Anlässlich des Erscheinens seines neuen Kryszinski-Romans „Taxibar“ habe ich ein wenig mit Jörg Juretzka gemailt und konnte ihm einige Fragen stellen. Einiges habe ich davon in meinem Beitrag über die Reihe in dem Magazin BÜCHER verwendet, aber es gab viele Aspekte, die ich leider außen vor lassen musste. Daher folgt nun in meiner Juretzka-Reihe das ‚Interview‘ in voller Länge.
Warum haben Sie Mülheim als Handlungsort Ihrer Kryszinski-Reihe gewählt? Und für Folkmar Windell Köln?
Für den Ruhrpolen Kryszinski wollte ich ein Ruhrpott-Setting, also warum nicht Mülheim? Die Stadt stellt je eh nur so etwas wie einen Ankerplatz für den Herumtreiber Kryszinski dar. Und für Folkmar Windell brauchte ich eine reale deutsche Stadt, die bekannt genug ist, um in Windells fiktivem New York eine Kneipe nach ihr benennen zu können. Hört sich ein bisschen weit hergeholt an, war aber wirklich so.
Wie sind Sie auf die Figur Kryszinski gekommen – und was ermöglicht Ihnen Folkmar Windell, was Kryszinski nicht kann?
Zu Anfang hatte ich die klare Intention, den verlottertsten Privatdetektiv in der Geschichte der Kriminalliteratur zu erschaffen – keine Ahnung, obs mir geglückt ist, aber versucht habe ich es jedenfalls. Und Folkmar Windell erlaubt mir den gelegentlichen Ausbruch aus sowohl dem Krimigenre (schwer zu glauben, aber selbst das Verfassen von Spannungsliteratur kann irgendwann langweilig werden) wie der von mir manchmal als scheuklappenartig empfundenen Ich-Erzähler-Perspektive. Ich liebe nunmal auch das multiperspektivische Erzählen, wie man jetzt wieder beim gerade als e-book erschienenen ‚Los Bandidos‘ sehen kann.
Der erste Kryszinski-Roman erschien 1998 – wie hat sich seither Ihr Verhältnis zu Kryszinski verändert? Und wie hat er sich Ihrer Meinung nach verändert?
Ich habe ihn ausgenüchtert – man kann nur so und so viele Alkohol- und Drogeneskapaden schildern, ohne das es irgendwann anfängt, im Getriebe zu knirschen. Und im Zuge dieser neuen Nüchternheit ist Kryszinski in mancher Hinsicht konsequenter geworden, fast schon radikal.
Haben die Entwicklungen im Bereich Kriminalroman (z.B. mehr Morde, mehr Serienkiller, mehr Regionalkrimis usw.) Ihr Schreiben bzw. die Entwicklung innerhalb der Kryszinski-Romane beeinflusst?
Da ich kaum Krimis lese (oder anschaue, doch das nur nebenbei), muss ich die Frage wohl mit ‚nein‘ beantworten. Die Kryszinski-Reihe entwickelt sich, weil mir mein Gefühl sagt, dass andernfalls das Interesse erlahmt – beim Autoren genauso wie beim Publikum.
In den Romanen steht am Anfang immer ein Dank an eine Band für ein bestimmtes Lied. Was hat es damit auf sich?
Da besteht kein Bezug zum Text, falls Sie das meinen. Es ist einfach nur eine Geste, eine kleine Verbeugung, ein Dankeschön für einen Song, der mich aus welchem Grund auch immer vom Hocker gehauen hat.
Wie finden Sie die Themen, die Sie in Ihren Kriminalromanen behandeln?
‚Alles total groovy hier‘ ist da vielleicht ein ganz gutes Beispiel. Mir ist irgendwann aufgefallen, dass die Sklaverei keinesfalls so ausgerottet ist, wie man annimmt, noch nichtmal in Europa. Damit hatte ich ein Verbrechen, mit dem ich mich und meinen Detektiv beschäftigen konnte, auch wenn er anfangs eigentlich nach etwas ganz anderem suchte. Neben dem vordergründigen gibt es aber meist noch ein übergeordnetes Thema, in diesem Fall ‚Ausgrenzung‘. Im Grossen (‚Festung Europa‘) wie im Kleinen (Hippiekommune gegen den aus dem Biker-Milieu stammenden Eindringling). Das Zusammenwirken dieser beiden Leitmotive hilft mir, eine gewisse erzählerische Stringenz beizubehalten.
In den Romanen gibt es neben regelmäßigen Nebenfiguren wie Scuzzi und Menden auch Charaktere, die wieder auftauchen – beispielsweise Alfred aus „Fallera“ in „Freakshow“ oder Roman aus „Alles total groovy hier“ nun in „Taxibar“. Warum kehren diese Figuren zurück? Und wie behalten Sie den Überblick über all die Charaktere?
Mein Überblick tendiert gegen null. Diese Figuren kommen einfach reingeschneit und verlangen lautstark einen Part. Ich bin da bloss ausführendes Organ.
Ein wichtiger Handlungsstrang in „Taxibar“ ist die Situation der Roma in Deutschland. Dieses Thema kenne ich – abgesehen von Merle Krögers „Grenzfall“ – bisher hauptsächlich aus britisch-irischer Kriminalliteratur (beispielsweise von Peace, Bruen und McKinty). Wieso haben Sie es aufgegriffen?
Der Kerngedanke von ‚TaxiBar‘ ist Selbstjustiz und ihre Entstehung. Die letzten Jahre haben uns Politik und Justiz immer wieder vorgebetet, gegen die herumreisenden Roma-Banden praktisch machtlos zu sein. Die Bürger sollten sich bitteschön selber schützen. Damit legt man eine Saat aus, ermutigt die Leute, das Recht selber in die Hand zu nehmen. Das halte ich für eine gefährliche Entwicklung. Es gibt mittlerweile die ersten Bürgerwehren, dazu mehren sich Übergriffe gegen Roma und in ganz Europa haben reaktionäre Parteien besorgniserregenden Zulauf. So etwas treibt mich selbstverständlich um. Ich wünschte, ich hätte eine Antwort auf das Problem einer zugereisten Minderheit, für die in weiten Teilen der Bevölkerung keinerlei Integrationsbereitschaft besteht, habe ich aber nicht. Nur: Totschweigen macht es nicht besser.
In „Taxibar“ muss Kryszinski noch mehr als üblich einstecken, ihm wird sogar eine Heroinspritze ins Bein gejagt, außerdem will er zum ersten Mal einen Menschen töten. Zusammen mit dem Ende muss ich daher die unvermeidliche Frage stellen: Wie wird es mit Kryszinski weitergehen?
Nach jeder Honorarabrechnung sage ich mir: Jetzt ist Schluss. Aber das sage ich nun schon seit sechzehn Jahren und mache dann doch weiter. Wie lange noch? Keine Ahnung. Solange es mich amüsiert, wahrscheinlich. Solange Leute meine Bücher kaufen, zu meinen Lesungen kommen. Wie es weitergeht? Sagen wir so: Ich habe da seit ein paar Tagen ein Thema, das mir ganz interessant erscheint …
Dann noch kurz zu den oft wiederholten biographischen Angaben: Ist es richtig, dass Sie weiterhin auf dem Bau arbeiten? Außerdem habe ich wiederholt gelesen, dass Sie niemals Bücher von Frauen lesen. Stimmt das? Und wenn ja: warum?
Ich hab mal – einmal – nach einem Interview auf die Frage ‚Du, wie findste denn die oder die Kollegin?‘ geantwortet: ‚Kann ich nix zu sagen. Ich lese kaum Bücher von Frauen.‘ Nächsten Tag stands in der Zeitung, dann im Netz und seither verfolgt mich das. Auch wenn etwas Wahres dran ist. Bei vielen Autorinnen merkt man deutlich, dass die in erster Linie für Leserinnen schreiben, die sie dann obendrein häufig wie Idiotinnen behandeln. Ich fühle mich da schlicht und einfach nicht angesprochen. Und ja, ich arbeite nach wie vor so rund die Hälfte des Jahres auf dem Bau. Ich mag den Ton, der da herrscht. Die Arbeit hält mich fit, die Kontakte halten mich auf dem Laufenden. All das erdet mich. Und es ermöglicht mir, zwei Leben zu leben. Wer kann das schon?
Vielen Dank für das Gespräch.