Verschenkte Möglichkeiten – Über die Serie „Hannibal“

Es gibt Serien, bei denen klingt alles vielversprechend: die Namen der Beteiligten, die Geschichte und Kritikermeinungen aus den USA. Das trifft alles auf „Hannibal“ zu – sie ist mit Mads Mikkelsen, Hugh Dancy und Lawrence Fishburne namhaft besetzt, erzählt wird die Vorgeschichte des wohl berühmtesten Serienkillers der Popkultur und die Serie wurde von Bryan Fuller entwickelt, von dem „Heroes“ und „Pushing Daisies“ stammt. Leider kann er mit keiner Folge an diese Serien anknüpfen.

Eine Vorgeschichte voller Widersprüche

(c) Studiocanal

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In „Hannibal“ wird laut Produktion die Vorgeschichte zu Thomas Harris‘ Buch „Roter Drache“ erzählt, wenngleich es rein zeitlich eher die Vor-Vor-Vor-Geschichte ist, schließlich wollen sich die Serienmacher noch Platz für weitere Staffeln lassen. Dr. Hannibal Lecter (Mads Mikkelsen) ist ein angesehener Psychiater und wird vom Leiter der FBI-Einheit für Verhaltensanalyse, Jack Crawford (Lawrence Fishburne), auf Empfehlung von Dr. Alana Bloom (Caroline Dhavernas) angeheuert, sich um die Psyche von Will Graham (Hugh Dancy) zu kümmern. Graham ist zu nahezu umfassender Empathie fähig, daher kann er sich an Tatorten so in die Täter einfühlen, dass er deren Taten nacherlebt. Mit dieser Gabe – oder diesem Fluch – kann er eine äußerst wichtige Stütze bei den Ermittlungen sein, schließlich erlebt er die Tat aus Sicht des Mörders (damit wir das merken wird zu Beginn und am Ende seiner Episoden ein Pendel eingeblendet), zugleich droht aber beständig die Gefahr, dass er sich zu tief auf sie einlässt und daran zerbricht. Dennoch will Crawford nicht auf seine Hilfe verzichten, betont er doch wiederholt, dass Graham mit seiner Gabe Morde verhindern kann. Dass er dafür einen äußerst labilen Menschen diese Arbeit zutraut, ist eine der vielen Widersprüche, die man als Zuschauer hinnehmen muss. Ein weiterer ist beispielsweise, dass Hannibal Lecter allein auf eine Empfehlung hin eine nahezu ebenso wichtige Rolle spielt wie Graham und – obschon zuvor völlig unbekannt – Einsicht in vertrauliche Ermittlungen bekommt.

Mit oder ohne Vorläufer?

(c) Studiocanal

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In dieser Konstellation gibt es nun immer einen Fall der Woche, daneben aber die fortlaufende Handlung um Abigail Hobbs (Kacey Rohl) Sie wurde von ihrem Vater in der zweiten Folge beinahe ermordet, ahnt Lecters Geheimnis und kommt ihm gefährlich nahe. Sie ist es auch, die Lecter für sein Spielchen mit Graham missbraucht: Eigentlich ist es nämlich sein Ziel, Graham in den Wahnsinn oder zumindest auf die dunkle Seite seines Selbst zu führen. Gut, wir wissen ja – und deshalb kann man Harris‘ Bücher und ihre Verfilmungen nicht ganz außer acht lassen – dass er ein sadistischer Psychopath ist, deshalb kein Gewissen und keine Motive für seine Taten hat. Wirklich spannend ist es aber dennoch nicht, denn wir wissen auch, wie es ausgeht. Es zeigt sich in der Serie sehr schnell, dass sie keine Position zu ihren Vorläufern findet: Eigentlich sollte man nicht allzu sehr an die anderen Film-Lecters und Film-Grahams denken, da der Vergleich sehr ungünstig ausfällt. Hugh Dancy fehlt es an Charisma, er spielt Graham von der ersten Folge an wie einen unsicheren Schüler, der belehrt werden muss, und erinnert mit seinen schlaksigen Bewegungen, die sein Genie verkörpern sollen, an Spencer Reid aus „Criminal Minds“ – hochtalentiert, aber leicht lebensunfähig.

(c) Studiocanal

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Auch Mads Mikkelsen verströmt als Hannibal Lecter keine Bedrohlichkeit – es sei denn, man kennt die weitere Entwicklung aus den Vorgängern. Regie und Kamera setzen bei nahezu jeder Einstellung von Lecter auf dieses Vorwissen, nur dann schaffen die verzögerten Aufnahmen sowie die besonders in Szene gesetzten Essen eine düstere und bedrohliche Atmosphäre. Jedoch sind der Kannibalismus und Sadismus aus allen vorhergehenden Verfilmungen so bekannt, dass man sich unweigerlich fragt, warum die Autoren sich nicht auf die unbekannten Aspekte konzentrieren. Wie ist es Lecter beispielsweise gelungen, das Vertrauen des FBI zu gewinnen? Oder warum kommt ihm niemand dieser cleveren Menschen auf die Spur?

Ästhetische Überinszenierung

(c) Studiocanal

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Widersprüche interessieren die Autoren anscheinend aber nicht. Stattdessen führen sie lieber eine klischeehafte Journalistin ein, die sich völlig unverantwortlich und gewissenlos verhält und sich erstaunlich wenig für Lecter interessiert – dafür, dass er sich doch bedroht hat. Außerdem finden sie pro Folge einen möglichst ekligen Mordfall, der neben der Handlung um Lecter und Graham aufgeklärt werden muss. Mal geht es darin um Pilze, die auf Menschen wachsen, dann um einen Mörder, der den Rücken aufschneidet und die Hauthälften wie Engelsflügel an einem Bett fest tackert. Sehr viel Blut gibt es an diesem Tatort allerdings nicht, denn bei allem Ekel bleibt die Serie streng klinisch in ihrer Ästhetik. Auch werden alle Fälle in erstaunlicher Geschwindigkeit aufgeklärt, denn Zeit für die Schilderung der Ermittlungsarbeit bleibt kaum. Schließlich muss Hannibal Lecter noch beim Essen gezeigt werden.

(c) Studiocanal

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Die ästhetische Überinszenierung verleiht der Serie sicher teilweise eine bedrückende Stimmung, aber sie kann auch nicht über die fehlende Spannung gerade in den ersten beiden Folgen hinwegtäuschen. Erst mit dem fortgesetzten Handlungsstrang wird die Serie dann unterhaltsamer, auch verspricht das vorherzusehende Finale eine interessante Wendung für die zweite Staffel. Vorerst muss jedoch konstatiert werden, dass der „Fall der Woche“, die ambivalente Haltung gegenüber der Vorlage und die zu deutlich auf Ekel hin inszenierten Taten dafür sorgen, dass „Hannibal“ der unterkühlte Versuch einer spannenden Serie bleibt.

(c) Studiocanal

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Hannibal, Staffel 1, USA 2013. 13 Folgen mit ca. 43 Minuten. Als Serien-Box bei Studiocanal erschienen.

Andere:
Eine vollkommen andere Meinung vertritt Wulf vom Medienjournal

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7 Gedanken zu „Verschenkte Möglichkeiten – Über die Serie „Hannibal“

  1. Yolanda Puschkin

    Oh, schade, dass dir “Hannibal” nicht gefallen hat. Ich habe die Serie irgendwann im Herbst innerhalb einer Woche gesehen, ich war gefesselt und fasziniert – unter Berücksichtigung der dramaturgischen Einbußen. Die Schwächen, die du auch oben anführst würde ich allesamt unterschreiben, aber ich habe das dann nicht allzu sehr als Makel eingestuft, oder es war mir einfach egal, weil mich die Stimmung in den Bann gezogen hat. Die ersten 3 Folgen fand ich holprig, aber dann konnte ich nicht abdrehen. Für mich hatte das dann was Horrorfilmhaftes, schön schaurig. Bei Dancys Darstellung von Will Graham konnte ich mich nie entscheiden, ob er darin gut sei oder nicht, andererseits finde ich zwiespältige Zugänge auch ganz spannend. Mikkelsen macht aus Lecter ganz was anderes, das muss ich ihm zugute halten. Mein Fazit ist: Ich warte auf die 2. Staffel, jedoch keineswegs sehnsüchtigst.

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  2. Wulf | Medienjournal

    Hach, da wollte ich mich gerade zu Wort melden, dass ich eine gänzlich andere Meinung vertrete, da sehe ich, dass ich längst verlinkt worden bin. Mir geht es da ganz ähnlich wie Yolanda, ganz objektiv betrachtet kann ich viele deiner Kritikpunkte unterschreiben, insbesondere was den Fall der Woche angeht, aber damit hatten viele Serien am Anfang zu kämpfen und haben sich gerade im Laufe der folgenden Staffeln mehr und mehr vom Procedural zum Serial gewandelt. Das sind natürlich Zugeständnisse, die man im Fernsehen abseits der Kabelsender zunächst machen muss, bis sich eine Serie etabliert hat, aber gerade dadurch, dass der staffelübergreifende Handlungsbogen kaum aus dem Blick verloren worden ist, hat mich das eher wenig tangiert, ebenso wie ich – kann man ja nachlesen – voll auf diese “ästhetische Überinszenierung” eingestiegen, die mich gar nicht über mangelnde Spannung hinwegtäuschen musste, weil ich die Serie in jeder Szene bedrückend, packend und düster empfand; vielleicht nicht spannend im klassischen Sinne eines Thrillers, aber fesselnd.

    Auch haben mir sowohl Hugh Dancys als auch Mads Mikkelsens Darstellung sehr sehr gut gefallen, wobei ich bewusst versucht habe, keine Vergleiche zu den einschlägig bekannten Filmen zu ziehen. Und ja, der Ansatz ist ein gänzlich anderer, ja, es handelt sich tatsächlich um die Vor-Vor-Vor-Geschichte – Fuller hat die Geschehnisse aus “Roter Drache” schließlich bereits für Staffel 4 fest geplant – , aber all das konnte mir die Serie nicht verleiden, die mich wirklich positiv überrascht hat und begeistern konnte. Aber dafür sind Geschmäcker ja schließlich verschieden und es ist interessant, einmal eine so gänzlich andere Sichtweise zu lesen – zumal wir uns sonst ja oft (gerade bei Büchern) ziemlich einig sind.

    Nach einem starken Start hat die Serie übrigens für mich ab Folge 5 so richtig gezündet. 😉

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  3. Pingback: Review: Hannibal | Staffel 1 (Serie) - Medienjournal

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