Für die Kritik des Films „Naokos Lächeln“ und einen Beitrag im Blog von LovelyBooks habe ich Haruki Murakamis Roman gelesen – und eine Weile amüsiert, später zunehmend irritiert die vielen literarischen Anspielungen verfolgt. Dabei zeigt sich meines Erachtens in „Naokos Lächeln“ vor allem, dass die Grenze zwischen Intertextualität und Deutungshoheit allzu leicht verwischt.
In dem Roman erzählt der mittlerweile 37-jährige Toru Watanabe von dem Mädchen Naoko, dem er einst versprochen hat, sich an sie zu erinnern. Als nach der Landung seines Flugzeugs in Hamburg der Beatles-Song „Norwegian Wood“ gespielt wird, überfällt ihn die Erinnerung an Naoko, der er sich auf den folgenden über 400 Seiten des Romans hingibt. Dabei macht schon die erste Liedziele des Beatles-Liedes, „I once had a girl / or should I say / she once had me“, den Kern dieser Liebesgeschichte deutlich. Denn obwohl Watanabe überzeugt ist, dass er Naoko liebt, scheint sie ihm diese Gefühle nur eingeschränkt entgegenzubringen. Ihre Liebe ist komplizierter, sie hat mit ihrer Vergangenheit zu sehr zu kämpfen. Leider fehlt dem Roman und auch der Beziehung zu Naoko das Spielerische des Liedes, in dem es auch heißt: „And when I awoke / I was alone / This bird has flown / So I lit a fire / Isn’t it good? / Norwegian wood“. Diese Leichtigkeit verkörpert vielmehr das Mädchen Midori, das Watanabe während seines Studiums kennenlernt. Auch sie hatte in ihrer Vergangenheit Schwierigkeiten, aber sie hat sich dem Leben zugewandt.
Zwischen diesen Mädchen und den damit verbundenen Lebenshaltungen oszilliert nun Tōru Watanabe, der Erzähler und Protagonist der Geschichte. Er studiert Literatur, zu seinen Lieblingsautoren zählen „Truman Capote, John Updike, Scott Fitzgerald und Raymond Chandler“. Vor allem „Der große Gatsby“ hat es ihm angetan. Es ist offensichtlich, dass Watanabe gerne wie Jay Gatsby wäre, der das Mädchen seines Herzens aus der Ferne anhimmelt und erobern will. Ja, er vergleicht sich sogar mit ihm: „Lange beobachtete ich das zitternde Licht, gerade so wie Jay Gatsby Nacht für Nacht den winzigen Lichtschein am gegenüberliegenden Ufer beobachtet hatte“. Aber ihm fehlt die Entschlossenheit von Jay Gatsby und so bleibt ihm nur der romantische Vergleich. Wenigstens trifft er mit seinem Freund Nagasawa jemanden, der ebenso reich und selbstbewusst wie Tom Buchanan ist – auch wenn dessen Freundin nicht das Objekt von Watanabes Begierde ist.
In diese Passagen sind die literarischen Anspielungen und Parallelen durchaus amüsant, aber spätestens wenn Watanabe zum „Zauberberg“ greift, kippen sie ins Plakative. Denn Watanabe ist kein Hans Castorp, auch wenn er es vielleicht gerne wäre. Im besten Falle lässt sich diese Anspielung also dahingehend deuten, dass er ebenso wie Castorp zwischen Lebens- und Todessehnsucht schwankt. Doch hinzu treten weitere Parallelen: Naokos Sanatorium liegt in einem Gebirge, die Patienten und das Pflegepersonal leben dort wie in einer anderen Welt. Sie sind abgeschieden von der Wirklichkeit und es gelten dort eigene Regeln. Daher hinterlässt diese Anspielung einen faden Nachgeschmack, zumal gerade das Leben in den Sanatorium allzu bemüht skurril erscheint.
Dort lebt Naoko mit der fast zwanzig Jahre älteren Reiko zusammen – passenderweise hat Watanabe erst kurz zuvor „Die Reifeprüfung“ gesehen –, die immerhin Watanabes Lektürewahl kritisiert. Aber sie selbst fühlt sich von ihm an die Hauptfigur von Salingers „Fänger im Roggen“ erinnert. Und tatsächlich hat Watanabe Züge von Salingers Holden Caulfield, auch wenn sich hier nicht der Verdacht von der Hand weisen lässt, dass Murakami lediglich einen weiteren bekannten Entwicklungsroman zitieren wollte. Denn wenig später liest Watanabe in Midoris Haus noch Hermann Hesses „Unterm Rad“ – und es ist überraschend, dass der „Steppenwolf“ nicht auch noch genannt wird.
Murakami übersetzt auch amerikanische Literatur und will zweifelsohne japanischen Lesern die amerikanische Literatur näher bringen. Sicherlich könnten diese Verweise auf den „großen Gatsby“ oder „Fänger im Roggen“ Leser neugierig auf diese Romane machen. Außerdem sieht er F. Scott Fitzgerald als sein großes Vorbild – dennoch ist das Spiel mit der Intertextualität in “Naokos Lächeln” nur im Ansatz gelungen – zumindest im Hinblick auf die amerikanische Literatur. Leider kenne ich mich in japanischer Literatur nicht aus. Denn ich vermute, dass sich gerade darauf noch viele weitere Anspielungen finden lassen.
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