Schlagwort-Archive: Autorin

Unscheinbarkeiten – Über „Schwarzes Kleid mit Perlen“ von Helen Weinzweig

Manche Bücher erreichen einen auf besonderen Wegen. Seit ich meine „Women in Crime“-Reihe gestartet habe, frage ich immer wieder Kolleg*innen nach Autorinnen, die in diese Reihe passen könnten. Darunter war auch Alf Mayer, der mir seither gelegentlich Artikel zuschickt, von denen er meint, sie könnten mich interessieren (damit liegt er fast immer richtig, daher an dieser Stelle auch ein „Danke, Alf!“). Vorige Woche also schickte er mir einen Hinweis auf einen Text von Sarah Weinman in der Paris Review: der Abdruck ihres Nachwortes zu der Neuauflage von Helen Weinzweigs 1980 erschienenen „Basic Black with Pearls“, in dem sie den Roman als „interior feminist espionage novel“ bezeichnet. Sofort war mein Interesse geweckt, deshalb setzte der Routineablauf ein: Prüfen, ob ich an eine Ausgabe herankomme und es eine deutsche Übersetzung gibt. Und tatsächlich: 2019 ist „Schwarzes Kleid mit Perlen“ in der Übersetzung von Brigitte Jakobeit im Verlag Klaus Wagenbach erschienen. Das freut mich ungemein, denn dieses Buch ist – um das gleich vorwegzunehmen – sensationell.

(c) Verlag Klaus Wagenbach

„Schwarzes Kleid mit Perlen“ ist die Ich-Erzählung einer Frau, die unter dem falschen Namen Lola Montez durch die Welt reist und auf ihren Geliebten wartet. Anfangs in Tikal, später in Toronto sucht sie nach Hinweisen, die er ihr hinterlassen haben könnte. Sie haben nämlich über Jahre hinweg ein ausgefeiltes Code-System entwickelt, mit dem sie ihre Treffen vereinbaren – wobei: vereinbaren trifft es nicht wirklich, dieses Wort setzt voraus, dass gemeinsam eine Entscheidung über Ort und Zeit getroffen wird. Doch hier entscheidet Coenraad, der Geliebte, wann, wo und wie sie sich treffen. Er trifft Sicherheitsvorkehrungen und setzt die Bedingungen, weil er für eine nicht näher zu identifizierende Agency arbeitet, eine Art Geheimdienst. Seit Jahren also nutzen sie den National Geographic, das dort „gedruckte Wort“ und „interpretieren es nach mathematischen Formeln“. Hat die Erzählerin den Code entschlüsselt, muss sie Coenraad noch entdecken. Er ist ein Meister der Tarnung, mal ein Obdachloser, mal ein Kellner. Meistens aber erkennt sie seine Augen oder Erscheinung: „So erkenne ich ihn immer: an der Art, wie er dasteht und wie ich mich fühle.“

Nun wartet sie in Toronto auf ihn – die Stadt, in der sie einst gelebt hat, in der ihr Ehemann und ihre Kinder noch immer leben. Erinnerungen holen sie zwangsläufig heim, als sie in ihrem schlichten schwarzen Kleid mit Perlenkette durch die Stadt wandelt, auf der Suche nach Hinweisen und Codes. Gedanken, Erinnerungen und Träume verschmelzen miteinander und je länger sie wartet, desto mehr erfährt man über ihr Leben – und zweifelt an der Zuverlässigkeit ihrer Erzählungen, die in einem so vertrauensvollen Ton verfasst sind, dass sie fast keine andere Deutung als die der Erzählerin zulassen. Weiterlesen

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Krimi-Kritik: „Ein Job für Delpha“ von Lisa Sandlin

(c) Suhrkamp

Scheinbar harmlos kommt „Ein Job für Delpha“ am Anfang daher: Delpha Wade wurde nach vierzehn Jahren aus dem Gefängnis entlassen und sucht nun im texanischen Beaumont des Jahres 1973 einen Job und eine Unterkunft. Ihr Bewährungshelfer hat ihr die beiden Ratschläge mit auf den Weg gegeben, sie solle so tun, als sei sie ruhig und entspannt – und sie solle fragen und bitten. Daran hält sich Delpha bei ihren anfangs erfolgslosen Versuchen, wieder Fuß zu fassen. Dann vermittelt ihr ihr Bewährungshelfer ein Bewerbungsgespräch bei Tom Phelan. Der Vietnam-Veteran hat bei einem Unfall auf der Bohrinsel den Mittelfinger an seiner linken Hand verloren und das Geld aus der Versicherung dafür genutzt, ein Privatdetektivbüro aufzumachen. Nun sucht er eine Sekretärin und ehe er sich für eine der aufreizenden Mitbewerberinnen entscheiden kann, hat Delpha den Job. Denn Delpha hat eine wichtige Eigenschaft: Sie erkennt Chancen und nutzt sie. Auf diese Weise hat sie auch schon ein Zimmer bekommen und genießt nun die Dinge, die sie lange Zeit nicht hatte: einen Raum für sich und die Möglichkeit zu entscheiden, was sie tun will.

Wir folgen Delphas weiteren Schritten, tagsüber arbeitet sie als Sekretärin, abends kümmert sie sich um die pflegebedürftige Tante ihrer Vermieterin. Im Hintergrund schwelen die Anhörungen zum Watergate-Skandal, der Vietnamkrieg geht zu Ende, Nixons Rücktritt steht bevor. Die Fälle, mit denen es Delpha und Tom zu tun bekommen, sind alltäglich: ein Junge kehrt nicht nach Hause zurück, ein untreuer Ehemann, ein potentielles tierisches Vergiftungsopfer und so weiter. Dennoch kann von Ruhe kaum die Rede sein, vielmehr schleichen sich immer mehr Unruhen und dunkle Ahnungen ein. Tom entdeckt Ungereimtheiten in einem Fall – und Delpha trifft auf den Mann, der sie einst in Gefängnis brachte. Damals arbeitete sie als Kellnerin und wurde von einem Mann und dessen Sohn überwältigt und vergewaltigt. Sie tötete den Sohn, der Vater aber konnte entkommen und hat sie mit einer falschen Aussage ins Gefängnis gebracht. Nach diesem Wiedersehen kann Delpha nicht anders als sich zu fragen, ob sie sich an ihm rächen will. Aber sie weiß, sie wäre die erste Verdächtige. Und sie weiß auch, dass sie sich unbedingt an das Gesetz halten muss, wenn sie nicht wieder ins Gefängnis will. Weiterlesen

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