Krimi-Kritik: „Havarie“ von Merle Kröger

(c) Ariadne

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Das Mittelmeer ist der Ort, an dem sich alle Handlungsstränge und Schicksale in Merle Krögers „Havarie“ kreuzen, auf vier Schiffen sind die Figuren unterwegs:
Auf dem Kreuzfahrtschiff „Spirit of Europe“ vergnügen sich ordinäre Pauschalurlauber, belächelt von wohlhabenden Kabinenurlaubern mit eigenem Bereich und umsorgt von einer internationalen Crew. Die Passagiere fühlen sich sicher, dafür sorgt die perfekte Maschinerie des Dampfers, die die Arbeitssklaven in Wäscherei und anderen Orten sorgsam vor den Augen der Passagiere verbirgt. Sicherheitschef Nikhil Meta liefert ordentliche Arbeit und Ergebnisse mit Ausbeutung und Erpressung, unterdessen himmelt seine Untergebene Lalita – eine Gurkha – den Sänger des Bordband an, der aber nach einem Annäherungsversuch verschwunden scheint und der erste Offizier Léon Moret denkt an seine Freundin.
Auf einem Schlauchboot schmuggelt der Algerier Karim Landsleute in einem Schlauchboot nach Europa. Er kennt die Gefahren dieser Tour, hofft auf weiteres Glück – und eine Zukunft mit Zohra Hamadi, die schon in Europa ist.
Der Frachter Shiobhan of Ireland liegt im Hafen von Oran und Chief Engineer Oleksij Letschenko denkt an die Heimat.
Auf der Santa Florentina fischt Diego Martínez mit seinem Vater und wird sich wenig später auf einem Rettungsboot im Einsatz befinden. Denn es kommt zu einem Zwischenfall, bei dem die „Spirit of Europe“ Karims Schlauchboot in Seenot entdeckt. Die Küstenwache wird verständigt und das Schiff muss den Regeln gemäß bei dem havarierten Schlauchboot warten. 90 Minuten dauert es, bis die Seenotrettung mit Fischer Diego eintrifft. Schon lange kann er nicht mehr von der Fischerei leben, zieht oft nur noch Leichen aus dem Meer. An diesem Tag hat er bereits ein Leben gerettet – glaubt er wenigstens.

Es sind kurze Kapitel, angerissene Schicksale, von denen Merle Kröger in ihrem Kriminalroman „Havarie“ erzählt, und auf vielfältige Probleme hinweist, die alle miteinander zusammenhängen. Günstige Vergnügungen gehen immer auf Kosten anderer, Vergangenheit und Gegenwart lassen sich nicht voneinander trennen – und auch die Sehnsucht nach Freiheit und Sicherheit wird es immer geben. Doch während in Europa beständig die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit verhandelt wird, ist in Afrika weder das eine noch das andere zu haben. Die einzelnen Schicksale – so knapp sie auch angerissen werden – ergeben eine Collage, die in der Verdichtung exemplarisch erscheint. Jedoch beruhen die Begebenheiten auf Tatsachen. Und das ist das wirklich Erschreckende in diesem Roman: Was dort beschrieben wird, findet jeden Tag unter unseren Augen statt. Sicher gab es in den letzten Wochen mehr Berichte über die Flüchtlinge, wirklich geändert hat sich jedoch nichts.

Merle Kröger: Havarie. Ariadne 2015.

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