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Krimi-Kritik: „Ein dunkler Sommer“ von Thomas Nommensen

(c) Rowohlt

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Für Entführung mit Todesfolge wurde Frank Brückner vor zehn Jahren zu einer Haftstrafe verurteilt. Damals soll er ein zehnjähriges Mädchen gekidnappt haben, das an dem Ort, an dem es gefangen gehalten wurde, gestorben ist. Nun hat er seine Haftstrafe abgesessen und wird frei gelassen. An die damaligen Ereignisse hat er nur eine bruchstückhafte Erinnerung, traut sich selbst daher nicht vollends über den Weg und will auf Anregung seines Psychiaters herausfinden, was damals passiert ist. Deshalb nimmt er Kontakt zu ehemaligen Zeugen auf, außerdem besucht er Orte, die eine Rolle gespielt haben. In der Gegenwart ermitteln Hauptkommissar Arne Larsen und sein Kollege Frank Kuhlmann an dem Mord an einem Werkstattbesitzer, der allerhand Dreck am Stecken hat und – wenig überraschend – an dem Prozess gegen Frank Brückner beteiligt war: Er änderte seine Aussage, so dass Brückner für die fragliche Zeit kein Alibi mehr hatte.

Mit kapitelweise wechselnden Perspektiven erzählt Thomas Nommensen in „Ein dunkler Sommer“ nun von Frank Brückner, einem dicken Jungen, der den Mord an dem Werkstattbesitzer beobachtet hat, dem pensionierten Kommissar Gregor Harms, der trinkt und unter Aussetzern leidet, der Familie des damals gestorbene Mädchens und anderen Personen. Dadurch dauert es einige Kapitel, bis der eigentliche Fall in den Mittelpunkt rückt, außerdem bekommt man schon sehr früh viele, vielleicht sogar zu viele Informationen. Von vorneherein steht fest, dass die Fälle zusammenhängen, auch scheinen fast alle Figuren, denen ein Kapitel gewidmet ist, involviert zu sein. Nimmt anfangs Gregor Harms viel Raum ein, der damals die Ermittlungen leitete, aber immer noch unter den Folgen leidet. Mit zunehmendem Verlauf rückt er indes an den Rand – fast glaubt man ihn vergessen –, um dann am Ende wieder aufzutauchen. Dadurch gehen Stringenz und Tempo verloren. Auch zieht sich der finale Showdown ungemein lange hin. Durch die Eliminierung jeglicher Verdächtiger im Vorfeld bleibt aber zu diesem Zeitpunkt nur noch ein Täter übrig (den ich natürlich nicht verrate). Nachdem die erste Gefahr gebannt ist, wird zudem jede Kleinigkeit nochmals sorgsam erwähnt, weitere Hintergründe werden im Gespräch von Larsen und Kuhlmann geklärt, so dass jede Einzelheit gedeutet wird. Das nimmt dem gesamten Kriminalroman Spannung, vor allem aber dem Leser Raum für eigene Gedanken.

Schließlich folgt noch ein Epilog, der den Eindruck verstärkt, dass in diesem Buch die Ideen für zwei Geschichten zusammengefasst worden sind – oder nachträglich zu viel eingefügt wurde. Das ist schade, da zum einen die eine Grundidee auf den ersten hundert Seiten bereits gut eingeführt wird – die Sprache Brückners deutet schon daraufhin –, sie jedoch dann keine Rolle mehr spielt, sondern erst am Schluss durch eine unglaubwürdige Volte wieder aufgegriffen wird. Und zum anderen sorgt die Fülle an Ideen dafür, dass trotz über 400 Seiten über Arne Larsen, der ja die Hauptfigur dieser neuen Reihe werden soll, nicht viel zu erfahren ist – außer dass er gerne an Tatorten und Aufenthaltsorten von Verdächtigen ist, um ihnen näher zu kommen, aber kein Profiler sein will, und eine unsichere Beziehung mit einer Journalistin führt. Insgesamt gibt es daher viele vielversprechende Ansätze in diesem Krimi-Debüt, aber mit einer stärkeren Konzentration auf eine Geschichte und einen Hintergrund sowie rund 100 Seiten weniger wäre „Ein dunkler Sommer“ ein besserer Kriminalroman geworden.

Thomas Nommensen: Ein dunkler Sommer. Rowohlt 2014.

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