bittet Raylan, sich nach ihrem Ex-Freund umzuhören.
Raylan Givens trifft auf Dawn Navarro
Neben alten Bekannten aus „Pronto“ gibt es in „Riding the Rap“ einige neue Figuren. Dazu gehört die Hellseherin Dawn Navarro, die später in „Road Dogs“ auf Jack Foley treffen wird, vor allem aber die drei Gangster Louis Lewis, Bobby Deogracias und Warren „Chip“ Ganz. Sie sind auf typische Elmore-Leonard-Art miteinander verbunden: Eigentlich sollte Bobby bei Chip das Geld eintreiben, das er Harry Arno schuldet. Stattdessen hat er sich aber überzeugen lassen, bei einem todsicheren Plan mitzumachen und Harry Arno im Stil der Shia in Beirut zu entführen, um ihn zur Zahlung von Lösegeld zu bringen: Er wird in einem Raum festgehalten und niemand spricht mit ihm. Eigentlich sollte er auch auf einer Strohmatratze schlafen, aber die war in Florida nicht zu bekommen. Sobald sie sich entschließen sollten, doch mit ihm zu reden, würde er ihnen alles verraten. Tatsächlich können sie ihm Dawns Hilfe entführen. Aber nun sitzt Harry Arno im Keller, während sie sich zu dritt in dem Haus in Palm Beach belauern und einander zunehmend misstrauen. Sukzessive gerät die Situation außer Kontrolle, da sich Bobby als brutaler entpuppt als angenommen, Louis überzeugt ist, er könne alleine besser zurechtkommen, und Chip mehr Gras raucht als er sollte. Außerdem ist Chip zwar ein großer Verbrecher in Gedanken, in der Tat erweist er sich allerdings als kleiner, schmieriger Schweinehund ohne Mumm. Vor allem aber macht sie das Auftauchen von Raylan Givens nervös. dem der Ruf vorauseilt, dass er einen Mann in einem Restaurant erschossen habe, nachdem er ihm ein Ultimatum von 24 Stunden zum Verlassen der Stadt gestellt hatte. Sie haben Respekt vor ihm – und auch Angst. Insbesondere Bobby lässt sich von ihm provozieren und will ihn letztlich sogar zu einem Showdown wie im Western herausfordern.
Raylan Givens – Revolverheld oder aufrechter Gesetzesmann?
Insgesamt überzeugt „Riding the Rap“ vor allem als Weiterentwicklung der Figur Raylan Givens. Nachdem er in „Pronto“ durch seinen altmodischen Charme bestochen hat, wird insbesondere durch Joyce eine weitere Facette seines Charakters deutlich. Da Elmore Leonard nicht aus Joyce, sondern aus Raylans Perspektive erzählt, ist man auf seiner Seite, dennoch stellt sie manche Fragen zurecht. Abgesehen von ihren Zweifeln an ihrer Beziehung, hinterfragt sie zudem, warum Raylan seiner Sache stets sicher ist und seinen Einschätzungen bedingungslos vertraut. Hier erinnert er an mit seinem Hut und seiner Fähigkeit, seine Waffe schnell zu ziehen, an einen alten Westernheld, wenngleich er doch in einer Kriminalgeschichte steckt. Darüber hinaus fühlt er sich von Dawn Navarro angezogen, aber sie verunsichert ihn auch. Selbstverständlich zweifelt er an ihren hellseherischen Fähigkeiten, als er aber aus ermittlungstechnischen Gründen eine Sitzung bei ihr hat, kommt sie seinem Inneren und seinen Zweifeln aber sehr nahe. Letztlich bleibt er sich selbst aber auch bei ihr treu: Wenn er nicht weiß, ob sie hellsehen kann oder nicht, akzeptiert er diese Unsicherheit als Tatsache.
Leider fehlt „Riding the Rap“ das Tempo von „Pronto“, insbesondere der Einstieg ist recht langsam. Auch eine zweite Entführung des Gauner-Trios bleibt nicht mehr als eine kurze Episode, die mehr hergegeben hätte. Zumal sie in dieser Form vor allem dazu dient, Bobbys zunehmende Eskalation zu verdeutlichen – und dazu wäre sie nicht nötig gewesen. So bleiben von „Riding the Rap“ einige gute Drehe und Kniffe in Erinnerung, insgesamt verbleibt der Roman aber im Mittelmaß.
Elmore Leonard: Riding the Rap. Erstmals 1995 bei Delacorte Press, New York erschienen. Gelesene Ausgabe: HarperTorch 2002. Die Übersetzung von Jörn Ingwersen „Volles Risiko“ ist 1996 im Goldmann Verlag erschienen und lediglich gebracht erhältlich.
Weitere Links:
Der erste Auftritt von Raylan Givens – Über Elmore Leonards „Pronto“
Über “Out of Sight” und die Verfilmung von Steven Soderbergh
Jack Foley kehrt zurück – “Road Dogs” von Elmore Leonard