Das Leben ist für den Schriftsteller James „Dilly“ Dillon ein einziger Kampf – gegen den Alkohol, gegen eine Schreibblockade und gegen die Arbeit. Auch zu Hause findet er keine Unterstützung. Er lebt mit seinen drei Kinder, seiner Ehefrau, seiner Mutter und seine Schwester in beengten Verhältnissen, in denen seine Frau und Mutter einen Kleinkrieg gegeneinander ausfechten und ihn mit Vorwürfen konfrontieren. Selbst Dillons Beziehung zu seiner Frau ist weniger von Liebe denn von einer wechselseitigen Besessenheit geprägt. Seine Arbeit in einer Flugzeugfabrik hasst er, aber er muss seine Familie irgendwie durchbringen. Also setzt er sich der angespannten Atmosphäre voller Neid und der verabscheuten Tätigkeiten jeden Tag aufs Neue aus. Es ist sein Pflichtgefühl, das ihn irgendwie am Leben hält.
Aus dem Leben gegriffen
Jim Thompsons semi-autobiographischer Roman „Jetzt und auf Erden“ ist bereits im Jahr 1942 in den USA erschienen, aber erst 2011 hat sich ein deutscher Verlag für sein Debüt gefunden, in dem sich schon viele Hinweise auf seine späteren Kriminalromane finden. Es ist vor allem die düstere Hoffnungslosigkeit, die den Roman durchzieht, die an spätere Werke denken lässt. Es geling Dillon immer wieder, eine Chance zu vermasseln. Er kümmert sich nicht um Stipendien, schreibt nur auf den Druck seiner Mutter und nutzt Gelegenheiten nicht. Vielmehr ist er gefangen – in einem Leben, das er nicht wollte, und einem Job, den er hasst. Er hat gesundheitliche Probleme und fürchtet außerdem, dass er wie sein Vater allmählich den Verstand verliert. Dabei finden sich in dem Roman einige Querverweise auf Jim Thompsons Leben: den Namen Dillon hat er als Pseudonym für seine Kurzgeschichten verwendet, außerdem arbeitete er in einer Flugzeugfabrik in San Diego und war ebenfalls Mitglied in der Kommunistischen Partei. Er kennt die Schattenseiten des amerikanischen Traums, die er schonungslos seziert. Eine einfache Lektüre ist „Jetzt und auf Erden“ daher nicht. Vielmehr werden die Qualen der Hauptfigur spürbar, so dass dieser unentrinnbare Abwärtssog einen beim Lesen ergreift.
Über den großen Autor Jim Thompson
In dem Vorwort zu „Jetzt und auf Erden“ schreibt Stephen King, dass Thompson deshalb ein großer Autor sei, „weil er keine Angst vor dem Dschungel in der Kantine hatte, keine Angst hatte vor der Scheiße, die manchmal die Gullys verstopft, die sich am Boden des ganz gewöhnlichen Denkens und Handelns befinden. Niemand mag es, wenn der Arzt seine Gummihandschuhe überstreift, einen bittet, sich vorzubeugen und dann herumbohrt … Aber jemand muss nach den Unregelmäßigkeiten suchen, die auf Tumore und Geschwüre hinweisen können“ – und Jim Thompson findet diese Unregelmäßigkeiten. Er wusste: „Die Literatur einer gesunden Gesellschaft braucht Proktologen ebenso wie Hirnchirurgen“. Deshalb wühlt er im Bodensatz und fördert ein Buch zu Tage, das in den USA zu einem Klassiker über den Überlebenskampf der Arbeiterklasse im frühen 20. Jahrhundert gehört und nun auch hierzulande gelesen werden kann.
Im Juli erscheint im Heyne-Verlag außerdem „In die finstere Nacht” von Jim Thompson. Meine Besprechung erscheint in der August-Ausgabe des Magazins (hör)BÜCHER.