Das Krimi-Debüt der schottischen Autorin Danielle Ramsey beginnt mit dem Mord, der aus der Perspektive des Opfers geschildert wird. Das ist ein spannender und konventioneller Auftakt für einen Krimi, der sich auch im weiteren Verlauf weitgehend an die Regeln des Genres hält: Die 15-jährige Sophie wurde ermordet und ihr Gesicht wurde entsetzlich verstümmelt. Nachdem er als Folge einer Schussverletzung für sechs Monate außer Dienst war, wird Detective Inspector Jack Brady an den Tatort am Strand von Whitley Bay im Nordosten Englands gerufen. Er soll die Ermittlungen übernehmen, obwohl sein alter Freund und Kollege DI Jimmy Matthews eigentlich dafür vorgesehen war. Aber er hat sich am Tatort wie ein Laie benommen und wurde daraufhin abgezogen. Von Anfang an kommt Brady die Sache merkwürdig vor – und schon bald erfährt er, dass er mit seinem Argwohn richtig liegt: Jimmy Matthews kannte die Tote und war offenbar der letzte, der sie lebend gesehen hat.
Danielle Ramsay verwendet sehr viel Sorgfalt darauf, das Umfeld ihrer Hauptfigur Jack Brady – Parallelen zu Harry Hole sehe nicht nur ich in dieser Figur – zu beschreiben. Seine Ehe mit der schönen Anwältin Claudia steht vor dem Aus, seit sie ihn im Bett mit einer anderen Frau erwischt hat. Sie verließ ihn, als er angeschossen im Krankenhaus lag, weder von der körperlichen noch der seelischen Verletzung hat er sich ganz erholt. Seine Probleme löst er in der Regel mit Whisky – und er gilt als Schürzenjäger. Aufgewachsen ist er in den Ridges, daher kennt er auch noch den Gangsterboss Madley, der mittlerweile in Whitley Bay das Sagen hat. Brady hat hingegen von dem derzeitigen Polizeichef eine Chance erhalten und sich langsam zum Detective Inspector hochgearbeitet. Alles in allem ist Brady also ein Polizist der alten Schule: versoffen, solidarisch und stets auf der Suche nach der Wahrheit. Diese Eigenschaften klingen im Verlauf des Buches immer wieder an, so dass der im Grunde genommen spannende Fall in den Hintergrund rückt. Hier wären einige Kürzungen wünschenswert gewesen, da beispielsweise die stete Wiederholung, dass nahezu jede Frau in diesem Buch Brady verfällt, das Tempo unnötig verlangsamt. Stattdessen hätte Danielle Ramsey ihren Nebenfiguren mehr Raum geben und differenzierter ausgestalten können. Außerdem würde ich mich mehr Lakonie in der Sprache wünschen – denn ein solcher Ermittler braucht einen entsprechenden Stil.
Insgesamt bietet „Engelsgrab“ solide Krimi-Unterhaltung und nimmt – nach dem der Fall eigentlich gelöst scheint – auch richtig Fahrt auf. Es sind vor allem diese letzten Seiten, die sehr deutlich machen, dass dieser Kriminalroman als Auftakt zu einer Reihe zu sehen ist. Das erklärt die breite Einführung, die künftige Konflikte vorbereiten soll. In England ist der zweite Teil bereits erschienen.
Danielle Ramsay: Engelsgrab. Übersetzt von Gabriele Weber-Jarić. Piper 2012.
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Krimi-Couch