Lange habe ich überlegt, ob ich den Film um 9 Uhr sehen soll oder lieber schreibe. Ich habe mich dann letztlich für den Film entschieden – glücklicherweise! „Gloria“ ist ein toll gespieltes und eindrucksvolles Porträt der fast 60-jährigen Gloria (Paulina García), die nach der Scheidung ihre Kinder fast alleine groß gezogen hat, gerne ausgeht und nun noch einmal auf eine neue Liebe hofft. Anfangs läuft mit Rodolfo (Sergio Hernández) alles gut, aber sie kann nicht lange darüber hinwegsehen, dass er immer wieder ans Telefon geht, wenn seine Töchter oder seine Ex-Frau anruft – und sie seinen Töchtern nicht vorstellen will. Er hat erst jetzt entdeckt, was er von Leben will. Doch Gloria ist im Reinen mit sich und ihrer Vergangenheit. Sicherlich ist sie einsam, das zeigen die Bilder und insbesondere das nuancierte Spiel der großartigen Paulina García –, aber sie rappelt sich immer wieder auf. Der Film rangiert derzeit gleichberechtig mit „In the Name of“ ganz oben auf meiner Liste, aber hier warte ich noch einige Tage ab. Eine sehr lesenswerte Kritik zu diesem Film gibt es auch bei critic.de
Auch der zweite Wettbewerbsbeitrag des heutigen Tages war gut. In „Die Nonne“ erzählt Regisseur Guillaume Nicloux nach Denis Diderots Werk die Geschichte von Suzanne Simonin, die auf Wunsch ihrer Eltern und insbesondere auf Druck ihrer Mutter (Martina Gedeck) ins Kloster geht. Aber zu keiner Zeit ist sie dort glücklich, ihre Religion kollidiert mit dem institutionalisierten Glauben. Es sind vor allem Details, die mir an dem Film gefallen haben: die Erzählökonomie, der Verzicht, sich die körperlichen Leiden und Demütigungen explizit in Bilder zu fassen, die Brüchigkeit des Reichtums, der sich in der leicht heruntergekommenen Ausstattung spiegelt und die Hauptdarsteller. Allerdings sind in diesem Film ausschließlich die Männer die Heilsbringer, während die vier weiblichen Führungspersönlichkeiten auf verschiedene Weise versuchen, Suzanne zu beeinflussen und zu benutzen. Hierzu würde ich gerne noch einmal das Buch lesen.
Dagegen war „Vic et Flo ont vu un ours“ eine Enttäuschung. Anfangs funktioniert der Film mit einigen guten Einfällen als schwarzhumorige, skandinavisch-angehauchte Komödie, allerdings geht der Geschichte bald die Kraft aus – und sie verliert sich in Ziellosigkeit. Außerdem präsentiert Regisseur Denis Côté das typische Bild von lesbischen Frauen, die den ganzen Tag in einem gerippten Top und ohne BH herumlaufen.
Zwischen den Filmen habe ich gearbeitet, mich mit Kollegen getroffen und bei dem European Film Market Filmposter von möglichen künftigen Filmen angesehen. Das war ein großer Spaß!