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Finnland – Im Gespräch mit Matti Rönkä

Mit seiner Hauptfigur Viktor Kärpää hat Matti Rönkä ein neues Themengebiet in die finnische Kriminalliteratur gebracht: Viktor stammt aus Karelien, einer Landschaft in Nordosteuropa, die mittlerweile zwischen Finnland und Russland geteilt ist. Anlässlich der Buchmesse ist bei Bastei Lübbe der Sammelband „Finnische Freunde“ mit drei Viktor-Kärpää-Krimis erschienen.

Matti Rönkä (c) Olivier Favre

Matti Rönkä (c) Olivier Favre

Welche Eigenheiten hat finnische Kriminalliteratur?
Ich schätze, einige skandinavische Merkmale: Die Personen haben meist einen sozialen Hintergrund, ihre Handlungen geschehen aufgrund oder basieren auf ihrer Familie, ihrer Arbeit, ihrem sozialen Status, ihrer Rolle in der Gesellschaft – sie sind keine Individuen, die alleine handeln.

Und was unterscheidet finnische von skandinavischer Kriminalliteratur?
Der Mangel an Humor erscheint mir bei den anderen Skandinaviern unrealistisch. Insbesondre die Schweden haben eine Tendenz zum Predigen, sie weisen auf Fehlfunktionen in der Gesellschaft hin und warten, dass etwas passiert – sofort. Zumindest ein Komitee sollte eingerichtet werden.
Die finnische Literatur ist nicht so politisch und wir nehmen uns selbst und das Leben nicht so ernst. Oder wir wissen, dass das Leben so oder so miserabel enden wird. Wir sind fatalistischer und verbundener mit der Natur, heidnischer Geschichte, dem Zweiten Weltkrieg usw. Die Schweden, Norwegen und Dänen haben eine zivilisierte Geschichte für Jahrhunderte – wir nicht.

Warum ist finnische Kriminalliteratur nicht so erfolgreich wie bspw. die schwedische?
Die Schweden haben ihren Stil und Weg in den 1960er und 1970er Jahren gefunden. Wir hatten zu dieser Zeit noch keine ernstzunehmende Kriminalliteratur. Wir sind ihnen gefolgt, und mittlerweile wird Kriminalliteratur hier in Finnland geschätzt. Auch der europäische Markt hat erkannt, dass es in anderen nordischen Ländern interessante Bücher gibt. Aber wir sind später gestartet und hängen deshalb noch ein wenig hinterher.

Privatdetektive sind in finnischer Kriminalliteratur eher selten. Warum?
Privatdetektive sind in Finnland sehr ungewöhnlich und sie machen nichts raffiniertes – vielleicht arbeiten sie für eine Versicherungsgesellschaft oder einen eifersüchtigen Ehemann. Also ist es die Polizei – oder eine Gruppe von Polizisten- die die Verbrechen aufklärt.

Dennoch erinnert Ihre Hauptfigur Viktor Kärpää an einen Privatdetektiv.
Als Charakter verhält sich Viktor wie ein amerikanischer Detektiv: Er arbeitet alleine, außerhalb des offiziellen Systems und Gesetzes, er folgt seiner eigenen Moral, versucht am Leben zu bleiben und hilft den Menschen, denen er helfen muss – oder dessen Hilfe er nicht ablehnen kann. Viktor ist eine Art “Pastiche” eines Marlowe-Typs.

Für einige Zeit arbeitet Viktor als Bauunternehmer. Warum haben Sie sich für diesen Sektor entschieden?
Es ist eine Branche, in dem Fremde Arbeit bekommen, Männer, die aus anderen Ländern stammen. Außerdem ist die Baubranche der Bereich, in dem es die meiste Schwarzarbeit gibt, nicht immer Steuern gezahlt werden und auf allen Ebenen größere und kleinere illegale Dinge getan werden. Auf dieser Weise vermittelt die Branche ein Bild der Wirtschaftsverbrechen – und was Verbrechen in der Wirtschaft bedeuten kann.

Viktor kommt aus Karelien. Wie beeinflusst ihn das?
Vor allem ist es ein Paradigma, das ich beschreiben möchte: Viktor ist immer ein Außenseiter. In der Sowjetunion war er ein Finne – in Finnland wird er als Russe gesehen. Außerdem gibt mir sein ostfinnischer Hintergrund die romantische Möglichkeit, all die mythischen Dinge zu benutzen, die wir mit Karelien verbinden – die Natur, die Verbindung aus Melancholie und warmen Humor, aus Lachen und Tränen zur gleichen Zeit.

Ist das schwierige Thema Karelien, Russland und Finnland ein gängiger Topos in finnischer Literatur?
Wirklich nicht! Obwohl es jeder kennt. Aber ich denke, es ist ein gutes Beispiel für die Vergangenheit vieler Menschen und Familien. Kriege haben Grenzen verändert, man musste fliehen und ein neues Leben in einem anderen Land oder einer Gesellschaft finden, welche denkt, dass Du nicht einer von ihnen bist.

Viktor kämpft zudem mit den typischen Problemen eines Kleinkriminellen: Er will legal bleiben und ein guter Mensch sein, aber leider ist es nicht einfach, weil er von Verbrechen umgeben ist. Wird er einen Weg finden?
Er versucht es sehr, und sein Leben wird immer legaler. Aber man kann alles kaufen oder loswerden – außer seiner Vergangenheit. Und das ist etwas, womit Viktor leben muss.

Wie würden Sie Viktors’ Sidekick Korhonen beschreiben?
Korhonen ein wichtiger Charakter, er und Viktor sind wie Brüder – oder wie verschiedene Seiten, die zusammen einen Menschen ergeben.

In Deutschland wurde der fünfte Teil mit Viktor Kärppä veröffentlicht, also sind wir nicht auf dem Laufenden. Können Sie mir einen kleinen Ausblick auf Viktors Zukunft geben?
Ich habe die Reihe mit dem siebten Buch (im letzten Jahr veröffentlicht) beendet. Viktor bleibt am Leben und ich habe versucht, ihm eine Chance zu geben, dass er mit sich selbst gnädiger umgehen kann. Andersfalls hätte er einen Herzanfall bekommen!

Bei Nicole von My Crime Time finden derzeit ebenfalls finnische Krimiwochen statt – und zufälligerweise hat sie heute ihre lesenswerten Anmerkungen zu Rönkäs „Russische Freunde“ veröffentlicht.

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