Women in Crime – „Mischief“ von Charlotte Armstrong

Ruth Jones ist mit ihrem Mann Peter und ihrer neunjährigen Tochter Bunny in New York, weil er einen Preis erhalten soll. Eigentlich sollte Peters Schwester auf Bunny während der abendlichen Preisverleihung aufpassen, aber nachdem sie kurzfristig absagt, müssen sie sich um Ersatz bemühen. Der Fahrstuhlmann bietet seine Nichte an. Schon beim ersten Kennenlernen erscheint Nell ein wenig seltsam. Sie ist desinteressiert, zu bemüht, die richtigen Antworten wenigstens aus sich herauszupressen. Ruth entscheidet sich trotz ihrer Bedenken, mit Peter zu der Verleihung zu geben: sie will für ihren Ehemann an diesem wichtigen Abend da sein und das bedeutet, dass Bunny im Hotel bleiben muss. Doch Ruths Sorgen sind berechtigt, schnell wird klar, dass Bunny bei Nell nicht sicher ist und fast jeder ihrer Alpträume wird wahrwerden.

Charlotte Armstrong entwickelt in „Mischief“ (1950; Schlafe mein Kindchen) ein beängstigendes Szenario. Mit ihrer Entscheidung, Bunny bei einer Fremden zu lassen, hat Ruth bereits den ersten Fehler begangen – noch dazu hat sie diese Fremde in das eigene Hotelzimmer gelassen, ein Bereich, in dem das Kind eigentlich sicher sein sollte. Geschickt wechselt Armstrong die Perspektiven zwischen Ruth, Nell und Jed, einem jungen Mann, der von seiner Freundin zurückgewiesen wurde und nun wieder in dem Hotel ist, in dem Nell auf Bunny aufpasst. Nell erregt seine Aufmerksamkeit und schon bald ist auch er in dem Hotelzimmer, in dem Nell eigentlich nach Bunny sehen soll.

Durch diese Perspektivwechsel entsteht viel Spannung, zumal sich die Frauenfiguren bei Armstrong uwar innerhalb der gesellschaftlichen Konventionen bewegen, aber nicht hilflos sind. Insbesondere die Charakterisierung von Nell ist bemerkenswert: Sie ist eine junge Frau, die definitiv psychische Probleme hat: Nell ist nicht cool, gelassen und planvoll. Sie lässt sich treiben, setzt auf Verführung, ihre Sexualität und unschuldige Gesten. Als Jed droht, das Hotelzimmer zu verlassen, bindet sie ihn mit der Drohung an sich, dass sie sagen wird, er sei bei ihr eingedrungen. Sie nimmt an, ihr wird geglaubt werden – und Jed ahnt, dass sie so überzeugend sein kann. Armstrong findet hier genau den richtigen Ton zwischen dem Schrecken, der mit Nells mentalen Zustand zusammenhängt, und der einfühlsamen Schilderung einer problematischen Frau.

In „Mischief“ wird bei allen Frauenfiguren deutlich, dass die Zusammenhänge zwischen Frausein, Mutterschaft und Sexualität kompliziert sind – in diesen Erwartungen haben sich schon die Frauen in Armstrongs „The Chocolat Cobweb“ verstrickt. Dort waren sie die Handelnden, während sich die Männer als hilflose Zuseher entpuppt haben. Aber wie Amanda Garth ist auch Blanche Lake hier zugleich Opfer als Ermittlerin. Sie will herausfinden, was in dem Hotelzimmer vor sich geht – und ihr Kind retten.

Es gibt zudem eine weitere bemerkenswerte Szene in „Mischief“: Eine Schwarze Nanny hat Bunnys Weinen gehört und handelt entschlossen. Sie klopft an die Hotelzimmertür und will sicherstellen, dass das Kind in Ordnung ist. Als sie sich Einlass in das Hotelzimmer verschaffen will. warnt sie ihr Sohn: „You can’t stick your nose in that white girl’s business.” Widerstrebend hört sie auf, Nell zu bedrängen, sagt dabei immer wieder, dass sie nicht gehen würde, wäre sie weiß. Es ist dann eine weiße Frau, die an dieser Stelle versagt: eine weiße Lehrerin hat beobachtet, dass in dem Hotelzimmer etwas vor sich geht, was nicht in Ordnung ist. Allerdings schreckt sie letztlich vor ihrer eigenen Courage zurück und lässt sich allzu leicht einreden, dass ihre Ahnung, etwas sei nicht in Ordnung, falsch ist. Damit ist „Mischief“ eine der Ausnahmen in der psychologischen Spannungsliteratur jener Jahre, die weit überwiegend in einem weißen, bürgerlichen Setting spielt.

Charlotte Armstrong: Mischief. Mysterious Press 2014 (Erstveröffentlichung 1950).
Deutsche Ausgabe: Schlafe mein Kindchen. Übersetzt von Nikolaus Stingl. Diogenes Verlag 1988. 201 Seiten.

Verfilmt wurde „Mischief” bereits im Jahr 1952 unter dem Titel „Don’t bother to knock“, der wiederum hierzulande unter „Versuchung auf 809“ lief.

Charlotte Armstrong hat auch als Drehbuchautorin u.a. für “Alfred Hitchcocks Presents” gearbeitet und dazu schreibt Annie Bercock in ihrem Buch “Their Own Best Creations: Women Writers in Postwar Television”: In their adaptations of male-written works, Marian Cockrell and Charlotte Armstrong hijack the gender politics of their source materials, privileging female subjectivity and experience over the violence of the male gaze. These scripts are unfaithful wives, sometimes “conversing” with their source materials, other times functioning as complaints or counterarguments. Lesen lässt sich der Auszug bei Lithub.

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