„Bosch“ ist nun „auch noch ‚woke‘‘‘ konstatiert eine Amazon-Bewertung zu der letzten Staffel der Serie mit Harry Bosch. Tatsächlich zeigt sich das nicht nur bei der Streamingserie, für die die Bewertung abgegeben wurde, sondern auch in „Night Team“, dem zweiten Fall mit Renée Ballard, der neuen Ermittlerin von Bosch-Erfinder Michael Connelly. In beiden Werken wird versucht, auf gesellschaftliche Veränderungen insbesondere durch #Metoo sowie die veränderte Wahrnehmung der Polizei zu reagieren. Das ist insbesondere deshalb interessant, weil Connellys Bosch natürlich von einer gewissen Polizei-Romantik lebt: Harry Bosch ist der aufrechte Cop in einer korrupten Stadt. Auch er hat immer wieder mit korrupten Kolleg*innen zu tun gehabt, dennoch aber stehen er und seine Kolleg*innen für das Gute in der Polizei. Boschs Motto ist „Everybody counts or no one counts“ – und genau das erhofft man sich von Strafverfolgungsbehören und danach hat Bosch immer schon gehandelt.
In der Fernsehserie hat bereits die vierte Staffel (meines Erachtens die beste der gesamten Serie) gezeigt, dass sich Harry Boschs Motto auf die Polizei erstreckt. Dort wurde der Anwalt Elias ermordet, der Fälle von Polizeigewalt vertreten hat. Bosch hat nicht nur versichert, er werde den Fall aufklären, sondern die Täter verhaften, auch wenn es Polizisten sind. Ganz nebenbei wird bemerkt, dass es gegen Bosch zwar schon allerhand Verfahren gab, aber noch wegen ungerechtfertiger Gewaltanwendung ermittelt wurde.
Dennoch hatte Boschs Auffassung von Gerechtigkeit schon immer blinde Flecken: Gerechtigkeit war das, was er dafür hält; er entscheidet, für wen er sich einsetzt und welche Regeln er überschreitet. Dass Regeln und Vorschriften grundsätzlich auch etwas Gutes haben können, sieht er nicht. In der neuen Staffel wird das besonders deutlich, als er noch nicht einmal in Erwägung zieht, dass die Argumentation des FBI standhält: dass die Verhaftung vieler Mitglieder eines Kartells mehr für das Gemeinwohl tut als die Anklage eines Einzelnen für den Auftrag, einen Brand zu legen, bei dem zwei Frauen und ein Kind gestorben sind. Alles in der Serie läuft darauf hinaus, dass es um Gerechtigkeit insbesondere für dieses zehnjährige Mädchen gehen muss. Die vielen Toten, die sonst auf Rechnung der Gangs gehen, wiegen dieses personalisierte Verbrechen nicht auf – sie können gar nicht mithalten mit dem Tod eines Kindes. Die zynische Ausgangsbasis, Menschenleben gegeneinander aufzurechnen, wird hingenommen.
Aber dieses Einzelgängertum von Bosch ist essentieller Bestandteil seines Charakters, in ihm zeigen sich die Reflexe des „lone rangers“, so ist die Figur von vorneherein angelegt – in der Serie sogar noch etwas milder als in den Büchern. Jedoch ändert das Wirken von Bosch und seinem Partner Jerry Edgar oder der anderen Kolleg*innen nichts an den systemischen Problemen der Institution Polizei. Das zeigt in der aktuellen Staffel sehr deutlich der Handlungsstrang um Lieutenant Grace Billetts. Ihr Auto wird beschmiert, ein Foto von ihr wird bearbeitet, alles mit dem Ziel, sie wegen ihres Geschlechts und ihrer Sexualität zu beschimpfen und kleinzuhalten. Dieser Handlungsstrang verweist natürlich auf die Diskriminierung von Frauen bei der Polizei, in diesem Fall sogar bei einer hochrangigen Polizistin. Ihre Kolleginnen steuern weitere Geschichte bei, es zeigt sich, dass es ein systemisches Problem ist. Am Ende dann werden die Schuldigen überführt und verhaftet, Grace Billings entscheidet sich, bei der Polizei zu bleiben und die Sache nicht öffentlich zu machen, weil es ihr „Zuhause“ ist. Jedoch ändert eine gute Person in einem hohen Rang und einige verhaftete Polizisten nichts an den Strukturen, die diesen Missbrauch möglich machen. Vielmehr drückt sich hier die grundlegende Schwierigkeit aus: die gesamte Anlage dieser Reihe baut auf die Institution der Polizei.
Ähnlich ist auch in dem Roman „Night Team“, indem Connellys neuere Figur Renée Ballard mit Harry Bosch ermittelt. Sie ertappt ihn dabei, als er während der Nachtschicht einen Aktenschrank durchwühlt und so erfährt sie, dass er in einem alten Fall ermittelt: Vor Jahren wurde die minderjährige Daisy Clayton ermordet, ihr Mörder wurde nie gefasst. Wer die Serie kennt, weiß natürlich, wer Daisy Clayton ist und wer sie ermordet hat. Es gibt – wie immer – noch weitere Fälle, aber auch in „Night Team“ zeigen sich die Folgen von #Metoo: einem Stand-up-Comedian wird vorgeworfen, eine Frau vergewaltigt zu haben. Ballard wird zu dem vermeintlichen Tatort gerufen, es gibt Zweifel an der Version der Frau, aber letztlich wird alles schnell dadurch geklärt, dass der Mann den Sex heimlich gefilmt hat. Immerhin ist Ballard entrüstet, dass er Frauen ohne deren Einwilligung filmt, auch will sie, dass er dafür belangt wird. Jedoch ändert all das nichts daran, dass es erstens statistisch sehr, sehr selten ist, dass Frauen falsche Anschuldigungen erheben und zweitens dieses Vorgehen des Mannes dadurch indirekt gerechtfertigt wird.
In „Night Team“ zeigen sich ebenfalls die Schwierigkeiten innerhalb der Institution: das Vorgehen der Sondereinheit, die ein Gangmitglied verhaften will, ist von Anfang darauf ausgelegt, dass dieser bei dem Einsatz ums Leben kommt. Aber Bosch heißt das gut, weil dieser ihn zuvor aus seinem Haus entführen lassen hat. Er ihn im Privaten angegriffen. Und wenn es um einen der ihren geht, dann halten Polizisten zusammen. Jedoch ist es genau dieses Zusammenhalten, das beispielsweise verhindert hat, dass der Übergriff auf Ballard aufgeklärt und geahndet wird. Es ist dieses Zusammenhalten, das Reformen und Aufklärung verhindert.
Deshalb lassen sich in Buch und Serie ganz klar Reflexe auf die gesellschaftlichen Veränderungen finden. Aber sie sind eben immer auch ein bisschen zweischneidig. So wird das zehnjährige Mädchen Sonia Hernandez immer wieder als „Tamales Girl“ bezeichnet; offenbar ist dieser Name nett gemeint. Aber er reduziert sie auf das Essen, das sie anderen gebracht hat – und nimmt ihr ihre Individualität. Und indem das Verhalten der Polizei entweder als Sonderfall oder als gerechtfertigt dargestellt wird, soll dann doch das grundsätzliche Vertrauen in die Institution gestärkt werden. Auch wenn Bosch es letztlich selbst nicht mehr hat.
Michael Connelly: Night Team. Renée Ballard trifft Harry Bosch. Übersetzt von Sepp Leeb. Kampa Verlag 2021. 448 Seiten. 19,90 Euro