Krimi-Kritik: „Bis zum Hals“ von Jörg Juretzka

„Na, das hast Du ja sauber hingekriegt, Kryszinski.“ Wenn es etwas gibt, das ich an Kommissar Hufschmidt hasse – besonders hasse, heißt das, also mehr noch als alles andere, das ich eh schon hasse an ihm –, dann ist das seine gespielte Coolness im Angesicht des Entsetzlichen.“

Denn auch Kommissar Hufschmidt hat der Anblick des Toten auf der Straße mitgenommen. „Er war aschfahl und brauchte die offene Tür seines Opels als Stütze“, dennoch will er cool wirken. Zumal er überzeugt ist, dass er Kryszinski nun endlich erwischt hat. Für die Polizisten ist die Sache klar: Kryszinski ist vermutlich mal wieder total dicht viel zu schnell gefahren und hat den armen Kerl nicht rechtzeitig gesehen, den er dann überfahren hat. Als Kommissar Menden am Unfallort eintrifft, stellt Kryszinski die Sache aber klar – irgendwie: „Ich bin unschuldig“, war alles, was mir einfallen wollte. Menden sehen und diesen Satz äußern ist manchmal wie zwei Sektenwerbern die Tür öffnen und sie gleich wieder schließen. Es hat etwas Automatisches, Zwangsläufiges. Beide Seiten wären irgendwie baff, würde es anders laufen.“. Aber nicht nur das: „Außerdem war ich fühllos, entrückt, wie anästhesiert. Man fährt schließlich nicht alle Tage einen Menschen über den Haufen. Noch nicht einmal ich, sollte ich vielleicht hinzufügen. Und dann noch ohne Absicht.“ Denn tatsächlich ist Kryszinski unschuldig. Ihm wurde der bedauernswerte Mann einfach vor das Auto geworfen. Jedoch lässt Kryszinski sich nicht ohne weiteres als Mordwaffe gebrauchen und ermittelt deshalb auf eigene Faust. Er findet heraus, dass der Tote aus Russland stammt – und hat schon bald nicht nur verschiedene Geheimdienste, sondern auch die Hells Angels am Wickel.

(c) Ullstein

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Mit „Bis zum Hals“ kehrt Kryszinski nach seinen Ausflügen in die Schweiz, auf ein Kreuzfahrtschiff und den Wilden Westen wieder ins Ruhrgebiet zurück. Er trifft alte Bekannte wie Stormfuckers-Chef Charly und in dem Pathologen Dr. Korthner einen neuen Freund. Dieser hat früher als Laborarzt gearbeitet und die Blutproben polizeilicher Untersuchungen analysiert. Darunter war auch mal eine von Kryszinski. „Das Ergebnis hängt gerahmt im Büro des Stationsarztes.“ Er wirkte völlig begeistert. Ich weniger, denn unterschwellig ahnte ich, worauf das hinauslief. „Weder vorher noch jemals nachher ist eine höhere Dosis und größere Vielfalt an psychotropen Wirkstoffen in einer einzigen Blutprobe nachgewiesen worden. (…). Was meine Kollegen und ich uns immer gefragt haben: Sie wurden ja damals in Ausübung einer Straftat verhaftet, waren also nicht nur bei Bewusstsein, sondern obendrein aktiv. Wie … wie haben Sie es geschafft, diese Vielzahl an teilweise gegenläufig wechselwirksamen Substanzen physisch und vor allem auch psychisch zu koordinieren?“. „Schwer zu sagen“, gab ich zu. „Aber wenn ich mich recht erinnere, brachte eine halbe Flasche Wodka für gewöhnlich so was wie ein bisschen Ordnung in den ganzen Kuddelmuddel.“ Dank Korthners Begeisterung für seine Blutwerte erfährt Kryszinski etwas über den Toten, hat außerdem zukünftig eine Anlaufstelle für eigene Verletzungen und es wird bereits deutlich, dass Kryszinski über eine wichtigen Eigenschaft für Ermittlungen im Russenmilieu verfügt: eine hohe Alkoholverträglichkeit. Und angesichts der während dieser Ermittlungen konsumierten Wodka-Mengen hätten dort wohl nur wenige Privatdetektive bestehen können.

Durch die für Juretzkas Kryszinski-Reihe typische Ich-Erzählform und die vielen direkten Dialoge entsteht ein hohes Erzähltempo, außerdem unterhält und amüsiert er mit wenigen Worten. Darüber hinaus gibt es immer wieder Momente, in denen sich mit einem kurzen Satz eine ganze Welt offenbart. Nachdem Kryszinski mit Anoushka, der Frau des Toten, einen Zusammenstoß mit Unbekannten hatte, fliehen sie über die Autobahn, auf der vor kurzem ein Unfall stattgefunden hat und retten sich in ein Auto. „Der Abschleppwagenfahrer blickte überrascht, angepisst, verstehend, einsichtig. Alles binnen eines Fingerschnippens. Doch er sagte kein Wort. Stattdessen schwang er sich in seinen Sitz, knallte die Tür und startete den Motor. Sah noch mal zu uns rüber, zusammengepfercht auf einem Beifahrersitz, sah Anoushka an, barfuß, abgerissen nach einer Nacht auf der Flucht, ihren von Bindfäden zusammengehaltenen Koffer umklammernd wie einen letzten Halt in einer Welt ohne Boden, mich mit meiner schwellenden, blutenden Stirn, registrierte unsere gehetzten, immer und immer wieder nach hinten wandernden Blicke und fuhr einfach los. „Ich komme aus dem Kosovo“, sagte er, als er uns an einer S-Bahn-Haltestelle rausließ, und wünschte uns Glück.“ Dieser überraschende Moment der Solidarität der Flüchtenden berührt und bleibt in Erinnerung.

Dennoch ist „Bis zum Hals“ einer der konventionelleren Kryszinski-Romane: Der hartgesottene Privatdetektiv trifft eine femme fatale und jede Menge zwielichtiger Gestalten, es kommt zu einigen Scharmützeln und alles endet in einem übertrieben actionreichen Finale. Dass es alles unterhaltsam ist, steht außer Frage. Aber dass in der Reihe noch weit mehr Potential steckt, zeigt Juretzka insbesondere in den folgenden Romanen.

Jörg Juretzka: Bis zum Hals. Ullstein 2007.

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