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Krimi-Kritik: „Fallera“ von Jörg Juretzka

(c) Unionsverlag

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Kristof Enrico Kryszinski verlässt das Ruhrgebiet! Er hat sich von seinem Lieblingsfeind Kommissar Menden anheuern lassen, undercover an einer Resozialisierungsmaßnahme in der Schweiz teilzunehmen, bei der eine illustre Gruppe von Knackis mit Behinderten auf einen Berg steigen soll. „Gott im Himmel, da hatten sie uns ja ein wundervolles Panoptikum von Wackelköpfen zusammengestellt. Ich besah sie mir unauffällig, während Hufschmidt ein großes Gehampel daraus machte, mir die Handschellen aufzuschließen. Im Hintergrund, mit dem Rücken zu mir, in Betrachtung der Aussicht versunken, gleich zwei Rollstuhlkrüppel. Toll. Das würde eine schöne Plackerei werden, in einer Gegend wie dieser. Dazu kamen, auf den ersten Blick, ein Dorftrottel, dem sie die Wachstumsdrüse zehn Jahre zu spät ausgeknipst hatten, ein wie ein später Picasso in seinen Proportionen verschobener Spastiker, ein kleiner, wulstiger Mongoloide, eine babbelnde Schwachsinnige mit einer beunruhigenden, faustgroßen Delle in der Stirn, und dieser Klops auf Beinen mit den halbverhangenen Augen und dem schmierigen Grinsen, der auf mich zu getrippelt kam und mir eine schwielige Rechte entgegenstreckte, die ich garantiert nicht schütteln würde, war in schönster Offensichtlichkeit vom Onanieren verblödet.“ Das Ziel der Maßnahme: die Knackis sollen sich mit den Opfern ihrer Taten versöhnen und die Behindertensollen erfahren, dass sie „vor ungewöhnlichen Aufgabenstellungen nicht zu kapitulierrren brauchen“. Kryszinski treibt vor allem die Aussicht auf ein vorzüglich Honorar dorthin, allerdings ist er in noch schlechterer Verfassung als üblich – sogar sein bester Freund Pierfrancesco Scuzzi rät ihm, sich ins Krankenhaus einweisen zu lassen und versorgt ihn nicht mehr mit Pillen, sondern Vitamen. Aber Kryszinski glaubt, er sei der Anforderung gewachsen, außerdem kann er ohnehin kaum mehr Traum und Realität unterscheiden. Allerdings ist seine Wahrnehmung alsbald gefordert: Schnell liegt Bergführer Toni tot an einem Berg, es folgen weitere Attentate auf Mitglieder der Gruppe. Hauptverdächtige ist der „verstrahlte“ Kryszinski, allerdings weiß dieser zu gut, dass er wohl eher nicht der Täter ist. Nachdem er selbst einigen Anschlägen mit mehr Glück als Verstand entkommen ist, deckt er daher nach und nach eine abenteuerliche Verschwörung auf.

Indem Jörg Juretzka den Handlungsort von der „Perle des Ruhrgebiets“ in die Schweiz verlagert, unterläuft er abermals die Erwartungen an einen Serienkrimi. Sein Kryszinski bleibt aber trotz der bergigen Kulisse der Ruhrpott-Detektiv, den wir kennen. Im Gegensatz zu vielen Serienkrimihelden braucht er nämlich nicht sein angestammtes Milieu, um authentisch zu sein.

Durch die Verlagerung fehlen aber – abgesehen vom Anfang – die liebgewonnenen Nebenfiguren der vorherigen Romane. Das muss man ebenso in Kauf nehmen wie die unzähligen Zufälle, die sogar vom Ich-Erzähler Kryszinski selbst angesprochen werden: „Langsam krochen wir zurück und richteten uns vorsichtig wieder auf, und ich dachte, so für mich, eh, eh, eh, mal ein bisschen langsam. Das sind jetzt aber wirklich ein paar Zufälle zu viel.“ Ja, es sind eigentlich einige Zufälle zu viel, auch muten manche Ereignisse übertrieben an. Aber in allem steckt stets ein bitterer Kern – sei es, dass ein bayrischer Justizminister seine Schuld an einem Unfall vertuschen kann oder zwei Politikersöhne mit einer Vergewaltigung davon kommen. Denn abgesehen von dem großen abenteuerlichen Spaß, den die Lektüre dieses Romans bereitet, sollte man eines nicht vergessen: Juretzkas Bücher sind mehr als einfach nur ein Witz.

Jörg Juretzka: Fallera. Rotbuch 2002. Wiederauflage als Taschenbuch Unionsverlag 2012.

Jörg Juretzka im Zeilenkino:
„Prickel“
„Sense“
„Der Willy ist weg”
„Platinblondes Dynamit“

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Krimi-Kritik: „Sense“ von Jörg Juretzka

Im April erscheint Jörg Juretzkas neues Buch „TaxiBar“, ich werde ihn demnächst interviewen und ein Porträt über ihn schreiben. Deshalb lese ich derzeit fast ausschließlich seine Bücher und sehe mich von Seite zu Seite in meiner Überzeugung bestätigt, dass er einer der besten und leider viel zu unbekannten deutschsprachigen Krimi-Autoren ist. Deshalb werde ich hier im Zeilenkino eine kleine Reihe starten über ihn starten.

Biographische Angaben in aller Kürze

Jörg Juretzka (c) Harald Hoffmann

Jörg Juretzka (c) Harald Hoffmann

Geboren 1955 in Mülheim an der Ruhr schreibt er nach eigener Aussage seit er denken kann („also seit meinem 35. Lebensjahr“). Er ist gelernter Tischler, war Blockhüttenbauer in Kanada, hat eine Weile Drehbücher u.a. für die Fernsehserie „Was nicht passt, wird passend gemacht“ geschrieben und liest angeblich nie Bücher von Frauen (naja). Kristof Enrico Kryszinski ist die Hauptfigur seiner zehn bisher erschienenen Kriminalromane, außerdem hat Jörg Juretzka noch zwei Bücher über den erfolglosen Schundautor Folkmar „Folle“ Windell, eine Krimi mit Jörg Fiedler sowie einen Kinderkrimi geschrieben.

Gestatten: Kryszinski, Kristof Enrico Kryszinski

Ex-Häftling Kristof Kryszinski ist Privatdetektiv in Mühlheim an der Ruhr, der „Perle des Ruhrgebiets“, war mal heroinsüchtig, nimmt seit dem kalten Entzug im Gefängnis aber nur noch Drogen, die er nicht spritzen – davon allerdings jede Menge. Er trinkt, wohnt in den ersten Romane der Reihe über seiner Lieblingsbar „Endstation“ und hat eine Katze – ein „fieses Aas“. In „Prickel“ dem ersten Buch der Reihe verhilft er einem jungen Mann aus der Patsche, sucht den verschwundenen Doberman des Schrottplatzsbesitzer Heiner und gerät – wie eigentlich immer – in ziemlich großen Schlamassel. Ohnehin ist es neben dem Aufspüren von vermissten Personen eine besondere „Begabung“ von Kryszinski, sich selbst möglichst tief in die Sch*** zu reiten.

„Sense“ – Der zweite Fall

(c) Unionsverlag

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In „Sense“ wird er von der schicken Anwältin Veronika zu einer ihrer wichtigsten Mandantinnen geschickt. Die Duisburger Spielautomatenkönigin vermisst ihren „Prinzgemahl Sascha „Pascha“ Sentz“, der Tage zuvor wie immer die Einnahmen der Spielhallen eingesammelt hat, seither aber verschwunden ist. Bereits im ersten Kapitel des Buchs wird er gefunden – und zwar tot in Kryszinsikis Wohnung. Daraufhin wird der Privatdetektivk zum Hauptverdächtigen und in den folgenden Kapiteln springt die Handlung beständig zwischen dem Verlauf der Suche und Kryszinskis Verhören durch seine alten Erzfeinde auf Seiten der Polizei, die Komissare Menden und Hufschmidt. Später kommen noch Kryszinskis eigene Nachforschungen hinzu, in denen er mehrfach verprügelt wird, aber dank einiger Zufälle alles aufklären kann.

„Sense“ liest sich temporeich und ist vor allem sehr lustig. Kryszinski hat einen schnodderigen Humor, den Juretzka in rotzige und lakonische Sprache packt. Außerdem bevölkern eine Reihe von wiederkehrenden Nebenfiguren die Romane, so dass es beständig ein Wiedersehen mit beispielsweise Pierfrancesco Scuzzi gibt, Dealer mit dem schlimmsten Musikgeschmack der Welt und Kryszinskis bester Freund. Außerdem gibt es noch Charlie, einer von Kryszinski besten Kumpels und Chef der „Stormfuckers“, einer Motorradgang, zu der Kryszinski mehr oder weniger gehörte (davon erzählt der dritte Band „Der Willy ist weg“). Sowohl ihnen als auch den nur in den einzelnen Teilen auftauchen Figuren verleiht Juretzka mit wenigen Sätzen und vor allem ihrer Sprechweise ein sehr eigenes Profil, darüber hinaus wirken sie trotz gelegentlicher Zuspitzungen äußerst lebendig. Darüber hinaus trägt der Ich-Erzähler Kryszinski sehr zu dem sehr originellen Stil dieser Romane bei.

„Sense“ ist sicher nicht der beste Teil der Reihe, dazu greift allzu oft der Zufall ein, auch ist der Plot nicht allzu raffiniert. Aber neben den Sprüchen steckt in scheinbar genretypischen Passagen wie beispielsweise einer Verfolgungsjagd sehr viel psychologische Raffinesse, außerdem verweist Juretzka mit seinen Außenseiterfiguren auch immer auf gesellschaftliche Probleme.

Jörg Juretzka: „Sense“. Neuauflage vom Unionsverlag 2012 (erstmals 1998 erschienen).

Reihenfolge:

Bei kaliber.38 gibt es Interview mit Jörg Juretzka, in dem er auch auf die Reihenfolge seiner Romane zu sprechen kommt: „Die Reihenfolge der Entstehung ist eigentlich nicht wichtig, da ich den Inhalt von „Sense“ bei der Überarbeitung zeitlich hinter den zuerst erschienenen „Prickel“ gepackt habe. Die Reihenfolge der Kryszinski-Romane ist daher:

(c) Unionsverlag

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Prickel
Sense
Der Willy ist weg
Fallera
Equinox
Wanted
Bis zum Hals
Alles total groovy hier
Rotzig & Rotzig
Freakshow
TaxiBar (erscheint im April 2014)

Jörg Juretzka im Zeilenkino:

Über „Prickel“
„Platinblondes Dynamit“ (1. Band mit Volkmar Windell)
„Der Willy ist weg”
„Fallera”

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