Am Anfang des Films ist eine Schwarzblende zu sehen und das rhythmische Schlagen des Springseils auf einer Matte zu hören. Erst dann sind die Füße und darauffolgend der ganze Körper von John Irving zu sehen. Untermalt von Musik erklingt aus dem Off ein Auszug aus Irvings letztem Roman, „Letzte Nacht am Twisted River“: „Wie immer begann er mit dem Ende der Geschichte …“. Doch es ist der Anfang eines Films, der in die Welt des John Irving einführt.
Der amerikanische Schriftsteller sieht sich selbst als Handwerker und Geschichtenerzähler, weniger als Intellektueller. Uneitel und offen gibt er daher im Gespräch mit dem Filmemacher André Schäfer Einblicke in seine Arbeitsweise. Seine Romane schreibt er mit der Hand, weil es langsamer gehe und daher die Genauigkeit in der Handlung garantiere. Allerdings benutzte er mittlerweile anstelle eines Bleistiftes auf Rat seines Arztes einen leichteren Kugelschreiber.
Die Entstehung eines neuen Romans dauere meist fünf bis sechs Jahre, deshalb sieht er das Schreiben auch als einen ausdauernden Prozess, der in seinen Augen mit dem Ringen vergleichbar ist. In seinen jungen Jahren hat er professionell an Ring-Wettkämpfen teilgenommen, aber er betont, dass es das Training sei, was Spaß machen müsse. Und das stundenlange Üben der gleichen Bewegungen mit denselben Personen sei eine gute Vorbereitung auf das Schreiben gewesen. Denn nun feilt er manchmal jahrelang an seinen Sätzen.
Neben den Gesprächen mit John Irving selbst begibt sich André Schäfer auch auf die Suche nach den Inspirationsquellen des Autors. Dabei sind die Gespräche mit den realen Personen, die Irving zu Figuren angeregt haben, zweifellos die Höhepunkte des Films. In einer Klinik in Zürich recherchierte John Irving beispielsweise zu „Bis ich dich finde“. Die drei Ärztinnen, die sich in dem Roman wiederfinden, erzählen von Irvings Anwesenheit, dass er ein guter Zuhörer und Beobachter gewesen sei – und selbst die Eigenheiten wahrgenommen habe, die man vielleicht gerne verbergen würde. In den Niederladen traf er sich mit einem Polizisten und einer Ex-Prostituierten, um für „Witwe für ein Jahr“ zu recherchieren. Dort beobachtete er auch einen Tätowierer bei seiner Arbeit und durfte anschließend sogar dessen Frau tätowieren. Dieser ist dann auch, der Irvings Arbeitsweise auf den Punkt bringt: Er könne „Witwe für ein Jahr“ nicht lesen, weil er darin so viele Eigenheiten von Bekannten wiederfände, die aber auf zu viele verschiedene Personen verteilt sind. Das passt nicht zu den Personen, die er kennt, deshalb verwirre es ihn. Aber dem Schriftsteller geht es nun einmal um die literarische Wahrheit.
John Irving ist ein höflicher Mann, der André Schäfer die Tür zu seiner Welt geöffnet und ihm sogar Pizza gebacken hat. Dabei ist der Filmemacher weniger an der Person John Irving interessiert, sondern er will die Welt finden, die John Irving in seinen Roman bildet. Fans des Schriftstellers werden viel Gefallen an dem Film finden, an dessen Ende der Zuschauer viel über die Arbeitsweise und das Werk von John Irving weiß. Es wäre schön gewesen, auch dem Menschen näherzukommen. Aber insgesamt ist „John Irving und wie er die Welt sieht“ ein unspektakulärer Film über einen der hierzulande wohl populärsten Schriftsteller, der noch dazu gerade 70 Jahre alt geworden. Und nicht zuletzt weckt diese Hommage an John Irving den Wunsch, doch einige seiner Bücher noch mal zu lesen.
Vielen Dank für diesen Beitrag! Jetzt freue ich mich noch mehr auf diesen Film und Irvings Bücher. (Wobei ich eins gerade schon verschlinge.)
Liebe Grüße
Klappentexterin
Das freut mich! Und welches Buch hast Du gerade verschlungen?