Wenn ich an Harry Belafonte denke, kommt mir als erstes sein Auftritt in der „Muppet Show“ in den Sinn. Gemeinsam mit den Muppets singt er seine zwei seiner größten Hits: den „Banana Boat Song“ und „Turn the World Around“. Diese Auftritte sollen auch zu Jim Hensons Lieblingsszenen der Show gehören. Für mich war Harry Belafonte daher lange Zeit in erster Linie ein Entertainer, ein singender Schauspieler oder auch schauspielender Sänger. Mittlerweile ist mir sehr bewusst, wie falsch mein Bild war. Denn anlässlich seines 85. Geburtstages sind seine Autobiographie „My Song“ und der Dokumentarfilm „Sing Your Song“ erschienen, die von dem beeindruckenden Leben des Bürgerrechtlers Harry Belafonte erzählen.
Geboren wurde Harry Belafonte am 1. März 1927 unter ärmlichen Verhältnissen in Harlem. Seine Mutter war eine illegale Einwanderin aus Jamaika, die als Hausmädchen Geld verdiente, sein Vater arbeitete als Schiffskoch. Sie lebten in beengten Verhältnissen, der Vater trank und misshandelte seine Frau, später auch seinen Sohn. Mehrfach wurde Harry nach Jamaika zur Großmutter geschickt. Er war ein schwieriges Kind, fühlte sich nirgends zugehörig und mit der Entscheidung, ihn auf Jamaika von seiner geliebten Großmutter zu trennen und auf ein Internat zu schicken, wurde auch die Verbindung zu seiner Mutter gekappt: „Eines Morgens wurde mir beim Aufwachen klar, dass ich auf mich allein gestellt war. Meine Mutter hatte mich verlassen; daran war nichts zu ändern.“ Später kehrte er nach New York zurück, aber er konnte sich weiterhin nicht einordnen. Er kam nicht aus dem Süden, war kein Afro-Amerikaner, aber auch kein „richtiger“ Jamaikaner, er war entweder zu weiß oder nicht weiß genug.
Nach der Highschool meldete er sich als Freiwilliger bei der Navy im Zweiten Weltkrieg und erlebte abermals Diskriminierungen und Ausgrenzen. Dort beschäftigte er sich intensiv mit politischer Literatur, vor allem mit W.E.B. Du Bois. Von seiner Mutter in dem Glauben erzogen, dass er gegen Ungerechtigkeiten kämpfen müsse, beschäftigte er sich immer mehr mit der Überwindung der Rassengrenzen. Dennoch wusste er weiterhin nicht, was er aus seinem Leben machen wollte. Und so arbeitete er nach seiner Rückkehr nach New York zunächst als Hilfshausmeister. Dann bekam er als Dankeschön zwei Karten für das American Negro Theater. Er war fasziniert und wusste, dass er Schauspieler werden wollte. Erst arbeitete er hinter der Bühne mit, dann kamen erste Auftritte. Hier lernte er auch Sidney Poitier kennen, den er trotz all der Auseinandersetzungen mit ihm als seinen besten Freund ansieht. Dank seines Navy Stipendiums konnte Harry Belafonte die New School besuchen und lernte unter anderem zusammen mit Walter Matthau und Marlon Brando. Leben konnte er von der Schauspielerei indes nicht – für schwarze Schauspieler gab es nicht genug Rollen. „Die Einsamkeit, die ich in meiner Jugend so schmerzlich empfunden hatte, dieses bittere Gefühl des Ausgestoßenseins meldete sich mit aller Macht zurück“, bemerkt er in „My Song“ über jene Zeit. Je geringer seine Chancen am Theater waren, desto stärker engagierte er sich politisch: er half bei Agitprop-Stücke, war als Platzanweiser bei Veranstaltungen tätig. Außerdem heiratete er seine erste Frau Margueritte und wurde Vater. Nun musst er den Lebensunterhalt für eine Familie verdienen und ließ sich überreden, in der Pause als Sänger in dem „Royal Roost“ aufzutreten. Bei seinem ersten Auftritt wurde er von Tommy Potter, Max Roach, Al Haig und Charlie Parker unterstützt – und wurde schnell bekannt. Dennoch stellte ihn das Singen von Popsongs nicht zufrieden. Harry Belafonte wollte etwas verändern.
Unter dem Einfluss seines Mentors Paul Robeson begann er sich für die Folkaufnahmen der Library of Congress zu interessieren und erkannte, dass Folkmusik gesellschaftliche Veränderungen herbeiführen kann. Außerdem verstärkte er sein Engagement für die Bürgerrechtsbewegung und die Befreiung Afrikas. Diese Themen sollten sein Leben bestimmen. Als Musiker und Sänger feierte er große Erfolge: von seinem Album Calypso aus dem Jahr 1956 wurden erstmals in der Musikgeschichte eine Million Exemplare verkauft, er spielte in dem ersten schwarzen Spielfilm „Carmen Jones“ mit und bekam eine eigene Fernsehsendung. Dieser Erfolg mit seinem Äußeren zusammen: „Und mein Aussehen und zusätzlich mein karibischer Akzent kamen bei meinem weißen Publikum gut an. Schwarz, aber … nicht zu schwarz“.
Doch Harry Belafonte wollte seinen Erfolg für gute Zwecke nutzen. Und dann klingelte im Frühjahr 1956 sein Telefon – Martin Luther King Jr. wollte mit ihm sprechen. Diese Begegnung beeindruckte ihn zutiefst und er schildert ausführlich seine Zusammenarbeit mit Martin Luther King Jr. Fortan unterstützte er ihn auf verschiedenste Weise, sammelte Geld, organisierte Spendenveranstaltungen und brachte sogar unter Lebensgefahr mit Sidney Poitier Geld nach Mississippi, um die Registrierung der Wähler zu unterstützen. Er nahm an den March on Washington und anderen Veranstaltungen der Civil Rights Movement teil.
Dieses Engagement hat bis heute nicht nachgelassen. Harry Belafonte kämpfte gegen die Apartheid und Hungersnöte in Afrika, er regte den Song „We are the World“ an, verhalf Miriam Makeba und sogar Bob Dylan zu ersten Auftritten und setzt sich immer wieder gegen Diskriminierungen ein. Zugleich arbeitet er weiter als Schauspieler und Sänger. „Ich war kein Künstler, der Aktivist geworden war. Ich war ein Aktivist, der Künstler geworden war. Seit den Tagen da meine Mutter mir das eingebläut hatte, war ich von dem Bedürfnis getrieben, mich gegen jede Ungerechtigkeit auf jede mir mögliche Weise aufzulehnen.“
Dennoch bestand das Leben für Harry Belafonte gerade in den 1950er und 1960er Jahren nicht nur aus Erfolgen. Er musste erkennen, dass seine Therapeutin und sein Manager ihn bespitzelten und belastendes Material an das FBI weiter gaben. Außerdem wollten sie ihn über an andere Progressive herankommen. Seine Ehe mit Margueritte scheiterte und er fürchtete, dass er ein ebenso abwesender Vater sein wird wie es sein eigener war. Nach der Scheidung heiratete er Julie Robinson – eine Weiße. Viele nahmen daran Anstoß und die rassistischen Anfeindungen wurden noch stärker. Oftmals glaubte er, die Situation im Griff zu haben – aber nicht immer lag er mit dieser Einschätzung richtig.
Gerade im Vergleich zu der Dokumentation von Susanne Rostock erzählt Harry Belafonte in seiner Autobiographie, die er mit dem Journalisten Michael Shnayerson verfasst hat, von den Schattenseiten seines Lebens ausführlicher. Er berichtet von seinen Wutanfällen, von Affären, seinen drei Ehen, von persönlichen Erlebnissen und Einsichten, von dem Showgeschäft und dem FBI. Außerdem erzählt er von seinen Kindern, seiner Abwesenheit als Vater und ihren Versuchen, eine eigene Karriere zu finden. Mittlerweile scheinen sie ihren Weg gefunden zu haben – und seine Tochter Gina hat sogar als Westküsten-Produzentin bei dem Dokumentarfilm mitgewirkt und viele Interviews geführt. Aber es war für sicherlich nicht leicht, mit dem Erbe ihres Vaters zurechtzukommen. Zumal er ihnen – das klingt wenigstens zwischen den Zeilen – keine große Hilfe war.
Sicherlich versucht Harry Belafonte gerade bei seinen Fehlern einiges im Nachhinein abzuschwächen. Doch gerade mit diesen vermeintlichen Schwächen ist er ein beeindruckender Mensch, der in dieser lesenswerten Autobiographie nicht nur aus seinem Leben, sondern auch von der Geschichte der USA erzählt.