Über “Orange is the new black” (Staffel 4)

(Zu sagen, es folgen Spoiler, wäre womöglich untertrieben. Wer über zentrale Handlungspunkte nichts erfahren will, sollte den zweiten Absatz dieses Textes nicht lesen.)

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„Orange is the new black“ hat schon immer einige Qualitäten gehabt: Die Vielzahl an Figuren, von denen in den einzelnen Folgen Hintergründe zu erfahren sind und die äußerst vielseitige Geschichten verbergen, die nicht nur in Hautfarbe, sexueller Orientierung, Körperform und Aussehen, sondern auch innerhalb der einzelnen „Gruppierungen“ äußerst diversifiziert sind. Die Entwicklung von Piper, die womöglich als Identifikationsfigur gedacht war und im Gefängnis im Grunde genommen erst richtig kriminell wird und mit dieser Veränderung immer wieder hadert. Die kleinen Wahrheiten, die man über die einzelnen Figuren erfährt, der Facettenreichtum von gut oder böse. Dennoch war die dritte Staffel trotz einiger dramatischer Themen fast ein wenig zu soapig und leicht. In der vierten Staffel holt nun Jenji Kohan ungefähr sechs Folgen lang aus, um einem dann die nächsten sieben Folgen langsam immer tiefer in den Magen zu bohren. Es sind herzzerreißende Momente, voller Tragik und Unvermeidbarkeit, voller Wut und Tränen (zumindest bei mir!).

Man sieht einer langsamen Eskalation hilflos, diese letzten Folgen zeigen, was passiert, wenn Menschen keine Menschen mehr sind, sondern nur noch „body“, die in einem Gefängnis kostengünstig untergebracht werden sollen, damit ein privates Unternehmen möglichst viel Gewinn macht. Wenn Büroleute entscheiden, was in einem Gefängnis passiert, ohne jemals ein Gefängnis gesehen zu haben. Wenn Army-Veteranen als Wachpersonal eingesetzt werden, die nicht verstanden haben, dass sie nicht mehr im Krieg sind. Wenn den Häftlingen keine Beschäftigung, keine Perspektive gegeben wird. Was Sucht aus Menschen macht. Was Hass aus ihnen macht. Und was Vorurteile aus ihnen machen. Dabei bewahrheitet sich auch hier mal wieder, dass Missstände vor allem deshalb nicht behoben werden, weil gute Menschen weggucken. Sich wegducken. Sogar aus sicherer Position heraus nichts unternehmen. Sondern nur an sich denken. Oder einfach kein Interesse aufbringen für die Nöte anderer. Poussey stirbt, weil sie einer Freundin helfen will. Und mit ihr stirbt einer der nettesten, harmlosesten Charakter. Poussey hat in der Bibliothek gearbeitet, Bücher geliebt, ihr Vater ist ein Army-General (ich bin gespannt, ob das in der fünften Staffel eine Rolle spielen wird), ihre Mutter war Kunsthistorikerin – und sie ist schwarz. Sie stirbt, weil ein Wachmann ihr sein Knie auf den Rücken drückt. Sie erstickt, weil niemand hört, wie sie darum bittet, dass er das Knie hochnehme. Sie stirbt, wie Eric Garner in den USA gestorben ist. Und dieser Wachmann handelt aus Überforderung, er bekommt nicht mit, was er tut, er ist während der gesamten Staffel überfordert mit seiner Arbeit, mit seinen Kollegen. Er ist ein netter Kerl. Diese Entwicklung ist furchtbar tragisch. Und doch verweist sie sehr, sehr deutlich auf den strukturellen Rassismus eines Systems. Der Wachmann Bayley hat – das wurde in einer Rückblende einige Folgen zuvor deutlich – die gleichen Vergehen begangen wie Poussey, Kiffen und „Trespassing“ , aber er ist nicht im Gefängnis gelandet. Denn er ist weiß, sie ist schwarz. Es spielt keine Rolle, dass Poussey weltgewandt und gut erzogen ist, drei Sprachen spricht – sogar Menschen, die ihr wohlgesinnt sind, sehen oft nur ihre Hautfarbe und ziehen Rückschlüsse. Hier ergeben sich Verbindungen zwischen den Episoden, die sehr deutlich zeigen, wie sorgsam diese Serie aufgebaut ist. Und noch etwas ändert sich mit dieser vierten Staffel: Es ging in „Orange is the new black“ schon immer um Empathie, um die Erinnerung, dass jeder Mensch ein Mensch ist, dass man mit Liebe und Güte weit kommen kann. Doch diese vierte Staffel zeigt nun, dass Liebe, Nachsicht und Empathie nicht immer reichen. Wenn Wachen ungestraft unter dem Deckmantel der Kontrolle Latinas begrapschen, sie mit vorgehaltener Waffe zu Abscheulichkeiten zwingen, wenn Afro-Amerikanerinnen als „apes“ bezeichnet werden, wenn psychisch kranke Menschen in eine Zelle geworfen oder zum Kampf gezwungen werden, wenn Transsexuelle zu ihrem „Schutz“ in Isolationshaft gesteckt werden, dann reicht Empathie nicht mehr. Dann muss man aufbegehren. Und das gilt nicht nur für ein Frauengefängnis oder die USA. Das gilt überall.

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