Krimi-Kritik: „Unter Brüdern“ von Pete Dexter

(c) Liebeskind

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Bereits 1991 ist „Brotherly Love“ von Pete Dexter in den USA erschienen, nun liegt der Roman im Liebeskind-Verlag in deutscher Übersetzung von Götz Pommer vor. Die brüderliche Liebe ist denn auch zentrales Motiv dieses Romans. Er beginnt mit einem kurzen Zeitungsartikel, in dem der Tod der Protagonisten im Jahr 1986 gemeldet wird. Danach springt die Handlung zurück in das Jahr 1961. Der achtjährige Peter Flood ist mit seiner kleinen Schwester im Garten. Sie spielen und toben, aber er weiß, dass er auf seine Schwester aufpassen muss. Dann nähert sich ein Wagen, gerät auf einer Eisfläche ins Schleudern und Peter – aus Angst vor dem Hund des Nachbarn wie gelähmt – sieht mit an, wie seine Schwester von dem Wagen erfasst und durch die Luft geschleudert wird.

Mit dem Tod seiner Schwester verändert sich alles. Seine bereits vorher depressive Mutter wird in eine psychiatrische Klinik gebracht, sein Vater ist erfüllt von Zorn und Trauer. Er will den Nachbarn – den Fahrer des Autos – töten, erhält jedoch die Order, ihn zu verschonen. Denn Charley Flood ist wie sein Bruder Phil in der Gewerkschaft, die in Philadelphia das Sagen hat. Und Gewerkschaftsboss Constantine will nicht, dass der Nachbar getötet wird, weil er ein korrupter Polizist ist, der mit ihnen und den Italienern zusammenarbeitet. Jedoch kann Charley nicht loslassen – und handelt eines Tages. Darauf folgt das zweite Ereignis, das Peters Leben überschatten wird: Sein Vater fährt mit seinem Bruder weg und kehrt nicht mehr zurück.

Fortan lebt Peter mit seinem Onkel Phil, seiner Tante und Cousin Michael zusammen. Onkel Phil möchte, dass sie sich selbst als Brüder betrachten, mit den Jahren werden sie von der Umwelt auch so wahrgenommen. Peter vergisst jedoch niemals, dass sie Cousins sind. Seit dem Unfalltod seiner Schwester scheint er von Schuldgefühlen bestimmt zu sein, zugleich verspürt er den Wunsch, dass Verschwinden seines Vaters nicht zu rächen, aber auch nicht zu vergeben.

Niemand hat das Verschwinden damals hinterfragt, jeder ahnt, was passiert ist. Aber es wird nicht darüber geredet, nicht in Philadelphia in diesem Viertel. Denn die brüderliche Liebe zwischen den Iren ist das Gegenkonzept zur „la familia“ der Italiener. Sie soll den Zusammenhalt und den Fortbestand der Bündnisse sichern. Deshalb kann sich auch Peter aus den familiären Banden nicht lösen, ist jedoch weitaus weniger bereit, sich auf sie zu verlassen als sein Cousin Michael. Er ist – wie sein Vater – ein stiller Mensch mit einem Sinn für Würde und richtiges Handeln, außerdem weiß er um ihre tödliche Gefahr. Jedoch kann auch er dem Schicksal und den Regeln der Gemeinschaft nicht entkommen.

„Unter Brüdern“ erfordert aufmerksames und konzentriertes Lesen, damit sich die Einsichten in die Charaktere entfalten. Es ist ein stilles, aufwühlendes und düsteres Buch, in dem die Resignation eines Kindes schmerzlich nachvollzogen und weiterentwickelt wird. Daneben liefert es Inneneinsichten in das Leben in einer Gemeinschaft, in der die Kontrolle über Arbeitsplätze gleichbedeutend mit gesellschaftlicher Macht und Skrupellosigkeit ist.

Pete Dexter: Unter Brüdern. Übersetzt von Götz Pommer. Liebeskind 2014.

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3 Gedanken zu „Krimi-Kritik: „Unter Brüdern“ von Pete Dexter

  1. Peter Huber

    Pete Dexter ist wirklich ein begnadeter Erzähler. Ich lasse mich unheimlich gern von ihm mit auf die Reise mitnehmen. Bei ihm ist kein Wort vergeudet, er ist unglaublich effizient. Ich liebe das zunehmend. So auf den Punkt schreiben zu können, ist große Kunst. Leider hat mir bei “Unter Brüdern” am Ende irgendwas gefehlt. Ich muss dafür aber erst Worte finden. Es war nur so ein Gefühl…

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    1. Zeilenkino Beitragsautor

      Da bin ich gespannt. Während des Lesens dachte ich einige Male, dass man aus dieser Geschichte auch ein größeres Panorama der Gewerkschaften in Philadelphia hätte machen können. Aber je länger die Lektüre zurückliegt, desto mehr denke ich, nee, es war schon gut so. Es ist bei Pete Dexters Büchern oft so, dass sie ihre Wirkung erst im Nachhinein entfalten und nicht sofort beim Lesen umhauen.

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  2. Pingback: Pete Dexter: Unter Brüdern | crimenoir

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