Gestern lief in der ARD die erste Folge der im Vorfeld hochgelobten BBC-Serie „Sherlock“, die Anfang Juni in Großbritannien als beste Drama-Serie von der BAFTA ausgezeichnet wurde. Und tatsächlich ist „Sherlock Holmes“ eine gelungene und innovative Serie mit vielen interessanten Einfällen und hochwertiger Produktion.
Insbesondere hat mir die Umsetzung der Idee gefallen, die Handlung in die Gegenwart zu verlagern. Hier ist es den Drehbuchautoren Steven Moffat und Mark Gatiss wunderbar gelungen, dem Charme und den Besonderheiten der originalen Figur nahezubleiben und eine zeitgenössische Adaption zu schaffen. In den Doyle-Büchern ist Sherlock Holmes ein zunehmend düsterer Exzentriker, heutzutage wird er als „Psychopath“ (von dem missgünstigen Tatortermittler Anderson) oder als „hochfunktionaler Soziopath“ (Selbstbeschreibung) gesehen. Seine mögliche Homosexualität wird gerade in der ersten Folge häufig angesprochen, er gibt selbst zu, dass er mit Frauen Schwierigkeiten hat. Und Dr. Watson lernt er kennen, weil er einen Mitbewohner sucht – die Wohnungen inmitten von London sind schließlich teuer. Die obligatorische Pfeife raucht er nicht mehr, sondern er greift auf Nikotinpflaster zurück, da kein Raucher mehr in London ein anständiges Leben führen könne. Diese Kleinigkeiten haben mich sehr begeistert, obwohl ich Benedict Cumberbatch als Schauspieler etwas zwiespältig gegenüberstehe. Allzu manieriert erscheint mir sein Gesichtsausdruck, zu exaltiert sein Spiel. Allerdings verleiht er auf dieser Weise seiner Figur auch den Charme des imperialen Zeitalters – und einen durchaus liebenswürdig-exzentrischen Zug.
Entscheidend ist bei dieser Serie aber nicht die Leistung eines Hauptdarstellers, sondern das Zusammenspiel mit Martin Freeman in der Rolle des Dr. Watsons. Und hier stimmt die Chemie voll und ganz. Ebenfalls kürzlich mit einem BAFTA-Award geehrt, bringt Freeman einen Watson auf den Bildschirm, der nicht als armes Opfer von Sherlock Holmes (und dessen Autor) erscheint. Die Transponierung ins 21. Jahrhundert hat Dr. Watson ein klares, ebenfalls leicht abgründis Profil verschafft. Anstatt aus dem Zweiten Anglo-Afghanischen Krieg kehrt er aus Afghanistan zurück und muss sich selbst eingestehen, dass er den Nervenkitzel vermisst. Daher treibt weniger die Neugier oder das intellektuelle Spiel an als vielmehr seine Sucht nach Gefahr. Zugleich lässt er Sherlock Holmes menschlicher erscheinen und liefert sich mit ihm zahllose witzige Dialoge.
Auch die traditionelle Erzählperspektive wurde mit den Möglichkeiten der heutigen Technik kombiniert. Der Zuschauer ist der Polizei stets einen Schritt voraus, dabei fand ich den Einfall, die SMS-Nachrichten und Holmes‘ Gedanken im Bild zu zeigen, sehr effektiv. Die Handlung erhält dadurch mehr Tempo, zudem wird eine Nähe zur Gedankenschnelle des Meisterdetektivs erzeugt.
„Sherlock“ ist fraglos eine der besten Serien, die seit langem in der ARD zu sehen waren. Die Einschaltquoten der ersten Folge waren sehr gut, daher bleibt zu hoffen, dass sich die Programmverantwortlichen endlich ein Herz fassen und mehr dieser qualitativ hochwertigen Fernsehstoffe zeigen. Und auch der Plot der nächsten „Sherlock“-Folgen klingt vielversprechend: im zweiten Teil geht es um eine Reihe von Morden, die mittels Graffiti angekündigt werden, im hochgelobten dritten Teil muss Holmes verhindern, dass unschuldige Menschen in die Luft fliegen, indem er bestimmte Verbrechen aufklärt. Ich werde nächsten Sonntag jedenfalls wieder dabei sein.