Bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt hörte ich zum ersten Mal einen Auszug aus Leif Randts zweitem Roman „Schimmernder Dunst über Coby County“. Sofort hatte ich eine Reihe filmischer Assoziationen. Ich musste an die „Truman Show“ denken, an „Pleasantville“ und sogar an „Die Frauen von Stepford“. Nachdem ich nun aber den ganzen, eindrucksvollen Roman gelesen habe, rücken diese Überlegungen in den Hintergrund.
Ja, CobyCounty erinnert auf den ersten Blick an die Orte in diesen Filmen. Es ist ein sehr sauberer Ort, voller hipper Kreativer oder Freiberufler im Urlaub, denen ein gepflegtes Erscheinungsbild wichtig ist. Der Erzähler des Romans – Wim Endersson – ist ein „Obstkorbkind“, geboren zu CobyCountys Blütezeit, zu der Müttern noch nach der Geburt ein Obstkorb auf das Zimmer gebracht wurde. Er hat sein ganzes Leben in CobyCounty verbracht und arbeitet dort mittlerweile als Literaturagent. Seine Zeit verbringt er mit seinem besten Freund Wesley oder mit Carla – ihren Beziehungsstatus haben sie niemals geklärt. Wims Leben verläuft in wohlgeordneten, ruhigen Bahnen in diesem fast schon künstlich anmutenden Ort. Doch nun scheint die Idylle in Gefahr. Wesleys Mutter, eine Neo-Spiritualistin, hat während verschiedener Sitzungen alarmierende Bilder von ihrem Sohn und Wim gesehen und ihren Sohn gewarnt: „Sie glaubt, dass uns etwas abhandenkommt, dass da eine innere Gefahr herangewachsen ist, in den allermeisten von uns. Eine Gefahr, die wir noch in diesem Frühling spüren werden, die ganz CobyCounty spüren wird … Es sei denn, wir verlassen die Stadt.“
Die Leere des Protagonisten
Wesley verlässt daraufhin die Stadt, Wim bleibt hingegen dort. Und tatsächlich sind in der Folge verschiedene Hinweise auf eine Gefahr geschickt in den Roman eingeflochten: dunkle Wolken ziehen auf, eine als sicher geltende Seilbahn stürzt ab, im Untergrund formiert sich eine Bewegung und schließlich droht sogar eine Sturmfront. Dadurch wird eine leise Anspannung aufgebaut, die aber in der Erkenntnis mündet, dass die größte Gefahr die innere Leere des Erzählers und Protagonisten ist. Wim ist ungemein kontrolliert und verwendet stets ihm bekannte Gefühls- und Verhaltensmuster, die ihm in dieser Situation angemessen erscheinen. So begrüßt er einen Autor, den er betreut, auf seine „neue, herzliche Art“, die er sich zugelegt hat. Große Veränderungen nimmt er kaum wahr. Ihm fällt nicht auf, dass die freundliche Pia schon längst nicht mehr im Hotel seiner Mutter arbeitet und das Entgleisen der Hochbahn nimmt er ruhig und distanziert zur Kenntnis. Der Wandel der Zeit ist für ihn lediglich an den Werbeplakaten im Stadtbild zu erkennen: „An den wechselnden Werbeplakaten war für mich abzulesen, dass die Zeit verstreicht, die Tage gehen und nicht wiederkommen. Es war eine schlichte Melancholie, in der ich mich auf dem Autorücksitz einlullen und wohlfühlen konnte, eine Stimmung, die keinerlei Konsequenzen von mir verlangte, die wahrscheinlich harmlos, aber auch unproduktiv und lähmend war.“ Als sich Carla von ihm trennt, wird sehr deutlich, dass Wim nicht fühlt, sondern denkt, was er fühlt. Er glaubt, er sollte traurig sein, nimmt an, dass er energie- und kraftlos sei, und versucht so tun, als sei die Pizza nicht lecker. Daher ist es letztendlich folgerichtig, dass er die neue Frau in seinem Leben, die auch Carla heißt, dann auch CarlaZwei nennt.
Somit lebt Wim an einem offensichtlich paradiesischen Ort, aber seine Zufriedenheit, seine Sättigung hat ihn gleichgültig werden lassen. Wesley indes – und auch Carla – scheint zumindest für einige Zeit etwas zu fehlen. Doch Wim versteht nicht, was seine Freunde antreibt oder warum er an einen anderen Ort gehen sollte. Dazu ist er zu teilnahmslos, fast schon apathisch. Daher hat Wesleys Mutter letztlich recht: Es droht eine Gefahr, eine innere Gefahr. Denn wenn alle Menschen derart selbstzufrieden sind, wohin führt das dann?
Anspielungen und Verweise – Leif Randts Spiel mit Film und Literatur
Schon in Leif Randts Debüt „Leuchtspielhaus“ war für den Protagonisten das Leben ein einziges Zitat, ein Wieder-Erleben von bekannten Bildern. Und auch Wim kennt keine Originalität und Einzigartigkeit mehr. Für ihn besteht das Leben aus einem „eigentlich“ – eigentlich könnte, müsste, sollte er zufrieden, glücklich, traurig sein. Dabei gelingt es Leif Randt außerordentlich gut, diesen Lebensstil, diese Leere durch seine Sprache und mit zahlreichen Anspielungen zu entlarven. Aber bedient er sich keiner großen Kniffe oder Drehs, sondern bleibt – wie sein Erzähler – völlig unaufgeregt.
Und die filmischen Anspielungen? Natürlich hat Coby County etwas von den perfekten Orten der oben genannten Filme. Aber hier gibt es kein Geheimnis, kein Entlarven. Und auch die Namen Wim Enderson (Wim Wenders) und Carla Soderburg (Steven Soderbergh) bleiben Anspielungen in diesem Roman, in dem es so viele Verweise gibt. Besonders amüsant sind die Seitenhiebe auf den Literaturbetrieb. So sind die Texte der „Teenagerautoren“, die Wim vertritt, „voll sprachlicher Wucht und sie zeigen uns älteren Jugendlichen, wie sich das Leben der jüngeren Jugendlichen heute anfühlt“. Doch in der „internationalen Presse kursiert seit Jahren die Ansicht, dass die Texte aus CobyCounty stilistisch zwar perfekt seine, dass ihnen jedoch der Bezug zur existenzieller Not fehle.“ Und diese Meinung ist für den Autor Leif Randt, der selbst in Hildesheim studiert hat, sicherlich nicht neu.
Ein empfehlenswerter Roman
Letztendlich lässt sich die Oberflächigkeit in CobyCounty an dem alten Holztisch ablesen, den Wims Chef in die Küche der Literaturagentur gestellt hat, damit er diesem Raum die „Seele gibt, die auch gute Texte brauchen“. Doch dem Protagonisten in Leif Randts hervorragendem Roman „Schimmernder Dunst über CobyCounty“ fehlt gerade diese Seele. An ihre Stelle scheint die Verwöhntheit eines Obstkorbs getreten zu sein. Der Roman indes entfaltet unter seiner makellosen Oberfläche eine langanhaltende Wirkung, die dieses unaufgeregte Buch zu einem Höhepunkt dieses Literaturjahres werden lässt.
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