Im Sommer des Jahres 1980 beginnt die Kinderärztin Barbara (Nina Hoss) in einer Klinik in einem kleinen Ort an der Ostsee. Sie wurde dorthin von der Berliner Charité strafversetzt, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt hat. Ihr neuer Vorgesetzter André (Ronald Zehrfeld) kennt ihre Absicht, er wurde noch vor ihrer Ankunft von dem Stasi-Mann Schütz (Rainer Bock) informiert. Er soll sie im Auge behalten – ebenso wie die Männer im Wagen, die ihr ungeniert folgen, und die Hausmeisterin ihres neuen Wohnhauses.
Offensichtlich ist es Barbara gewohnt, beobachtet zu werden. Regelmäßig blickt sie aus dem Fenster, sobald es an ihre Wohnungstür klopft, wird ihr Blick leicht panisch. Sie muss hinnehmen, dass ihre Wohnung willkürlich durchsucht und ihr Körper auf verstecktes Gut kontrolliert wird. Ihr Leben ist durchzogen von fremden Kontrollversuchen und Misstrauen. Daher begegnet auch sie selbst den Menschen mit Argwohn und bleibt den neuen Kollegen gegenüber reserviert – die der Neuen aus Berlin gegenüber ebenfalls Vorbehalte haben. Ihrem Chef André hingegen zeigt sie ihre Skepsis sehr deutlich. Er begegnet ihr mit sehr viel Aufmerksamkeit und offensichtlichem Gefallen, aber gerade dieses Verhalten macht sie misstrauisch. Schließlich könnte dahinter der Versuch stecken, sie auszuhorchen oder an den Staat zu binden.
Präzise und eindringliche Inszenierung
Akribisch und aufmerksam spürt Christian Petzold in seinem Film „Barbara“ den Folgen nach, die das politische System der DDR auf die Menschen und ihre Gefühle hat. Die Atmosphäre des Misstrauens ist insbesondere zwischen Barbara und André stets zu spüren, zugleich ist sie von beginnender Sympathie und Nähe durchzogen. Dabei erkundet Christian Petzold diese Zwischenräume und Andeutungen, die das Verhältnis zwischen Barbara und André ausmachen. Es ist ein Blick, der Barbaras Gefühlswelt erkennen lässt, die Zweifel, mit denen sie ihren eigenen Gefühlen begegnet. Es ist ein Bildausschnitt, in dem sich die Veränderung eines Lebens abzeichnet. Es ist die Farbgebung, mit der Welten entstehen. Wenn Barbara beispielsweise eines Nachts an einem Strand ist, ist es dort so dunkel und Barbara so blass, dass die Schwere dieses Moments sehr spürbar wird.
Diese Konzentration und Kontrolliertheit passt hervorragend zu der Zeit und dem Thema des Films. Die DDR ist hier keine grell-türkise Blümchentapetenwelt voller Polyester-Stoffe oder ein mausgrauer Plattenbaustaat, sondern wird von dem Produktionsdesign von K.D. Gruber und Anette Guther in eine zeitgemäße Farbpalette gefasst. Die hervorragende Kameraarbeit von Hans Fromm und Montage von Bettina Böhler fügen sich mit dem Drehbuch und der genauen Regie von Christian Petzold zu einem glaubwürdigen und sehr authentischen Film, dessen Fragestellung zeitlos ist. sehr viel zu der Glaubwürdigkeit und Authentizität dieses Films bei.
Die Liebe in Zeiten der Überwachung
„Barbara“ ist nicht nur ein DDR-Drama, sondern auch ein Liebesfilm. Im Grunde genommen muss Barbara in dem kleinen Ort nur bis zu dem Tag durchhalten, an dem ihr westdeutscher Geliebte Jörg (Mark Waschke) ihre Flucht arrangiert hat. Sie muss den Anschein der Normalität erwecken und ihrer Arbeit nachgehen. Niemand darf auch nur den Ansatz eines Verdachts entwickeln. Während ihrer Wartezeit nähert sie sich aber zögernd André an. Er unterstützt ihre Hilfe für das Mädchen Stella (Jasna Fritzi Bauer), das aus einem sozialistischen Erziehungsheim ausgerissen ist, und zeigt selbst für einen Patienten bemerkenswerten Einsatz. Und im Gegensatz zu ihrem westdeutschen Geliebten versteht André sie weitaus besser. Er ist engagierter Mediziner, lebt in der DDR, hat sich aufgrund eines Fehlers selbst mit der Stasi arrangiert und tut im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Bestes. Während Jörg ihr ein Leben in Freiheit als Frau an seiner Seite verspricht, ist es André, der ihre Lebenswirklichkeit und Leidenschaften teilt – und ihre letzte Hoffnung auf ein kleines Glück in der ihr vertrauten Welt verkörpert. Dabei ist es meisterhaft, wie Nana Hoss die unterdrückten und langsam entstehenden Gefühle spürbar werden lässt. An ihrer Seite überzeugt Ronald Zehrfeld, dessen muskulös-breiter Rücken den Arztkittel zum Spannen bringt und so zugleich auch auf eine unterdrückte Seite hindeutet.
„Barbara“ erzählt von dem Leben und der Liebe in einem System der Unterdrückung und Überwachung. Christian Petzolds Drama ist ein leiser und ungemein berührender Film, dessen Intensität gerade durch das Fehlen der großen Gefühle und Gesten entsteht. Großes deutsches Kino!
Zur DVD
Hervorzuheben ist an der DVD vor allem das beigefügte Booklet, in dem die Mitwirkenden vor und hinter der Kamera Einblicke in ihre Arbeit und ihre Vorbereitung auf den Film geben. Sehr lesenswert!
Sehr fein beobachtet. Dem kann ich nur vollkommen zustimmen. Christian Petzold beweist sich wieder als Meister der Subtilität, ebenso wie Nina Hoss.