Der neunjährige Oskar Schell hat seinen Vater bei den Anschlägen auf das World Trade Center verloren und kann diesen Verlust nur schwer verarbeiten. Eines Tages findet er in den Sachen seines Vaters einen Schlüssel. Und er ist überzeugt, dass es seine Aufgabe ist, das passende Schloss zu entdecken. Sein Vater hat ihn schon immer auf Entdeckungstouren geschickt – beispielsweise sollte er in New York den verschwundenen sechsten Bezirk suchen. Verzweifelt klammert sich Oskar an den Gedanken, dass die Suche nach dem passenden Schloss eine letzte Aufgabe für ihn ist, und entdeckt tatsächlich einen weiteren Hinweis: Auf einem Zettel hat sein Vater den Namen Black notiert. Nun muss er nur noch alle 216 Adressen aufsuchen, die er zu den 472 Menschen mit dem Namen Black im Telefonbuch gefunden hat. Damit beginnt für ihn eine Reise, die gleichsam zu einem Verarbeitungsprozess seines Verlustes wird.
In dem Roman „Extrem laut und unglaublich nah“ von Jonathan Safran Foer ist Oskars Geschichte verknüpft mit den Erlebnissen seiner Großeltern in Dresden am Ende des Zweiten Weltkrieges. Dabei geht es aber weniger um eine konkrete Gleichstellung dieser historischen Ereignisse als vielmehr um die traumatische Erfahrung eines Verlustes. Ebenso wie Oskar sind auch seine Großeltern verletzte, ja beschädigte Seelen. Sie haben zu viel verloren und gehen auf unterschiedliche Weise damit um. Oskars Großvater hat aufgehört zu sprechen und seine Frau schließlich verlassen, als sie schwanger war. Für Oskars Großmutter bedeuten Sohn und Enkel hingegen alles. Die Verzweiflung, den Verlust und die Beschädigung drückt Jonathan Safran Foer nicht nur in Worten, sondern auch durch Zeichnungen und typographische Besonderheiten aus. Diese Gestaltung ist bemerkenswert, anderes erscheint hingegen zu gewollt. Es gibt nahezu keine durchschnittliche Figur in diesem Buch – höchstens Oskars Mutter. Alle anderen sind skurril, exzentrisch oder ebenso verletzt wie Oskar. Es ist immer schwierig, wenn Erwachsene aus der Perspektive eines Kindes erzählen. Nun ist es insofern für Jonathan Safran Foer etwas einfacher, als Oskar für sein Alter überdurchschnittlich intelligent ist, aber selbst angesichts seiner Klugheit erscheinen manche Rückschlüsse und Einsichten doch sehr reif. Darüber hinaus ist auch die Verbindung aus seiner verständlichen Eifersucht auf einen neuen Bekannten seiner Mutter, seinem infantilen Verhalten ihr gegenüber und seinen Analysen des Geschehens nicht immer gelungen.
Dennoch ist „Extrem laut und unglaublich nah“ ein Buch, das zur Auseinandersetzung einlädt, gerade weil es fast zu überbordend an Ideen ist. Packend wird es dann erst im letzten Drittel, zumal die realistische Wendung dieser fantastischen Geschichte einen tragfesten Boden gibt.
Der Film als Adaption
Gerade aufgrund der Erzählweise, der Bedeutung des Schriftbildes und der Gestaltung des Romans galt „Extrem laut und unglaublich nah“ als nahezu unverfilmbar. Dann haben sich der Regisseur Stephen Daldry („The Hours“, „Der Vorleser“) und der Drehbuchautor Eric Roth („Der seltsame Fall des Benjamin Button“) diesen Stoff vorgenommen. Beide haben viele Erfahrungen mit Literaturverfilmungen und tatsächlich ist der Film als Adaption auch gelungen. Klugerweise verzichten sie darauf, die Geschichte des Großvaters (gespielt von Max von Sydow) zu erzählen und verschmelzen seine Figur mit der des tauben Nachbarn. Dadurch ist der Stoff bereits deutlich entschlackt, zumal allein Oskars (Thomas Horn) Geschichte ausreichend Handlung bietet.
Obwohl Oskars Mutter Linda (Sandra Bullock) eine noch kleinere Rolle als im Buch spielt, ist ihre Präsenz besser über den Film hinweg verteilt – und auch ihre Freundschaft zu einem anderen Mann wurde weggelassen. Dadurch wird die Konzentration auf Oskar verstärkt, zugleich erscheint Linda aber auch weniger mit sich selbst beschäftigt. Dazu trägt auch die leicht veränderte Erzählperspektive bei. Im Roman wird Linda lediglich aus Sicht des gerade in dieser Hinsicht äußerst unzuverlässigen Oskar wahrgenommen, im Film gestattet die Kamera einige von ihm unabhängige Einblicke in ihren Verlust. Oskars Vater Thomas wird von Tom Hanks gespielt, dem es in wenigen Szenen gelingt, die Verbundenheit zu seinem Sohn zu zeigen. Sicherlich ist es eine typische Hanks-Rolle, aber er fügt sich sehr gut ein. Ohnehin haben mich die Schauspieler und insbesondere Newcomer Thomas Horn überzeugt. Er ist letztlich die wichtigste Figur des gesamten Filmes und hat sehr viel Text, aber er trägt diese Verantwortung sehr gut – und ist sogar weniger nervig als der Oskar im Buch.
Störend war hingegen der häufige Einsatz der erklärenden Off-Stimme von Oskar als Erzähler. Dadurch wird – ebenso wie durch die permanent eingesetzte Musik – zu wenig Raum gelassen, um eigene Interpretationen und Überlegungen anzustellen und vor allem: eigene Gefühle zu entwickeln. Dass es auch anders möglich gewesen wäre, zeigt der Zusammenschnitt von Oskars Begegnungen mit den vielen Blacks. Hier wird im Bild die Verzweiflung erkennbar, die Oskars Suche auch ausdrückt. Es ist schade, dass es nicht mehr visuelle Umsetzungen gibt – wenngleich es Stephen Daldry und Eric Roth insgesamt gut gelungen ist, die vielen Subtexte und Handlungsfäden der Vorlage stimmig zu verbinden.
Vieles ist an diesem Film also stimmig – und besser als manche Kritiken suggerieren. Leider ist dann aber das Ende viel zu lang und allzu gut geraten. Die Suche nach dem passenden Schloss ist die eigentliche Geschichte, es ist Oskars Weg, seinem Vater nahe zu bleiben. Da wäre es schlichtweg nicht nötig gewesen, dass er noch einmal zu der Schaukel zurückkehrt, bei der er mit seinem Vater war. Zumal in dem Moment, in dem eine Rückblende ihn und seinen Vater dort zeigt, bereits offensichtlich ist, dass der Film so enden wird. Hier wird das Pathos dann selbst für einen Hollywood-Filme übermäßig.