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Auf Wahrheitssuche – „Verweigerung“ von Graham Moore

Voriges Jahr erschien Jill Ciments Roman „Anatomie eines Prozesses“, in dem eine Geschworene von der Zeit erzählt, die sie in Abgeschiedenheit verbringen musste, während sie über die Schuld einer Angeklagten befinden musste. Dieser Roman ist kunstvoll gebaut, in ihm wird deutlich, wie abgekapselt die Geschworenen während eines Prozesses ist, wie eine eigene Dynamik unter diesen zufällig ausgewählten Menschen entsteht, die sehr viel Zeit miteinander verbringen müssen. Der tatsächliche Prozess, die Schuld oder Unschuld der Angeklagten gerät dabei zusehends in den Hintergrund und folgerichtig wird in diesem Roman nicht aufgeklärt, ob die angeklagte junge Frau tatsächlich für den Tod ihres Bruders verantwortlich ist.

Auch in Graham Moores „Verweigerung“ ist wiederholt zu lesen, dass die Wahrheit nicht so eindeutig ist, dass man mit Ungewissheit leben muss, dass Gerechtigkeit und Ungerechtigkeit manchmal aus derselben Tatsache entspringen können. Vor zehn Jahren hat Maya maßgeblich dafür gesorgt, dass Bobby Nooke freigesprochen wird – sie war die Geschworene, die alle anderen von dem Freispruch aufgrund begründeter Zweifel überzeugt hat. Danach brach ein Sturm der Entrüstung über die Geschworenen ein, die Mehrheit der Gesellschaft war überzeugt, dass sie einen Schuldigen davonkommen haben lassen. Seither ist Maya Anwältin geworden, aber der Prozess hat sich auf ihr Leben und das der anderen Geschworenen vielfältig ausgewirkt.

Nun wird es zu dem zehnjährigen Jubiläum eine Sondersendung über die damalige Verhandlung geben, die maßgeblich auf einer Entdeckung basiert, die einer der damaligen Geschworenen gemacht hat, der seit zehn Jahren wie besessen in diesem Fall recherchiert. Aber vor der Enthüllung wird Rick tot aufgefunden – in Mayas Hotelzimmer. Da Maya und Rick damals eine Affäre hatten und sie nun kein Alibi vorweisen kann, wird sie des Mordes verdächtigt. Mittlerweile ist sie Strafverteidigerin, sie weiß also, wie sie sich zu verhalten hat. Eigentlich. Stattdessen aber macht sie sich daran, mit eigenen Recherchen ihre Unschuld zu beweisen und beginnt ihrerseits mit Ermittlungen in dem damaligen Fall.

Auf zwei Ebenen werden diese Fälle verhandelt: in der Gegenwart versucht Maya, Ricks Mörder zu finden, indem sie herausfindet, was er herausgefunden hat. Dazwischen geschaltet sind Kapitel, in denen sich die damaligen Geschworenen jeweils personal an den Prozess erinnern. Dadurch wird – wenngleich weitaus weniger eindringlich – deutlich, wie diese Erfahrung des Prozesses für sie war. Allerdings wird hier sehr viel mehr erklärt, während Ciment durch ihre Erzählhaltung und Sprache – bspw. waren die Geschworenen sehr lange nur Nummern – diese Erfahrung ausgedrückt hat. Vor allem aber wird aus diesem Gerichtsroman zusehends ein recht altmodischer Whodunit: Es gibt wie in den Agatha-Christie-Romanen eine bestimmte Anzahl Verdächtiger, von denen es am Ende auch jemand war, und natürlich nicht nur eine, sondern weil es ja um zwei Fälle geht, zwei Enthüllungen, die alles auf den Kopf stellen. Die in Ricks Fall ist durchaus überraschend, wenngleich die Hintergründe, nun ja …, die Enthüllung in dem damals verhandelten Fall ist indes sehr weit vorherzusehen.

„Verweigerung“ greift immer wieder Ungerechtigkeit und Rassismus im Justizsystem auf, ein wenig ergeht es Graham Moore dabei auch wie seiner Hauptfigur Maya: Vieles ist gut gemeint, aber lediglich solide gemacht. Es sind viele Erklärdialoge notwendig – und da ist dann doch schade, dass er am Ende seiner Leser*innen nicht wenigstens mit ein paar Ungewissheiten entlässt. Schließlich ist ja die Wahrheit alles andere als eindeutig.

Graham Moore: Verweigerung. Übersetzt von André Murmot. Eichborn 2021.

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