Seit ich das erste Mal davon gehört, dass Adrian Lyne Patricia Highsmiths „Tiefe Wasser“ verfilmt, verfolgte ich diesen Film mit einer, ja, skeptischen Befürchtung. Denn Adrian Lyne ist bekannt für „erotische Psychothriller“, in denen in der Regel eine Frau amoralisch ist und den guten, armen, treuen Ehemann auf Abwege führt. Es sind Filme, wie sie heute kaum mehr gemacht werden, bei denen ich mich aber auch frage, wie ich sie wohl heute sehen würde. Der Trailer ließ dann Schlimmes befürchten – womit ich wirklich gar nicht gerechnet habe: „Deep Water“ ist ein unfassbar langweiliger Film. Und zwar noch nicht einmal langweilig-stylish, sondern einfach nur langweilig.
Inhaltlich hält er sich grob an die Highsmith-Vorlage: Vic Van Allen (Ben Affleck) ist ein reicher seltsamer Kauz, verheiratet mit der attraktiven Melinda Van Allen (Ana de Armas), die ihn vor den Augen der Gesellschaft der anderen Reichen und Schönen betrügt. Er gibt vor, ihre Affären stoisch hinzunehmen. Handlungsort im Film ist New Orleans, im Roman Neuengland. Die Verlagerung spielt aber lediglich für das Set Design eine Rolle: die Häuser sehen nach Louisiana und nicht Massachusetts aus, mehr aber nicht. Offenbar sind sie mit Paaren befreundet, die allesamt ebenfalls wohlhabend sind und sich ihre Zeit mit Partys vertreiben, auf denen sehr viel getrunken und über Sex geredet bzw. Sex gehabt wird. Aber das klingt nun schon spannender, als es jemals in diesem Film ist. Große Altersunterschiede zwischen den Paaren – auch Affleck und de Armas trennen 16 Jahre – sind dort eher Standard und werden nicht thematisiert. Auf einer Party behauptet Vic dann, er habe Melindas vorherigen „Freund“ ermordet. Das führt zu Gerüchten. Tatsächlich wird dieser „Freund“ später tot aufgefunden, aber im Film spielt das kaum weiter eine Rolle. Stattdessen guckt Ben Affleck weiter traurig in die Kamera und Ana de Armas trägt ein rückenfreies Kleid. Und auch das klingt nun wieder unterhaltsamer als es ist. Denn „Deep Water“ ist noch nicht einmal so schlecht, dass ich mich darüber aufregen oder amüsieren könnte.
Dieser erste Tod wird durch den Satz einer Nebenfigur ad acta gelegt, dann hat Melinda schon den nächsten Freund und auch dieser stirbt. Ein Schriftsteller (Tracy Letts) wird neugierig, er und mittlerweile auch Melinda glauben, Vic tötet tatsächlich. Dann kommt der nächste „Freund“ – und da verändert sich das Muster. Nur so viel sei verraten: das Ende ist anders als im Roman. Diese Information hat mich immerhin dazu gebracht, den Film fertigzuschauen.
Es ist erstaunlich, dass niemanden aufgefallen ist, dass das Drehbuch von Zach Helm und Sam Levinson keinen Sinn und lediglich hauchzarte Ansatzpunkte für Interpretationen ergibt. Nun ist Sam Levinson ja derzeit durchaus angesagt – aber schon die Beziehungsdynamik in seinem Film „Malcolm und Marie“ war seltsam unausgeglichen. Und über die Charakterisierungen der weiblichen Figuren würde ich durchaus auch gerne mal etwas schreiben, aber ich weiß nicht, ob ich nun „Euphoria“ noch gucken will. In „Deep Water“ indes steht eine sehr konservative Konzeption von Ehe und Familie neben den immer wieder angedeuteten Unkonventionalitäten. Wenn Melinda ihrem Mann sagt, dass er sich ohne sie schon zu Tode gelangweilt hätte, konnte ich dem nur zustimmen – zum einen weil ich mich ohne sie noch mehr gelangweilt hätte, zum anderen aber auch, weil er die Reaktion der anderen Männer auf ihre Attraktivität durchaus wahrnimmt. Das führt zu der besten Szene des Films: Nach einer Party teilt Melinda mit Vic auf der Rückfahrt im Auto einen Apfel. Hier blitzt eine Intimität und Vertrautheit auf, die man nur in einer Ehe findet. Hier zeigt sich, was möglich gewesen wäre, deutet sich an, dass dieses Spiel mit den Betrügereien eventuell von beiden gewollt ist. Das wäre ein interessanter Ansatzpunkt gewesen. Aber der Film macht nichts daraus.
Weder de Armas noch Affleck haben eine sonderlich dankbare Rolle. Bei Afflecks Vic Van Allen soll eine Amoralität möglicherweise angedeutet werden, weil er den Chip entwickelt hat, der in Drohnen bei Angriffen eingesetzt wird. Aber auch hier rudert der Film zurück indem ihm die unausgegorenste Figur des gesamten Films (und das will etwas heißen) – der unsympathische Schriftsteller, der hier einfach nur kleinlich wirkt – genau das vorwirft und dann später erwähnt wird, dass mit Drohnen ein IS-Lager bombardiert wurde. Vic Van Allen reagiert beide Male indifferent. Gefühle zeigt er ohnehin nur selten, was ihm von seiner Frau immerhin vorgeworfen wird. Gegenüber seiner Tochter ist er anders, das sind fast die besten Szenen des Films. Auch zeigt er gelegentlich zumindest erste Anzeichen von Eifersucht (das ist mehr als man von Vic im Buch sagen kann.)
Dass Melinda etwas interessanter ist, ist alleine de Armas‘ Verdienst. In ihren Blicken, ihren Gesten blitzt immer wieder das Wissen auf, dass Vic sie geheiratet hat, weil sie jung, schön und weniger klug ist als er. Sie weiß, dass sie ein „trophy wife“ ist, auch wenn er sich das niemals eingestehen würde – und sie spielt diese Rolle, lässt auch erkennen, dass es eine Rolle ist, scheint aber nicht zu wissen, wie sie es findet. Genau das wäre im Übrigen ein weiterer Ansatz für einen hochspannenden Film, ja, sogar einen Erotikthriller gewesen, aber offenbar ist niemanden diese Lesart aufgefallen.
Daher ist an diesem Film vor allem bemerkenswert, dass das Potential weder der Vorlage noch der aktuellen Besetzung erkannt wurde: „Tiefe Wasser“ ist ein Vorläufer von „Gone Girl“, ein Porträt einer unglücklichen Ehe mit wenig Mitleid für die Ehefrau, zugleich die Erzählung von eines Mannes, der mit den traditionellen Vorstellungen von Maskulinität nicht überein stimmt – weder in den 1950er Jahre des Romans noch in der Gegenwart. Wenn nun aber in dem Film Vics Freunde sagen, er müsse Melinda „zügeln“, klingt das hohl und falsch. Ich schätze, viele heutige Männer würden anders auf eine Frau wie Melinda reagieren – aber zugleich würde ihr Verhalten weiterhin Vics Maskulinität bedrohen, zumindest in den Augen von anderer. Auch das wäre ein interessanter Ansatzpunkt für einen Film gewesen, zu dem auch die Besetzung mit Ben Affleck gut gepasst hätte. Rein optisch erfüllt er in jeder Zeit traditionelle Vorstellungen von Männlichkeit, gerade auch dadurch, dass er seine Traurigkeit nur durch Blicke zeigt. Er tritt gerne auf als sei er ein guter Kerl, „a good guy“, aber spätestens seit eben „Gone Girl“ darf man daran auch zweifeln. Wenn ich jedoch eine Figur wie Vic Van Allen mit ihm besetze, dann muss ich doch auch etwas daraus machen!
Als Fazit würde ich gerne schreiben, „Deep Water“ sei ein Film voller verpasster Chancen – aber in diesem Film steckt nur so wenig Esprit und so wenig Inspiration, dass schon das Verpassen von Chancen mehr Energie erfordert als jemand in diesen Film gesteckt hat.
Weiterführende Links:
Über Patricia Highsmiths Roman habe ich auch in meiner Highsmith-Reihe beim CrimeMag geschrieben.