Domestic Thriller – „The Couple“ von Araminta Hall

„Man kann sich auch mit allzu viel Scharfsinn darum bemühen, die Wahrheit herauszufinden. Bisweilen muss man einfach anerkennen, dass deren Züge verschleiert sind. Natürlich ist dies eine Liebesgeschichte“. Dieses Zitat von Iris Murdoch steht am Anfang von Araminta Halls „The Couple“. Danach beginnt Mike, von seiner Beziehung zu Verity zu erzählen, die er meistens V nennt. Und für ihn ist das fraglos eine Liebesgeschichte.

(c) Heyne

Kennengelernt haben sie sich während des Studiums. Schon damals konnte er kaum fassen, dass die reiche, beliebte, wunderschöne V sich mit ihm abgibt, dem stillen, seltsamen Pflegekind mit traumatischer Kindheit. Acht Jahre waren sie zusammen, nun hat sich V von ihm getrennt, ihm sogar eine Einladung zu ihrer Hochzeit geschickt. Doch Mike hat eine andere Deutung ihres Verhalten: Er glaubt, sie spielen ein „neues, erheblich komplexeres Crave“. Crave war ihr Lieblingsspiel während ihrer Beziehung: Sie gehen getrennt in dieselbe Bar, warten, dass V von einem anderen Mann angesprochen wird und auf ihr Zeichen hin – ein Griff an den Adler-Anhänger ihrer Halskette – kommt Mike und fragt den Typen, warum er seine Freundin anmacht. Meistens weicht der Typ dann zurück und diese Demonstration von Macht und Zugehörigkeit erregt Mike und V ungemein. V hat dem Spiel den Namen gegeben, V hat die Kontrolle – doch am Ende dieser Runde sitzt Mike im Gefängnis, weil er des Mordes an Vs Ehemann verdächtigt wird.

Fatale Beziehungsbilder

In den ersten beiden Teilen von „The Couple“ erzählt Mike – äußerst unzuverlässig und beinahe enervierend redundant – von den Monaten vor der Tat. Jede Nachricht, jedes Verhalten von V wertet er als Beweis dafür, dass es sich um ein Crave handelt. Er versteht alles, wie er es verstehen will. Dass ihm vorgeworfen wird, er würde V „zu sehr lieben“, versteht er indes nicht. So etwas gibt es in seinen Augen nicht. Die Grenzüberschreitungen und -verletzungen sind beim Lesen offensichtlich, auch würde ich das, was Mike empfindet, nicht Liebe nennen, sondern grenzenlose Idealisierung und Abhängigkeit. Dazu passt es, dass das Spiel Crave heißt und Mike und Verity zueinander sagen „I crave you“. In der deutschen Übersetzung von Jens Plassmann wird daraus das sprachlich wenig elegante „Ich giere nach Dir“. Für diese Entscheidung spricht, dass Gier dem Gefühl, das Mike gegenüber V hat, weit mehr entspricht als Sehnsucht – aber dennoch habe ich mich gefragt, ob nicht „Ich verzehre mich nach Dir“ geläufiger gewesen wäre.

Diese Beziehung war nicht perfekt, weil zwei Menschen gut zusammenpassen. Sie war perfekt, weil sich Mike von Verity hat formen lassen, wie sie es gerne hätte. Er hat trainiert, um den Körper zu bekommen, den sie sich wünscht. Er pustet nicht auf sein Essen, wenn es heiß ist, weil sie das nicht mag. Er benutzt bestimmte Ausdrücke nur auf ihren Wunsch hin, um ihre Eltern zu brüskieren. V hat Mike zu dem Mann gemacht, der er heute ist. Ständig erwähnt er, dass er etwas „V zuliebe“ gemacht hat. Sein gesamtes Denken ist davon bestimmt, ob es V gefallen, gutheißen oder nur mögen würde. V hat große Kontrolle über ihn. Er wartet nur auf ihr Zeichen, um so zu handeln, wie sie es will.

Genre-Erwartungen

Diese Kontrolle ist der Ansatzpunkt im dritten Teil: Die Verteidigungsstrategie von Mikes Anwalt sieht vor, dass V ihn dazu gebracht hat, ihren Ehemann zu ermorden, um an dessen Vermögen zu kommen. Und hier wird „The Couple“ sehr interessant. Seit „Gone Girl“ misstrauen Leser*innen insbesondere den Frauenfiguren in Domestic Thrillern, allzu oft haben sie sich als manipulativ oder psychisch krank erwiesen. Verity bietet dank Mikes Perspektive ausreichend Ansatzpunkte: sie ist die einzige Tochter reicher Eltern, Vorzeigeschülerin mit perfektem Benehmen – allerdings weicht sie unangenehmen Situationen aus. Sie hat dieses beneidenswerte selbstverständliche Selbstvertrauen, dass die Welt sich ihr schon anpasst.

Dazu kommen Widersprüche in ihrem Verhalten: Warum trägt sie zum Beispiel immer noch die Adler-Halskette, die Mike ihr geschenkt hat? Warum ist sie nicht zur Polizei gegangen? Mit diesen Vorverurteilungen und Bewertungen ihres Verhaltens spielt Araminta Hall durchaus geschickt, aber leider wird diese im Nachwort von Araminta Hall aufgelöst. Sie schreibt, dass „erste Fassung dieses Buchs (…) in einem wilden Wutanfall über das andauernde Unrecht, das Frauen in unserer vermeintlich ach so zivilisierten Gesellschaft widerfährt“ entstand. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass gerade der Domestic Thriller sich hervorragend für eine solche Erzählung eignet, weil zu ihm die Annehme gehört, dass Frauen skrupellose Lügnerinnen sein können. Doch „The Couple“ ist keine „sagte er, sagte sie“-Geschichte; sie hat gar nichts zu sagen. Deshalb trägt es insgesamt eher zu der „Männerdominanz“ in der Welt bei, als sie tatsächlich zu hinterfragen.

Araminta Hall: The Couple. Übersetzt von Jens Plassmann. Heyne 2020.

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