Bereits im ersten Absatz fällt der erste Schuss in Max Annas‘ „Die Farm“. Gerade noch stand Franz Muller neben dem Vertreter Kobus Print und sagte den ominösen Satz „Ich bin ja kein Rassist“, (…), „Aber …“ als es „plopp“ machte und der Vertreter auf den Boden sank. Dieser Schuss ist erst der Anfang einer neunstündigen Belagerung von Mullers Farm, die ihn zusammen mit seiner Familie, einer Nachbarin, einem Polizisten sowie seinen Arbeitern im Farmhaus einkesselt. Neun Stunden, in denen einige Menschen sterben. Neun Stunden, in denen sich jeder fragt, welche Gründe es für die Belagerung gibt. Und neun Stunden, bis die Polizei ahnt, dass auf der Farm etwas vorgehen könnte.
Die Ausgangssituation von „Die Farm“ erinnert an John Carpenters „Assault on Precint 13“, der wiederum eine Hommage an Howard Hawkes „Rio Bravo“ ist: Es kommt zu der Belagerung eines Gefängnis („Rio Bravo“), einer Polizeistation („Assault on Precint 13“) oder einer Farm und aufrechte Männer versuchen, die Ordnung aufrechtzuerhalten und Leben zu retten bis Hilfe kommt. Allerdings ist Franz Muller alles andere als aufrecht und unbescholten. Er ist ein weißer Farmbesitzer in Südafrika und schon das im ersten Absatz angefügte „aber“ verweist deutlich darauf, dass er ein Rassist ist. Für ihn gibt es eine gesellschaftliche Ordnung, die seit dem Ende der Apartheid aus den Fugen geraten ist – und wenngleich er es nicht gerne zugibt, fühlt er sich von seinen schwarzen Arbeitern bedroht. Deshalb weigert er sich sogar in der Belagerungssituation lange, ihnen ebenfalls Waffen auszuhändigen.
Lange glaubt Muller, es könnte einen Grund für die Belagerung geben, die mit ihm oder seiner Position als weißer Farmer zusammenhängt. Daneben haben aber auch die im Haus Festsitzenden verschiedene Gründe zu der Annahme, sie hätten diese Situation verursacht. So hat Mullers Sohn die Tochter eines Arbeiters vergewaltigt und Mullers Vorarbeiter half einst bei dem Verscharren einer Leiche. Dadurch gibt es bereits innerhalb des Hauses zwei Spannungsfelder: Was wollen „die da draußen“? Und: Wie sicher sind wir „hier drinnen“? Hinzu kommt die Situation der „da draußen“, die im Gegensatz zu Carpenters Film durchaus geschildert wird. Sie sind überrascht von der Gegenwehr, die aus dem Haus kommt, und bald zeigt sich zudem, dass ihr Vorgehen nicht gut genug geplant ist.
Dennoch ist „Die Farm“ keine Hommage an Carpenters Film. Max Annas nutzt die bekannte Ausgangssituation und erzählt auf 188 Seiten in kurzen, mit Zeitangaben übertitelten Abschnitten zum einen vom Alltag in Südafrika, in dem Farmen überfallen werden – und je entlegener die Farm, desto besser scheint sie sich zu eignen. Zum anderen zeichnet er anhand des Mikrokosmos einer Farm ein Bild von der Schieflage der südafrikanischen Gesellschaft. Dazu gehören Rassismus, der Hass der Schwarzen auf die Weißen und vor allem eine historisch bedingte, strukturelle Ungleichheit, auf die auch Jahrzahnte nach Ende der Apartheid keine Antwort gefunden wurde.
Und daneben ist noch etwas (leider) bemerkenswert: Die mutigste Person in „Die Farm“ ist eine Frau. Bereits Carpenter hat mit der Polizeisekretärin Julie (Nancy Loomis) eine tolle Figur geschaffen, die selbständig und besonnen handelt, aber gelegentlich Unterstützung von dem Gangster braucht und auch als love interest fungiert. Bei Max Annas ist die religiöse Nachbarin Jayne McKenzie schlichtweg die cleverste und vernünftigste Person im Haus, die Entscheidungen trifft und stark ist. Einfach so. Weil sie es kann.
Max Annas: Die Farm. Diaphanes 2014.
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