„Sam schläft. Ich könnte ihn jetzt töten. Er liegt vor mir abgewandt – es wäre ganz leicht.“ Mit diesen Worten beginnt der Thriller „Eene meene“ von M.J. Arlidge, in dem eine Unbekannte auf perfide Weise tötet. Sie legt nicht selbst Hand an die Opfer, sondern entführt immer zwei Menschen, die in unterschiedlicher Beziehung zueinander stehen – eingangs ein Paar, es folgen Mutter und Tochter, Anwalt und Mandantin, Kolleginnen und so weiter – und sperrt sie ohne Wasser und Brot ein. Dann lässt sie ihnen eine Botschaft sowie eine Waffe mit einer Patrone zukommen: Derjenige, der den anderen erschießt, kommt frei. Für die Entführerin ist es ein Spiel, bei dem sie immer gewinnt, während alle anderen verlieren. Die Polizei um Detective Inspector Helen Grace ist ratlos. Die Täterin hinterlässt keine Spuren, deshalb versuchen sie ihr über die Wahl der Opfer näherzukommen. Aber der mediale Druck sowie ein Maulwurf unter den Kollegen erschweren Helen Grace neben ihren eigenen Dämonen die Ermittlungen – und dann muss sie sich irgendwann, eingestehen, dass die Taten unmittelbar mit ihr zusammenhängen.
„Eene meene“ besticht vor allem mit der guten Ausgangsidee, nach der ein jeder von uns unter extremen Bedingungen zum Mörder werden kann. Eine ähnliche Konstellation wurde bereits in einer Folge der Serie „Criminal Minds“ abgehandelt, in der drei Freundinnen entführt wurden, oder auch bei „Criminal Intent“, in der ebenfalls Paare gekidnappt wurden. Aber allein der Grundgedanke bietet gerade in einem Buch sehr viele Möglichkeiten, den psychischen Prozesse sowie Folgen nachzuspüren. Leider handelt M. J. Arlidge die Idee zwar in verschiedenen Beziehungskonstellationen ab, aber die innere Entwicklung der Entführten sowie die von den überlebenden Opfern im Nachhinein empfundene Schuld wird lediglich solange thematisiert wie sie für die Ermittlung wichtig sind. Danach werden sie mehr oder weniger vergessen. Das ist sehr bedauerlich, da hier Überlegungen über moralische Grenzen – bin ich bereit einen Kollegen, mein Kind oder meinen Partner zu töten, um zu überleben? Ist es schwieriger, einen Menschen zu töten, der einem nahesteht? Wann setzt der Überlebensinstinkt alle moralischen Bedenken außer Kraft? –, aber auch die verschiedenen Auswirkungen einer Drucksituation behandelt werden könnten.
Auch die meisten Personen werden in diesem Buch durch Äußerlichkeiten charakterisiert: eine Reporterin hat ein mit Säure verätztes Gesicht, die Pathologin ist stark tätowiert, die Ermittlerin hat Striemen auf dem Rücken, weil sie sich lediglich durch Schmerzen entspannen kann. Und so lobenswert es ist, dass die wichtigen Figuren in diesem Buch allesamt Frauen sind, sind sie in ihrer Gesamtheit doch etwas sehr beschädigt.
Aber A. J. Arldige weiß, wie er seine Geschichte erzählen muss: Die meisten der ohnehin kurzen Kapitel enden mit einer Cliffhanger, so dass das Gefühl entstehen soll, man müsse weiterlesen, auch kann er dadurch verschiedene Perspektiven einfließen lassen. Deshalb ist „Eene meene“ ein handwerklich guter, streckenweise spannender Thriller, der unterhält. Jedoch ermüdet der vorhersehbare Perspektivwechsel zunehmend, sind die Figuren und das Durchgehen der Konstellationen bei den Entführungen zu bewusst inszeniert, so dass „Eene meene“ insgesamt auch ein sehr kalkuliertes Buch ist, bei dem die Rechnung nicht immer aufgeht.
M.J. Arlidge: Eene meene. Übersetzt von Karen Witthuhn. Rowohlt 2014.
Tipp:
Vom Rowohlt Verlag gibt es auch eine sehr schöne und gut gestaltete Seite zu diesem Buch, die gerade die Anfangsatmosphäre gut einfängt.
Ehrlich? Ich fand den Anfang auch ganz originell. Mit der Häufung und dem Gleichen der Fälle stellte sich der erste Unmut ein. Als dann klar wurde, dass die Verbindungsfäden über die Kommissarin laufen, habe ich das Buch abgebrochen. Ich kenne das Ende nicht und will es auch nicht wissen. Bestimmt wird (wie so oft) im Vorleben der Frau gerührt, und das ist mir echt zu fade.
LG Henny
Da habe ich ebenfalls sehr die Stirn gerunzelt – und bei dem Ende gilt, was für das ganze Buch zutrifft: es ist sehr kalkuliert, also nach dem Motto ‘das machen alle so und kann deshalb nicht schlecht sein’. Und deshalb hätte ich mir auch einen anderen Schluss gewünscht.