Schlagwort-Archive: Psycho

Aufgeräumt: Gelesenes 2013

Der Jahreswechsel ist immer die Zeit, in der ich meinen Schreibtisch und das gesamte Arbeitszimmer gründlich aufräume – und dabei stoße ich auf die Bücher, über die ich aus verschiedensten Gründen noch nichts geschrieben habe. Und da ich voraussichtlich auch 2014 nicht dazu kommen werde, möchte ich wenigstens noch einige Anmerkungen loswerden:

(c) Kiepenheuer & Witsch

(c) Kiepenheuer & Witsch

Alina Bronsky: „Scherbenpark“
Ich hatte ja schon in meinem Jahresrückblick geschrieben, dass „Scherbenpark“ das Buch war, das mich 2013 am positivsten überrascht hat. Gelesen habe ich es anlässlich des Kinostarts der Verfilmung von Bettina Blümner, den Namen Alina Bronsky kannte ich vorab schon, auch wusste ich, dass ihre Bücher überwiegend positiv besprochen werden und sie eine recht große Lesegemeinde hat. Auch mich konnte sie mit ihrem Debütroman„Scherbenpark“ überzeugen. Es ist eine sehr unterhaltsame und spannende Coming-of-Age-Geschichte, die mich nach genau einem Absatz gepackt hat – und eine tolle Hauptfigur und Erzählerin hat.

T.C. Boyle: „San Miguel“
Gelesen habe ich das Buch anlässlich eines Beitrags über us-amerikanische Gesellschaftsromane für das Magazin BÜCHER, aber letztlich konnte ich es aufgrund der Handlungszeit – Ende des 19. Jahrhunderts bis zur Weltwirtschaftskrise – nicht berücksichtigen. In „San Miguel“ erzählt T.C. Boyle von drei Frauen, die verschiedenen Generationen stammen und aus unterschiedlichen Gründen auf der kargen Insel San Miguel vor der kalifornischen Küste landen. Dadurch entstehen zwei Familiengeschichten, innerhalb derer Themen wie das Verhältnis des Individuums zur Natur und die Suche nach dem persönlichen Glück verhandelt werden. Noch dazu sind sie amüsant erzählt. Das Buch hat mir sehr gefallen.

(c) Golkonda

(c) Golkonda

Robert Bloch: „Psycho“
Alle wesentlichen Handlungselemente von Hitchcocks späterer Verfilmung sind auch im Roman von Robert Bloch enthalten, jedoch legt er weniger wert auf Spannung oder Thrill als vielmehr auf das Einfühlen in Norman Bates‘ Psyche und damit den Versuch, seine Taten zu erklären. Sicher war das Buch für damalige Leser noch spannender, da sie die entscheidenden Twists nicht kannten, außerdem greift es für die Entstehungszeit bemerkenswerte Themen auf. Aber auch heute lässt es sich dank der schnörkellosen Handlung und dem zweifellos interessanten Vergleich zu Hitchcocks Film noch gut lesen.

Stephen Rebello: „Hitchcock und die Geschichte von Psycho“
Auch dieses Buch habe ich anlässlich seiner Verfilmung gelesen – es war Grundlage des Films „Hitchcock“. Amüsant und interessant erzählt Stephen Rebello die Entstehungsgeschichte des Films und liefert sehr spannende Einblicke in das Filmgeschäft der damaligen Zeit. Für Hitchcock-Fans ein Muss.

(c) Suhrkamp

(c) Suhrkamp

Anna Kim: „Anatomie einer Nacht“
Elf Lebensgeschichten in Grönland verbindet Anna Kim kunstvoll in ihrem Roman „Anatomie einer Nacht“ und ihre Figuren vereint, dass sie sich das Leben nehmen werden. Es ist ein melancholisches Buch, allerdings fehlte mir gerade auf den ersten Seiten eine wahrzunehmende erzählerische Instanz. Daher wird die tiefe Einsamkeit und Verlorenheit der Figuren zwar deutlich, insgesamt hätte ich mir indes mehr Struktur in der Erzählung gewünscht.

Dave van Ronk: „Der König von Greenwich Village“
Derzeit läuft in den Kinos der sehenswerte Coen-Film „Inside Llewyn Davis“, der inspiriert wurde von der Lebensgeschichte Dave van Ronks, die er in seiner Autobiographie „Der König von Greenwich Village“ schildert. Das Buch steckt voller Anekdoten und Informationen zu Musikern, der Folkszene am Washington Square und Greenwich zur Eisenhower-Zeit. Irgendwann taucht sogar – wie in dem Film – der junge Bob Dylan auf. „Der König von Greenwich Village“ ist daher unterhaltsame Musikgeschichte und für alle Folk-Fans ein Muss.
Lesenswert dazu: folker.de

(c) diaphanes

(c) diaphanes

Daniel Eschkötter: „The Wire“
In der booklet-Reihe des diaphanes Verlags erscheinen Analysen zu herausragenden us-amerikanischen Fernsehserien. Es sind keine Fan-Texte oder Episodenführer, sondern eher Essays, in denen sich die Autoren der Serie aus einer bestimmten Perspektive nähern – beispielsweise untersucht Dominik Graf in dem Band zu „Homicide“ die Erzählweise der Serie und setzt sie in Beziehung der amerikanischen Film- und Fernsehlandschaft. In dem Band zu meiner Lieblingsserie „The Wire“ analysiert Daniel Eschkötter die Serie unter dem Gesichtspunkt des „Abhörens“ – des technischen und erzählerischen. Dadurch spürt er den vielseitigen Zusammenhängen in dieser Serie nach und vermittelt tatsächlich neue Ansatzpunkte.

Wer Interesse an einem Exemplar von Dominik Grafs „Homicide“ hat, der möge sich bitte bei mir melden. Ich hätte nämlich eines zu verschenken. 🙂

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Lynch in „Wo die Löwen weinen“ – Heinrich Steinfest und der Film, Teil V

Auch vor meinem zweiten Beitrag zu „Wo die Löwen weinen“ möchte ich nochmals kurz darauf hinweisen, dass ich auf wichtige Teile der Handlung inklusive des Endes des Romans (und auch von „Mulholland Drive“) eingehen werde. Wer den Roman also noch nicht kennt, sollte ihn besser vorher lesen!

Heinrich Steinfest (c) Konrad Theiss Verlag

In einem Podcast zu „Wo die Löwen weinen“ hat Heinrich Steinfest gesagt, dass sich seiner Meinung nach viele Menschen über das Verhalten von Filmfiguren definierten. Fraglos stimmt diese Einschätzung für seine Romanfigur Lynch, einen türkischen Händler und Filmfan. Auf seine Spur kommt Kommissar Rosenblüt – wie könnte es anders sein – durch ein Filmzitat aus „Mulholland Drive“ von David Lynch, das die Romanfigur Lynch gegenüber dem Geologen Uhl als Drohung äußert: „You will see me one more time, if you do good. You will see me two more times, if you do bad“. Zwar tauschte Lynch sehen gegen hören, aber er will – wie der Cowboy in dem Film – einen anderen Mann dazu bringen, etwas Bestimmtes zu tun und sich dem Willen undurchsichtiger Mächte zu beugen.

Steckt er hinter allem? (c) Concorde Home Entertainment

„Mulholland Drive“ und „Wo die Löwen weinen“ – Der Cowboy und Lynch
Im Roman wird der Geologe Uhl keinen weiteren Anruf von Lynch erhalten. Indes auf die Frage, wie oft der Cowboy in „Mulholland Drive“ zu sehen ist, gibt es unterschiedliche Antworten. Bei fast allen Filmen von David Lynch sind zahllose Interpretationen möglich, so ist beispielsweise auch nicht eindeutig, ob der Cowboy tatsächlich im Auftrag der geheimnisvollen Strippenzieher arbeitet oder eher als (vielleicht sogar imaginierter) Beschützer der fragilen Betty/Diane fungiert. Doch in der konkreten Sequenz, in der er den vom Roman-Lynch zitierten Satz äußert, geht der Zuschauer davon aus, dass er im Auftrag der mysteriösen mafiaähnlichen Organisation handelt. Daher glaube ich, dass auch das Zitat in „Wo die Löwen weinen“ auf diese Hintergründe anspielt. Und tatsächlich ist es äußerst vergnüglich, die Runde um den Geologen Fabian als Parallele zu jenen seltsamen älteren Herren aus „Mulholland Drive“ zu sehen.

(c) Concorce Home Entertainment

Daneben könnte eine weitere Aussage des Roman-Lynchs eine zweite Anspielung auf „Mulholland Drive“ sein. Als Rosenblüt auf Lynch vor dessen Laden trifft, entgegnet er auf dessen Frage nach seinem Hund Kepler, ob er ihn kaufen wolle – betont aber schon im nächsten Satz, dass Kepler unverkäuflich sei. Dieser Rückzieher wird von Lynch mit dem Satz kommentiert, dass er sich wie jemand von den Leuten verhalte, „die einen Killer anheuern und es sich dann anders überlegen“. In „Mulholland Drive“ heuert Betty/Diane einen Killer an, der sie explizit fragt, ob sie sich auch sicher sei. Zwar betont sie in dem Gespräch ihre Entschlossenheit, letztendlich scheint sie an ihrer Entscheidung aber zu verzweifeln.

In diese Richtung weist auch ein weiteres Filmzitat vom Roman-Lynch, das allerdings nicht von seinem namensgebenden Lieblingsregisseur stammt: „Gott ist ein Luxus, den ich mir nicht leisten kann“. Diesen Satz sagt der zynische Judah Rosenthal in Woody Allens „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“, in dem ebenfalls ein angeheuerter Killer eine Rolle spielt – in dem es aber auch um Moral, Religion und Ideale, um gute und schlechte Taten und die Reue nach der Anheuerung eines Profikillers geht. Hier besticht schon die Qualität des Zitats – es gibt schlechtere One-Liner! – und der passende Titel.

(c) Theiss Verlag

Die leeren Räume in „Wo die Löwen weinen“
Scheinbar leere Räume spielen in „Wo die Löwen weinen“ eine große Rolle – in einem „schuhschachtelgroßen leeren Raum“ entdeckt Mach letztlich die schwangere Kriegerin, Kommissar Rosenblüt verschwindet für kurze Zeit in einem aus Spiegel konstruierten unsichtbaren Raum. Auch hier musste ich an „Mulholland Drive“ denken, da eine blaue Schachtel eine zentrale Rolle spielt. Es ist nicht eindeutig festzulegen, ob diese Schachtel leer ist oder lediglich die Zeitsprünge symbolisieren soll. Einmal scheinen sogar zwei wichtige Figuren aus dieser Schachtel zu fliehen. Letztendlich bleibt diese Schachtel ebenso mysteriös wie die vermeintlich leeren Räume in „Wo die Löwen weinen“.

Richard III. (c) Kinowelt

Film-Figuren als Modelle
Dass sich Menschen über Filmfiguren definieren, wird aber auch an zahlreichen anderen Stellen des Romans deutlich. Als Hans Tobik über den Niedergang der Sozialdemokratie sinniert, der völlig unkünstlerisch ist und sich daher nicht zur Verfilmung eignet, moniert der Erzähler auch das Fehlen von Helden wie Bruce Willis oder gar Heinz Rühmann, ja, es gebe noch nicht einmal eine „vom Alkohol lädierte und dennoch zauberhafte Simone Signoret“. Für den verachteten Projektsprecher findet Tobik den Namen Ratcliffe, den Getreuen von Shakespeares Richard III., aber er denkt dabei an die Verfilmung von Richard Loncraine mit Ian McKellen in der Titelrolle. Er selbst wird später von Kommissar Rosenblüt in Ermangelung der Kenntnis des wahren Namens als Cady bezeichnet, jener Antagonist aus „Kap der Angst“. Dieser Name verstärkt auch Bedrohlichkeit von Tobik, da auch Cady am Anfang von Scorseses Films unschuldig wirkt – es aber ganz und gar nicht ist.

Ohnehin werden die Hauptfiguren mit Film-Charakteren respektive Schauspielern charakterisiert. Kommissar Rosenblüt sieht aus wie Robert Redford und die neben ihm und Hans Tobik dritte Hauptfigur, Wolf Mach, ist „(m)eilenweit von einem sogar ungeküssten George Clooney entfernt (…) sein Äußeres (entsprach) viel eher dem Woody Allens“.

Und zum Schluss: „Psycho“
Daneben gibt es eine Stelle in „Wo die Löwen weinen“, an der ich mich fragte, ob ich mit dem Gedanken an „Psycho“ wohl alleine stehe. Als Mach mit Palatin, der für die Beseitigung des Schloßgarten-Mechanismus zuständig ist, das erste Mal den Keplersaal betritt, gelangen sie an „einen durchsichtigen Plastikvorhang“, den sie beiseiteschieben müssen. Hier fiel mir eine Stelle aus Steinfests „ Der Umfang der Hölle“ ein, in der der Protagonist Reisiger in einem Restaurant folgende Assoziation hat: „Die mit Reispapier unterlegten gläsernen Tischplatten und dünnhäutigen Kellner besaßen dieselbe vage Transparenz wie im Falle von Objekten, die sich unter einem Duschvorhang abzeichnen (darunter immerhin auch Mörder, wie man weiß)“. Nun ist es erneut ein durchsichtiger Vorhang, eine „vage Transparenz“, hinter der sich – zumindest aus der Perspektive der Maschine – ein Mörder verbirgt. Selbst ohne den Verweis auf den „Umfang der Hölle“ und ungeachtet der Tatsache, dass dieser Vorhang aus Lamellen besteht, hat seit „Psycho“ das Beiseiteschieben eines Vorhangs immer etwas Bedrohliches. Aber vielleicht interpretiere ich auch zu viel hinein …

Im nächsten Teil zu „Wo die Löwen weinen“ geht es dann vor allem um die Frage, ob Stuttgart allmählich zu „Alphaville“ wird …

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