In dem Film „Schräger als Fiktion“ muss der von Will Ferrell gespielte Protagonist Harold Crick herausfinden, dass er anscheinend der Hauptdarsteller eines Romans ist und – weitaus schlimmer – die Autorin seinen Tod beschlossen hat! Den Figuren in der Teilerzählung „Zeitgeschenke“ aus Zoran Živkovićs „Der unmögliche Roman“ ergeht es nicht wesentlich besser: Sie erhalten von einer mysteriösen Gestalt die titelgebenden Zeitgeschenke, die ihnen eine Reise in die Vergangenheit oder auch Zukunft ermöglichen. Ihre Einblicke müssen sie mit einem Opfer bezahlen. Denn offenbar ist die Ungewissheit in vielerlei Hinsicht der Erkenntnis vorzuziehen. Diese Erfahrung macht auch die Frau, die erkennt, dass ihr nächtlicher Besucher nicht der Teufel, sondern der Erzähler dieser Geschichten ist. Sie hat das grausamste Geschenk erhalten: Sie weiß, wann sie sterben muss.
Mit diesem furiosen ersten Erzählungsband beginnt „Der unmögliche Roman“ des serbischen Autors, der anlässlich der Leipziger Buchmesse auf deutsch erschienen ist und fünf Erzählungsbände versammelt. Fraglos sind alle fünf Teile des Buchs ungemein lesenswert, da Zoran Živković in ihnen sehr originelle Ideen behandelt. In einer meiner Lieblingsgeschichten, „Die Buchhandlung“, geht es beispielsweise um die Möglichkeit, eine Reise durch eine von den Menschen noch nicht entdeckte fünfte Kraft zu unternehmen: der Imagination. Diese Erkenntnis offenbart ein geheimnisvoller Besucher dem schreibenden Buchhändler, der gerade seinen neusten Roman beendet hat. Für dieses Buch – einen Science-Fiction-Roman – hatte der Buchhändler die Idee von einer Welt, doch er ahnt nicht, dass diese Welt tatsächlich existiert und durch sein Buch in große Gefahr geraten könnte. Denn er hat unwissend Kontakt zu dieser Welt aufgenommen und es für Inspiration gehalten. Mit diesem Wissen kann auch der Buchhändler keine Geschichten mehr schreiben. Aber alleine die Vorstellung, eine Reise mittels der Vorstellungskraft zu unternehmen, ist großartig – und irgendwie auch real.
Die wirkungsvollsten Geschichten entwickelt Zoran Živković meiner Meinung nach im Zusammenspiel mit der Literatur. Beispielsweise erhält ein Romanautor in dem Erzählungsband „Unmögliche Begegnungen“ Besuch von einer seiner Figuren. Diese Figur erzählt von dem Leben, das sie führt, wenn sie sich nicht gerade in einer seiner Geschichten befindet. Dann lebt sie mit den anderen Figuren des Romans in dem „großen Salon“. Dort ist es auch recht vergnüglich, allerdings hätte der Autor doch ein wenig mehr weibliche Figuren entwerfen können. Und in dieser Welt hat das Buch, an dem der Autor schreibt, sogar schon das letzte Kapitel, mit dem er gerade so hadert.
Eine andere Vorstellung, die mich noch nach Beendigung des Buches beeindruckt hat, enthält der vierte Band, „Die Bibliothek“. Darin geht es um die verschiedensten Bibliotheken, doch der Höhepunkt ist die Geschichte „Höllenbibliothek. Getreu des Mottos „Jede Zeit hat die Hölle, die zu ihr passt“, ist die Hölle derzeit eine Bibliothek. Dort müssen die Verstorbenen den ganzen Tag lesen – denn sie haben es zu Lebzeiten unterlassen. Hätten sie aber mehr gelesen, so die einfache Logik, wäre ihnen weniger Zeit für ihre bösen Taten geblieben. Damit sie diese Hölle aber nicht als Belohnung empfinden, bekommen sie ein bestimmtes Genre zugeteilt. Die Hauptfigur der Geschichte muss daher in der Hölle schmoren – und Idyllen lesen.
Für mich ist selbst die Vorstellung dieser Hölle nicht abschreckend – aber ich verbringe ja auch viel Zeit mit Lesen. Und dabei hat mir dieses Buch gezeigt, wie lohnenswert ein Blick über den eigenen Tellerrand sein kann. Denn für jemanden, der vorzugsweise amerikanische und deutsche Romane liest, ist dieses Buch eines serbischen Autors, der oftmals – und zu seinem Missfallen – der Fantasy zugeordnet wird, auf den ersten Blick wirklich ein „unmöglicher Roman“. Aber ein ungemein lesenswerter!