„Rocking Horse Road“ von Carl Nixon

(c) Weidle Verlag

Das Wunderbare an der Frankfurter Buchmesse sind ja nicht nur die vielen Bücher, die dort zu entdecken sind, sondern dass mit dem jeweiligen Gastland plötzlich Bücher den deutschen Buchmarkt erobern, die sonst vermutlich hierzulande nicht erschienen wären. Aber nicht nur das: Sie bekommen auch eine größere mediale Aufmerksamkeit. Bereits im letzten Jahr hatte der Weidle Verlag aus Bonn mit „punkt punkt komma strich“ einen großartigen Roman zum Gastland Island im Programm, ein Buch, aus dem ich fast jeden Satz am liebsten laut gelesen hätte. Und in diesem Jahr ist mit „Rocking Horse Road“ von dem neuseeländischen Autor Carl Nixon abermals ein sehr gutes Buch aus dem Gastland der Buchmesse in diesem Verlag erschienen.

Ein Mord in The Spit
Zunächst zeugt schon die Aufmachung und Ausstattung des Buches von einer großen Liebe zum Detail. Neben dem schlicht-schönen Cover folgen auf den ersten und letzten Seiten des Buches einige Fotos aus der Region, in der das Buch spielt. Hinzu kommen ein sorgfältiger Satz und ein gute Haptik – also vieles, was oftmals bei Büchern fehlt. (Blick in das Buch)

In seinem Buch erzählt Carl Nixon die Geschichte einer Gruppe von Jugendlichen, deren Leben bis ins Erwachsenenalter von einem Mordfall überschattet wird. Am Morgen des 21. Dezember 1980 hat Pete Marshall am Strand der Nehrung The Spit in New Brighton, einer Vorstadt von Christchurch, die Leiche von Lucy Asher gefunden. Sie wurde vergewaltigt, erwürgt und ins Meer geworfen. Dieser Mord lässt Pete und seine Freunde für den Rest ihres Lebens nicht mehr los.

„Es war ein Wendepunkt für uns alle, die auf The Spit lebten. In diesem Moment traten wir in eine Landschaft ein, aus der es, wie die Ereignisse der Zukunft zeigen sollten, keinen Rückweg gab.“

Lucy war nur zwei Jahre älter als sie, sie kannten sie von der Schule und aus dem örtlichen Lebensmittelladen, der ihren Eltern gehörte. Obwohl die Polizei auf Hochtouren ermittelt, kann sie den Täter nicht finden. Pete und seine Freunde beginnen mit eigenen Nachforschungen, sammeln Zeitungsausschnitte, verbinden sie mit eigenen Erinnerungen an Lucy, befragen mögliche Zeugen und brechen schließlich sogar in das Haus eines Verdächtigen ein. Daneben kommt es im Sommer nach Lucys Tod zu einer weiteren wichtigen Erfahrung der Jungen: Die südafrikanische Rugby-Mannschaft kommt nach Neuseeland. In einer Arbeitergegend, in der Rugby die „Winterreligion“ ist – im Sommer ist es Cricket –, ein großes Ereignis, das aber von Protesten gegen das Apartheid-Regime in Südafrika überlagert wird. Die Konflikte entladen sich in Gewalt, so dass sich das Erwachsenwerden der Jungen mit dem Erleben der Entstehung und der Folgen von Gewalt verbindet.

„Über Nacht waren die Grenzen unserer Kindheit enger geworden“

Konsequent aus der Wir-Perspektive der Gruppe erzählt, verschmilzt der individuelle Werdegang dieser Jungen mit den Nachforschungen zu dem Mord und schmiedet ein enges Band zwischen ihnen, das selbst über 20 Jahre später noch hält. Daneben hält es sie zu Überlegungen zur Gewalt an – vor allem zu der Frage, was Menschen zu solchen Taten treibt. Dadurch verbindet Carl Nixon eine Coming-of-Age-Geschichte mit einer Reflexion über die Folgen von passiver und aktiver Gewalt. Hier erleben nicht einfach einige 15-jährige Jungs einen ereignisreichen Sommer, sondern dieses Ereignis beschäftigt sie ihr ganzes Leben lang. Dabei konterkariert ihr Handeln das Verhalten von Lucys Schwester Carolyn, die auf einem herzzerreißend selbstzerstörerischen Weg auf den Tod ihrer Schwester reagiert. Auch auf die anderen Bewohner von New Brighton hat diese Tat Auswirkungen, zumal in der Folgezeit zwei weitere Mädchen überfallen werden. An der Rocking Horse Road liegen die Nerven daher blank – und diese stets zu spürenden Anspannung überträgt sich auch auf die Jungs und verleitet sie zu einer unbedachten Tat.

Eine Leseempfehlung

Carl Nixon (c) John Kirk-Anderson

Carl Nixon entwirft in seinem Roman ein eindrucksvolles Bild von dem Leben in einer einfachen Vorstadt, die durch den Mord verändert wird. Dazu trägt bei, dass es eine Hauptfigur gibt, sondern im Mittelpunkt das erzählerische Wir steht. Die klugen Beobachtungen durchzieht ein feiner Humor, es gibt wunderschöne Naturbeschreibungen und typische pubertäre Jungserzählungen. Und letztlich unterstreichen die Bilder der unberührt wirkenden Natur am Anfang und Ende des Buches, wie dieser Mord und die Unruhen während der Rugby-Tour auf diese Heranwachsenden gewirkt haben muss. „Rocking Horse Road“ ist ein feines Buch voller Melancholie, das zudem spannend zu lesen ist.

 

Carl Nixon: Rocking Horse Road. Übersetzt von Stefan Weidle. Weidle Verlag 2012.

 

Carl Nixon ist derzeit auf Lesereise und in folgenenden Städten anzutreffen:
Bonn
Montag, 8. Oktober, Literaturhaus Bonn (gemeinsam mit Eleanor Catton, Witi Ihimaera, Lloyd Jones)
Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Friedrich-Ebert-Allee 4, 53113 Bonn
Es liest Ulrich Noethen
Moderation: David Eisermann, Stefan Weidle

Frankfurt (Buchmesse)
9. bis 14. Oktober:
Buchmesse Frankfurt. Samstag, 14 Uhr Leseinsel der unabhängigen Verlage, Halle 4.1. Die anderen Termine bitte erfragen in Halle 4.1, F139 (Weidle Verlag)

Salzburg
Montag, 15. Oktober, Literaturhaus Salzburg
Strubergasse 23/H.C.-Artmann-Platz
A-5020 Salzburg, Österreich
Moderation: Dr. Wolfgang Görtschacher, Universität Salzburg

Düsseldorf

Dienstag, 16. Oktober: Literaturbüro NRW Düsseldorf
Bilker Str.5 40213 Düsseldorf
Moderation: Stefan Weidle

Krefeld
Mittwoch, 17. Oktober
Niederrheinisches Literaturhaus Krefeld
Gutenbergstr. 21
47803 Krefeld
Moderation: Maren Jungclaus

Wuppertal
Donnerstag, 18. Oktober, die börse
Wolkenburg 100
42119 Wuppertal
Moderation: Maren Jungclaus

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