Die Hunde bleiben weiter präsent in den Texten, die in Klagefurt gelesen werden. Ansonsten aber war dieser zweite Tag stärker als der erste. Leider konnte ich heute keine der Lesungen live sehen, habe aber die Texte gelesen, in den Vortrag reingehört und mir anschließend die Jury-Diskussion angehört – bis auf die Diskussion zu Olga Martynova, dort wurde zweimal die Lesung anstellte der Diskussion eingestellt. Hier greife ich auf die ausführliche Zusammenfassung auf der Homepage des Bachmannpreises zurück.
Den Auftakt des heutigen Lesetages machte Inger-Maria Mahlke, die von Burghard Spinnen vorgeschlagen wurde. Ihr Romanauszug erzählt von einer allein erziehenden Mutter, die durch eine Freundin einen Job als Domina vermittelt bekommt. Bei Twitter von Wolfgang Tischer vom Literaturcafé amüsant beschrieben mit: „Das ist jetzt quasi „50 Shades of Grey“ fürs Bachmann-Publikum“, ist der eindringliche Text bei einigen Juroren auf sehr große Resonanz gestoßen. Hildegard Keller betonte die Virtuosität in der Beschreibung der Oberflächen, vermisste aber die Tiefe in dieser Selbstbefragung. Hubert Winkels lobte insbesondere die Perspektivität des Textes, sagt aber auch, dass ihm fast zu viel Geschichte ist. Für Caduff ist es ein eindringlicher Text über Ausweglosigkeit, die von einer Station zur anderen eilt, dagegen bezeichnet ihn Meike Feßmann als sprachlich öde. Mir hat ebenfalls gefallen, dass der Text eindringlich von dem Wunsch nach Kontrolle erzählt. Der Sohn Lukas kontrolliert sein Umfeld, in dem er zwanghaft ordentlich ist und kümmert sich um seine Mutter. Manchmal scheint es, als übernähme er die Verantwortung für sie. Dagegen flüchtet sich die Mutter in einen Waschzwang und bekommt schließlich die Gelegenheit, tatsächlich Kontrolle auszuüben, bleibt aber in ihrer Abhängigkeit.
Danach las Cornelia Travnicek ihren Text „Junge Hunde“, ebenfalls ein Auszug aus einem Roman. Darin betrauert die Protagonistin den Tod ihres Hundes und den Umzug des Vaters in ein Altersheim. Die Geschichte ist lebendig erzählt, wenngleich manche Beschreibungen ein wenig ausufernd sind. Meike Feßmann hat die Geschichte sehr gut gefallen, auch Daniela Strigl hat große Sympathie für den Text. Sie betont, dass scheinbar naiv erzählt werden, aber der Leser immer wieder überrascht wird durch die Einfälle. Dagegen hatte Corina Caduff Schwierigkeiten mit der Sprache, insbesondere die Wiederholung einzelner Wörter kurz hintereinander. Außerdem sagte sie, dass der Autorin noch ein wenig der eigene Ton fehle. Auch Paul Jandl monierte die Sprache, die banal und simpel sei.
Die letzte Autorin des Vormittags war Olga Martynova, die den Text „Ich werde sagen ‚Hi‘“ gelesen hat. Hier bin ich sehr froh, dass ich den Text selbst gelesen habe und anschließend der Autorin kurz zugehört habe. Denn ich weiß nicht, ob mir der Text als dritter am Vormittag sonst auch so gut gefallen hätte. Es ist ein auf den ersten Blick angenehmer Text, in dem es aber viel zu entschlüsseln gibt. Vordergründig erzählt er von einem jungen Mann, der Urlaub bei seiner Tante und seinem Onkel macht und einem Mädchen begegnet. Er will es ansprechen, findet aber den Anfang nicht. Zugleich will er Schriftsteller werden, hält sich aber derzeit noch mit Reflexionen, Notizen sowie den richtigen äußeren Mitteln auf. Dabei entsteht durch Verweise auf die Geschichte und auf Requisiten des modernen Lebens ein interessantes Spannungsfeld. Hubert Winkels hat der Text ebenfalls sehr gut gefallen, da er das Große im Kleinen widerspiegele und sich durch die Zeiten mäandere. Daniel Strigl lobte den „hintersinnig-lakonisch-anarchischen Witz“ der Geschichte, Meike Feßmann die luftige Erzählweise. Paul Jandl, der die Autorin nach Klagenfurt eingeladen hat, beschreibt den Text als „hocherotisch“.
Danach las Lisa Kränzler den Text „Willste abhauen“, eine Geschichte über zwei Mädchen, die aus verschiedenen sozialen Schichten stammen und Freundinnen werden. Sie erzählt von einer sexualisierten Kindheit und vom Missbrauch der sozial Schwächeren. Namen und Ortsangaben werden nicht konkret genannt, sondern mit vermeintlich typischen gereihten Benennungen macht Lisa Kränzler die Beliebigkeit ihrer eigenen Geschichte deutlich. Burkhard Spinnen betont die Schwierigkeit, exemplarische Kindheiten zu beschreiben und hält Kränzlers Text für einen hochinstrumentalisierten Versuch. Mir hat hier gut gefallen, dass die Erzählerin niemals vorgibt, noch ein Kind zu sein, sondern die erwachsene Perspektive stets durchschimmert. Corina Caduff hat der Text nicht so gut gefallen, aber sie betonte, dass sie die weitere Entwicklung der Autorin interessiere. Das ist dann eher eine Bemerkung, die man bei einem solchen Wettbewerb wohl nicht hören möchte. Dagegen war Paul Jandl mit der Konstruktion und Stil des Textes zufrieden.
Abschließend las Simon Froehling den Text „Ich werde dich finden“, einen Auszug aus einem Roman. Hier hat mir der überkonstruierte Anfang des dauernden Sterbens nicht gefallen. Erzählt wird das Schicksal von zwei Familien: Eine Frau stirbt und hinterlässt einen Mann und eine Tochter, zugleich rettet sie mit ihrem Tod einem jungen Mann das Leben, indem er ihre Niere erhält. Nachdem der Operation macht er sich auf den Weg, seine Lebensretterin zu finden. Die Jury zeigte sich nicht begeistert von dem Text. Hildegard Keller waren die Figuren zu blass, Daniela Strigl bemängelte hingegen, dass zu viel erklärt werde. Paul Jandl bemerkte Kitsch im Text, dagegen fand es Cornila Caduff, die den Autor auch vorgeschlagen hatte, gut, dass Themen außerhalb der Literatur aufgegriffen werden.
Insgesamt war es ein guter zweiter Tag, an dem mir vor allem die Texte von Inger-Maria Mahlke und Olga Martynova gefallen habe. Morgen werde ich wieder vor dem Fernseher sein, was gerade bei den Jury-Diskussionen ansprechender ist. Aber ich werde die Texte dennoch das erste Mal alleine lesen. Das hat mir heute gut gefallen. Und nun bin ich gespannt, was morgen die vier verbleibenden Autoren vortragen werden.