„Ich bin müde“, sagt zu Beginn von Bertrand Bonellos Film „Haus der Sünde“ eine Dame im Negligé. Sie arbeitet in dem Pariser Luxusbordell „L`Appollonide“ und gibt mit diesem Satz bereits die Richtung des Films vor: Im schwummerigen Licht des Kerzenscheins und mit beinahe benommener Ruhe erzählt Bertrand Bonello von den letzten Wochen eines Bordells. Dabei gibt es keinen strukturierenden Plot, sondern gemäß des Originaltitels „L’Apollonide – Souvenirs de la maison close“ versammelt Bertrand Bonello in loser Szenenfolge Erinnerungen an eine vergangene Zeit.
Insbesondere in der Ausstattung und den Kostümen wird das Ende des 19. Jahrhunderts wieder lebendig: Jeden Abend marschieren die Mädchen in ihren engen Korsetts, fließenden Gewändern und kunstvollen Frisuren in den Salon, in dem die Herren auf sie warten. Daneben gibt es Anspielungen auf die Kunst und Vorstellungen der Zeit. Ein Freier ist fasziniert von dem Anblick des weiblichen Geschlechts und sein Name erinnert an Gustave Courbets, dessen „Ursprung der Welt“ gespreizte Frauenschenkel darstellt. Ein anderer Kunde spricht über die Dreyfus-Affäre. Dabei blickt Bertrand Bonello zugleich hinter die Fassade des luxuriösen Bordells, zu dessen Alltag die Reinigung nach dem Sex, die allgegenwärtig Angst vor der Syphilis und die mitunter absonderlichen Wünsche der Kunden gehören. So verlangt ein Freier von einer der Prostituierten, sich wie eine mechanische Puppe zu verhalten. Hier wird sie zu jenem Sex-Automaten, zu denen die Frauen von ihren Kunden gemacht werden – außerdem erinnert die mechanische Puppe an „Hoffmans Erzählungen“.
An diesem Beispiel wird die Kunstfertigkeit von Bonellos Film deutlich: Er ist ein Abgesang auf die Opulenz und Dekadenz der Belle Époque, der zugleich das Machtverhältnis zwischen Freier und Prostituierter thematisiert. Wenn zum Beispiel ein Kunde eine junge Prostituierte in eine Badewanne setzt und mit Champagner übergießt, dann ist es für sie vor allem kalt und klebrig. Hier kontrastiert die Realität den Wunschtraum des Freiers. Bei ihrer Arbeit sind die Frauen bemüht, den Männern zu gefallen, sie geben sich lasziv, aufmerksam und lustvoll. In ihrem Schlafraum sind sie hingegen sehnsuchtsvoll und auf der Suche nach Geborgenheit. Hier wird ihre Hoffnung deutlich, dass eines Tages ein Freier kommt, der ihre Schulden bei Madame Marie-France (Noémie Lvovsky) bezahlt und sie aus dem Bordell herausholt. Doch die Wirklichkeit zeigt eine Szene, zu der der Film immer wieder zurückkehrt: Die schöne Madeleine (Alice Barnole) wurde einst von einem ihrer Lieblingsfreier mit einem Messer die Wange aufgeschlitzt. Als sie ihn bat aufzuhören, sagte er lediglich, dass er zahle – und somit auch entscheide.
Das „Haus der Sünde“ ist ein Film, der aufgrund seiner Stimmung nicht langweilt, obwohl wenig passiert. Dazu trägt auch bei, dass Bonello mit der Musik einen gelungenen Kontrapunkt zu dem Produktionsdesign seines Filmes setzt. Hier greift er auf anachronistische Lieder zurück, so dass die Szene, in der die Prostituierten zu „Nights in White Satin“ tanzen, zu einem melancholischen Moment wird. Für einen kurzen Augenblick erschienen sie in ihrer Traurigkeit frei.