Früher „gingen“ wir noch ins Internet, heute sind wir im Internet. Wir kaufen dort ein, spielen, chatten, mailen oder arbeiten. Auch die Figuren in Henry-Alex Rubins Spielfilmdebüt „Disconnect“ sind ständig online: Derek (Alexander Skarsgård) spielt lieber Poker als mit seiner Frau Cindy (Paula Patton) zu reden und verdrängt den Tod seines Sohnes Ethan. Cindy sucht indes Hilfe in einer Online-Selbsthilfegruppe und hat dort einen verständigen Zuhörer (Michael Nyberg) gefunden. Der Schüler Ben (Jonah Bobo) ist ein Außenseiter an seiner Highschool und lebt für seine Musik. Deshalb freut er sich sehr, als er von einer gewissen Jessica über Facebook kontaktiert wird. Scheinbar verbindet sie die Liebe für Musik, deshalb öffnet er sich ihr – und ahnt nicht, dass seine Mitschüler Jason (Colin Ford) und Frye (Aviad Bernstein) hinter dem Profil stecken und ihn bloß stellen wollen. Bens Vater Rich (Jason Bateman) ist ein vielbeschäftigter Anwalt, der selbst am Abendbrottisch mehr auf sein Blackberry als seine Kinder achtet und nicht merkt, wie einsam sein Sohn ist. Jason Vater Mike (Frank Grillo) ist hingegen ein ehemaliger Cop, der sich als Privatdetektiv auf Cyberverbrechen spezialisiert hat. Und der junge Kyle (Max Thieriot) verdient wiederum Geld, indem er Cyber-Sex anbietet. Als die Reporterin Nina Dunham (Andrea Riseborough) bei Recherchen auf ihn aufmerksam wird, wittert sie eine Story, die ihre Karriere entscheidend voranbringen könnte. Diese Handlungsstränge verbinden sich teilweise im Verlauf des Films, es gibt Begegnungen und Verwicklungen, dramatische Zwischenfälle und Enttäuschungen, über weite Strecken bleiben sie jedoch unverbunden. Dadurch erinnert der Film über weite Strecken an „L.A. Crash“ – an die Stelle der Straßen von Los Angeles sind die Datenautobahnen getreten – jedoch ist seine Tendenz zum Melodramatischen weiter ausgeprägt. Außerdem entfalten sich in „Disconnect“ zwar vielschichtige Beziehungen, aber insbesondere in der ersten Hälfte leidet der Film darunter, dass Regisseur Henry-Alex Rubin zu viel Zeit darauf verwendet, die einzelnen Handlungsstränge zu entwickeln und die Figuren einzuführen. Dafür ist ihr Verlauf insgesamt zu vorhersehbar.
„Disconnect“ zeigt den vielfältigen Umgang mit dem Internet. Es ist Ablenkung, Täuschung und sogar Zerstörung, dabei taucht der Film in verschiedenste Welten ein: der Anwalt, der seinen Blackberry selbst beim Abendbrot auf dem Tisch liegen hat, die trostsuchende Mutter, die Verständnis findet, der Cyber-Privatdetektiv, der alle Schattenseiten kennt – und der minderjährige Ausreißer, der sich im Netz prostituiert. Diese Welten sind verschiedenen – und durch das Produktionsdesign auch deutlich zu trennen –, durch den Computer und der ihnen innewohnenden Einsamkeit verbunden sind. Jedoch sind die Gefahren, auf die Henry-Alex Rubin beständig hinweist, mittlerweile allgemein bekannt, und sie werden auch allzu breit behandelt. Deshalb bei „Disconnect“ vor allem die Besetzung bemerkenswert: Max Thieriot und Andrea Riseborough sind ein fantastisches Duo als junger Prostituierter und Journalistin, Jonah Bobo bewegt als trauriger Teenager und Paula Patton harmoniert mit Alexander Skarsgård als Ehepaar sehr gut. Im Zusammenspiel mit der guten Musik und der guten Kameraarbeit ist „Disconnect“ daher ein gediegener Episodenfilm.
Der Film startet am 30. Januar 2014 in den deutschen Kinos.