David Peaces Bücher machen mich fertig. Richtig fertig. Nach dem Lesen bin ich nahezu körperlich erschöpft, weil die Worte und Sätze in einem unerbitterlichen Rhythmus auf mich einprasselten. Bei „Tokio im Jahre null“ war es das brutale Stakkato der Beobachter, ihre Schilderungen der Verbrechen. Bei „GB84“ waren es die Worte der Bergarbeiter, die mich erschütterten. Und bei seinem Debüt „1974“ sind es die Sätze des letzten Teils, die mich wie Hammerschläge in den düsteren Abgrund getrieben haben, den das Ende des Buches offenbart. Leichte Lektüre sind David Peaces Bücher daher sicher nicht. Er hat selbst in einem Interview mit Spiegel Online gesagt, dass er sich manchmal wundert, warum die Leute seine Bücher lesen. Sie sind grausam – gerade „1974“ erscheint ihm aus heutiger Sicht auch unnötig brutal –, perspektivisch und erzählerisch schwierig und sehr düster. Aber genau das macht David Peace auch zu einem der bemerkenswertesten Autoren der Gegenwart: Die Gewalt ist niemals Selbstzweck, sondern sie spiegelt sich ebenso wie die Komplexität von Verbrechen in der narrativen Struktur und vor allem dem Rhythmus der Sätze wider, die mit der beschriebenen und erlittenen Gewalt der Figuren korrespondieren und sich in das Gehirn einbrennen. Dabei ist es ein Glück, dass die Kriminalromane von Peter Torberg übersetzt wurden, der diese Besonderheiten wunderbar transponiert.
Erzählt wird in „1974“ die Geschichte des Polizeireporters Eddie Dunford, der in Yorkshire im Jahr 1974 auf einen Serienmörder aufmerksam wird, von dem weder die Polizei noch sein Chefredakteur etwas wissen wollen. Eddie kann indes nicht die Finger von der Sache lassen, forscht weiter nach und kommt einer ungeheuerlichen Verschwörung auf die Spur, deren ganzen Ausmaße er innerhalb von elf Tagen kennenlernen und vor allem am eigenen Körper erfahren wird. Dabei verbindet David Peace die Schilderung des Alltagslebens in der Grafschaft Yorkshire, die Männergespräche in Kneipen und der blinde Gehorsam vor Autoritäten, mit der allgegenwärtigen Gewalt, Korruption und den Perversionen eines Serienmörders. Alle Frauen sind entweder Mütter, Schlampen oder Opfer, aber es gibt auch keine eindeutig positiv besetzte männliche Figur, selbst Eddie Dunford ist allzu selbstgerecht und egozentrisch. Dadurch ist „1974“ eine Lektüre, die nicht einfach auszuhalten ist und der Obsession eines Reporters (und Autors) Ausdruck verleiht, eine Lektüre, der ich mich aber auch nicht entziehen konnte. Denn anscheinend lasse ich mich von David Peace allzu gerne fertig machen.
Das Buch „1974“ ist der Auftakt des „Red Riding“-Quartetts um den Yorkshire-Ripper, der zwischen 1977 und 1981 in Yorkshire mehrere Frauen auf grausame Weise getötet hat. David Peace ist 1967 in West-Yorkshire geboren und dort aufgewachsen, als der Ripper verhaftet wurde, war er 14 Jahre alt.
David Peace: 1974. Übersetzt von Peter Torberg. Erstausgabe Liebeskind 2005: Taschenbuch Heyne 2006.
An David Peace habe ich mich ja noch nicht herangetraut. Jetzt weiß ich auch wieder, wieso das so ist. 😉 Andererseits hast du mir aber auch ungeheure Lust auf seine Bücher gemacht, liebe Sonja. Also werde ich demnächst wahrscheinlich ein wenig genussvoll leiden.
Immer ertrage ich David Peace auch nicht, aber insbesondere “GB84” hat mich sehr begeistert. Es ist auch weniger brutal als “1974”, aber ich habe mir beim Lesen tatsächlich eine Skizze gemacht, wer mit wem wie in Verbindung steht, damit ich bloß nichts verpasse. 🙂