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Pinocchio goes Sciences Fiction – Spielbergs „A.I. – Künstliche Intelligenz“

(c) Warner Home Video

Vor Jahren habe ich im Zuge eines Stanley-Kubrick-Seminars an der Uni bereits „A.I. – Künstliche Intelligenz“ auf DVD gesehen – und fand den Film mäßig. Nun habe ich ihn für einen weiteren Beitrag für das Zeilenkino erneut gesehen – und finde ihn immer noch mäßig. Die Gründe sind recht schnell aufgezählt: 1. Nach einem guten Anfang und ansprechenden Mittelteil ist der Schluss viel zu lang und rührselig geraten. 2. Die Musik ist oftmals zu kitschig. Und 3. Verschenktes Potential!

Die Gründe für die starken Unterschiede zwischen den drei Teilen des Films habe ich stets in der Produktionsgeschichte gesucht, die bis in die 1970er Jahre zurückreicht. Damals hat Stanley Kubrick Brian Aldiss, den Autor der Kurzgeschichte „Super Toys Last All Summer Long“, angeheuert, eine Filmversion seiner Geschichte zu schreiben. Aber die Produktion des Films ließ auf sich warten. Anfangs war Kubrick mit Aldiss‘ Arbeit nicht einverstanden und feuerte ihn 1989, dann wollte er warten, bis die Spezialeffekte, die er sich vorstellte, auch umzusetzen sind. Mal wollte Kubrick selbst Regie führen, dann schlug er Steven Spielberg vor – der von ihm bereits 1985 ins Produktionsteam geholt wurde. Nach Kubricks Tod 1999 nahm Steven Spielberg auf Bitten von Kubricks Witwe die Umsetzung des Films in die Hand. Er schrieb das Drehbuch, übernahm die Regie und brachte den Film in die Kinos.

David mit Teddy (c) WHV

Nun war für mich beim erstmaligen und auch heutigen Sehen eigentlich klar, dass das kitschige Ende, die Flüssigkristallwesen und das märchenhafte Happy End nur von Steven Spielberg stammen könnte. Ich war überzeugt, dass es bei Kubrick weitaus düsterer, verklärter und auch mehrdeutiger ausgefallen wäre. Doch dann stolperte ich im Internet über ein Interview, in dem Steven Spielberg sagt, dass „all the parts of A.I. that people accuse me of sweetening and softening and sentimentalizing were all Stanley’s. The teddy bear was Stanley’s. The whole last 20 minutes of the movie was completely Stanley’s. The whole first 35, 40 minutes of the film – all the stuff in the house – was word for word, from Stanley’s screenplay. This was Stanley’s vision“. Sicherlich stellt sich weiterhin die Frage, wie man diesen sentimentalen Schluss filmt – dennoch hat mich dieses Statement überrascht. Meine Kritik bleibt bestehen, aber nun schiebe ich es nicht mehr Spielberg in die Schuhe.

Das verschenkte Potential des Films ärgert mich ohnehin weitaus mehr. Stanley Kubrick hat von diesem Film immer als „Pinocchio“ gesprochen und tatsächlich erinnert „A.I.“ an eine futuristische Version des Kinderbuches von Carlo Collodi. „A.I.“ erzählt die Geschichte des kleinen Roboter-Kindes David, das gerne ein richtiger Junge werden will, damit er die Liebe seiner Mutter gewinnt. Inspiriert durch das Märchen macht er sich – nachdem er von seinen Test-Eltern verstoßen wurde – auf die Suche nach der blauen Fee, die er am Ende der Welt, dort wo die Löwen weinen, finden soll. Anders als Pinocchio muss das Mecha-Kind David nicht erst lernen, ein fleißiger und ehrlicher Junge zu sein. Stattdessen ist er ein vorbildlicher Sohn, der seiner Mutter in unendlicher Liebe zugetan und stets um ihr Wohlbefinden besorgt ist. Vermutlich ist es diese Überlegenheit und die Fixierung auf Monica, die David auch für seinen Test-Vater Henry und den echten Sohn Martin so bedrohlich machen. Denn die Familie und die Gesellschaft sind nicht darauf eingestellt, dieses Gefühl der bedingungslosen Liebe zu erwidern. Monica ist ihrem Mecha-Kind fraglos zugetan – aber auch für sie ist der eigene Sohn wichtiger.

Die bunte Welt von Rouge City (c) WHV

Im Anfangsteil sind die wichtigen Fragen filmisch gut ausgearbeitet. Die heile Welt der Familie Swinton ist derart artifiziell, dass sie bedrohlich wird. Auch die kalte Hybris der Forscher, Roboter mit Gefühlen zu entwickeln, wird gut entwickelt. Aber auf die wichtigste Frage verweigert der Film eine Antwort (obwohl sie zu Beginn von einer Forscherin gestellt wird!): Wenn wir Roboter erschaffen, die lieben können, müssen wir diese Gefühle dann nicht erwidern können? Statt dieser Frage nachzugehen, wird im Mittelteil mit einer Mischung aus märchenhaften Elementen und filmischen Referenzen an „2001“, „Clockwork Orange“, aber auch an „Blade Runner“ eine Gesellschaft dargestellt, in der die mechanischen Helfer, die für alle möglichen Belange geschaffen wurden, aufgrund ihrer Perfektion zunehmend zu einer Bedrohung werden. Anscheinend könnten gefühlsbegabte Roboter am Ende die besseren Menschen sein. Stattdessen wird aber am Ende des Films ein Loblied der menschlichen Fähigkeit zur Fantasie, Imagination und des Wünschens gefeiert. Und mit keinem Wort wird der Frage nachgegangen, warum sich der Mensch weigert, auch die moralischen Folgen seines Handelns abzusehen.

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Heinrich Steinfest und der Film, Teil III

Ein Buch, dessen erster Teil mit einem Zitat von Tigger und Ferkel beginnt, hat bei mir eigentlich schon gewonnen. Auch wenn es aus einem Disney-Streifen und nicht dem grandiosen Buch von Alan Alexander Milne stammt. Darüber sehe ich als Pu-rist vor allem deshalb hinweg, weil das Motto des zweiten Teils von „Gewitter über Pluto“ aus dem Buch stammt – und wunderbar dessen Charme widerspiegelt: „Es gibt einen Südpol“, sagte Christopher Robin, „und ich nehme an, daß es auch einen Ostpol und Westpol gibt, obwohl man allgemein nicht gern über sie spricht.“

(c) Piper

Glaubt man Heinrich Steinfest in diesem Buch, gibt es weit mehr Orte, über die man nicht gern spricht. Und womöglich ist er ein Pluto-ist, denn der degradierte Ex-Planet ist in diesem Roman nicht nur im Titel präsent, sondern Auslöser, Kern und Anker der Handlung. Doch zunächst geht es erst einmal um Lorenz Mohn, der den Film zu seinem Beruf gemacht hat, genauer gesagt: Er ist Pornodarsteller. Aber kurz vor seinem 40-jährigen Geburtstag stellt er fest, dass er seinem Leben eine Wendung geben muss. Durch eine Kollegin kommt er auf die Idee, einen Strickladen namens „Plutos Herz“ zu eröffnen. Für sein Vorhaben braucht er aber Geld, welches er sich von der geheimnisvollen Claire Montbard leiht. Sie knüpft an ihr zinsloses Darlehen nur eine Bedingung: Falls er seine Schulden nicht bezahlen kann, muss er auf den Tag genau sieben Jahre nach Kreditaufnahme einem Menschen das Leben retten. Lorenz ahnt nicht, auf wen er sich da eingelassen hat – und Heinrich Steinfest entführt seine Leser in einen wahrlich fantastischen Roman.

Literarische Anspielungen gibt es haufenweise. Ein Killer trägt einen Gedichtband von Wystan H. Auden bei sich, die Romanfiguren sinnieren, was wäre, wenn sie Romanfiguren wären – und es gibt ein Wiedersehen mit zahlreichen alten Bekannten: der griechische Ermittler Stavros Stirling aus der „feinen Nase der Lilli Steinbeck“ tritt in Erscheinung und führt den Roman sogar fort. Darüber hinaus erfährt man mehr über die Pensionswirtin aus „Mariaschwarz“, selbst auf den Lottogewinn aus „Der Umfang der Hölle“ wird angespielt. Für Steinfest-Leser wie mich ist das höchst amüsant – und verlockt dazu, manche Bücher noch einmal zu lesen.

Filmisch stehen vor allem Science-Fiction- und Mystery-Filme im Vordergrund, namentlich die „Alien“-Streifen oder auch „Der Schrecken der Medusa“. Darüber hinaus spielt aber das Overlook-Hotel aus „Shining“ eine wesentliche Rolle. Von dort aus soll eine Gruppe Außerirdischer – und unter ihnen der als Erzähler fungierende Klaus Soonwald – die Heimreise antreten, obwohl es unvorstellbar erscheint, dass dieser touristische Anziehungspunkt als „Startrampe“ ausgewählt wurde. Dieser vermeintliche Ausgangsort ist aber mehr als eine bloße Referenz an den Film. Als er „Shining“ erneut sieht, fällt Soonwald am Ende des Films ein Foto aus dem Jahr 1921 auf, das einen Mann zeigt, der identisch mit Jack Torrance scheint – also jener gerade dem Wahnsinn verfallenen Hauptfigur. Durch diese Beobachtung erweitern sich die Interpretationsräume sowohl für Kubricks Film als auch Steinfests Roman: In der Gewitter-Pluto-Welt ist es somit möglich, dass alles nur stattfindet, weil jemand den Verstand verliert – und insbesondere am Ende des Romans scheint es nicht mehr ausgeschlossen, dass zumindest eine Figur dem Wahnsinn anheimfällt. Aber auch „Shining“ erhält dadurch eine Science-Fiction-Note: Vielleicht ist ja auch Jack Torrance ein Außerirdischer, der schlichtweg so langsam altert, dass es den Menschen nicht auffällt. Eine amüsante Interpretation des Kubricks-Streifen (der übrigens morgen auf ARTE erneut ausgestrahlt wird) ist es allemal – auch wenn eine Zeitschleife als Erklärung selbstverständlich naheliegender ist.

Im Hinblick auf die Beziehung zwischen Steinfest und dem Film fällt aber vor allem auf, dass die Konnotationen der jeweiligen filmischen Motive eine größere Rolle spielen als noch in seinen früheren Romanen. Noch deutlicher wird es in seinem aktuellen Roman „Wo die Löwen weinen“ – der im vierten Teil vorgestellt wird!

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