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Dogma: „Open Hearts“ von Susanne Bier

(c) Arsenal Filmverleih

(c) Arsenal Filmverleih

Susanne Bier ist bekannt dafür, dass sie in ihren Filmen dem Zwischenmenschlichen nachspürt, indem sie in zwar dramatischen, aber alltäglichen Situationen genau hinschaut und das Verhalten ihrer Figuren ergründet. Diesen Ruf hat sie sich neben „Brødre“ (2004) vor allem durch „Elsker dig for evigt“ („Open Hearts“;„Für immer und ewig“) erworben. Bei beiden Filmen stammt das Drehbuch von Anders Thomas Jensen.

Cecilie (Sonja Richter) und Joakim (Nikolaj Lie Kaas) sind glücklich miteinander und wollen heiraten. Eines Morgens geschieht jedoch ein folgenschwerer Unfall: Sie verabschieden sich voneinander im Auto, Joakim steigt aus, schaut noch einmal ins Auto zu Cecilie und wird angefahren. Unfallfahrerin Marie (Paprika Steen) hat sich gerade mit ihrer Tochter Stine (Stine Bjerregaard) gestritten, ist vor Wut zu schnell gefahren, hat den zur Fahrbahn aussteigenden Joakim nicht gesehen und erfasst. Es ist ein Unfall, an niemand oder alle schuldig sind, der aber das Leben aller Beteiligten und auch ihre Beziehungen zueinander verändert. Marie wird von Schuldgefühlen geplagt, ihre Tochter Stine glaubt sich ebenso verantwortlich, ist aber gefangen in den Ausbrüchen der Pubertät. Joakim überlebt, ist fortan aber vom Hals abwärts gelähmt und weigert sich, an der Verlobung mit Marie festzuhalten. Marie wiederum wird völlig aus der Bahn geworfen, sie ist allein, will Joakim unterstützen, er stößt sie jedoch ständig weg. Halt findet sie indes bei Maries Ehemann Niels (Mads Mikkelsen, der sich auf Bitten seiner Ehefrau um Cecilie kümmert.

Cecilie und Niels (c) Arsenal Filmverleih

Cecilie und Niels (c) Arsenal Filmverleih

Nach und nach brechen unterdrückte Konflikte und Sehnsüchte auf, zugleich aber sehen sich die Figuren mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre Zukunft gestalten wollen. Dabei gelingt es Susanne Bier und Anders Thomas Jensen, das Verhalten der jeweiligen Figuren in ihrem Charakter zu begründen, so dass es zwar irritiert, aber stets innerhalb der Figur schlüssig ist. So will anfangs ihr schlechtes Gewissen beruhigen, indem sie Niels bittet, nach Cecilie zu sehen. Cecilie ist hingegen mit der Situation überfordert und gänzlich allein, deshalb nimmt sie Niels Unterstützungsangebot gerne an. Niels gefällt sich wiederum anfangs in der Rolle des selbstlosen Helfers, allerdings muss er sich schon bald eingestehen, dass er sich in Cecilie verliebt hat. Bereits zuvor haben sich in Niels Ehe in Gesprächen und Schweigen erste Risse gezeigt, deshalb ist Cecilie auch niemals die Verführerin, sondern lediglich diejenige, die ihn letztlich schmerzlich auf das Fehlende in seinem Leben aufmerksam werden lässt. Hierin zeigt sich Susanne Biers und Anders Thomas Jensens Gespür für das Alltägliche. Deshalb verhalten sich die Erwachsenen auch erwachsen: Sie reden über die Dinge – sei es das Verhalten der Tochter oder die Affäre –, sie streiten, weinen und schreiben, am Ende jedoch sind die Figuren mehr oder weniger bei sich selbst angekommen.

Cecilie (c) Arsenal Filmverleih

Cecilie (c) Arsenal Filmverleih

„Open Hearts“ ist Susanne Biers erster Dogma-Film, jedoch ist es weniger die Handkamera oder das Licht, das diesen Film auszeichnet. Diese Regeln verleihen ihm einen reduzierten, alltäglichen Stil, der gut zu der Geschichte passt und Anfang der 1990er Jahre im Gegensatz zu den oftmals glatt gebügelten Bildern ähnlicher Filme steht. Aus heutiger Sicht bemerkenswerter ist indes die Erzählweise, die sehr viel Nähe zu den Figuren ermöglicht, ohne Identifikation einzufordern. Ähnliches gelang zuletzt auch der norwegischen Regisseurin Iram Haq in ihrem Film „Jeg er din“, in dem eine junge Frau auf der Suche nach sich selbst und einem Leben für sich ebenso Fehler machen durfte wie Cecilie.

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Berlinale 2014 – Filme aus Skandinavien

Insgesamt 13 Filme aus Norwegen, Schweden, Dänemark und Finnland werden bei der Berlinale vom 6. bis zum 16. Februar zu sehen sein. Abgesehen von den Kinder- und Jugendfilmen werde ich versuchen, alle während meines Berlinale-Aufenthalts zu sehen, Kritiken zu den Filmen folgen also hoffentlich. Vorab aber schon einmal eine kurze Vorstellung der jeweiligen Filme und – so weit bereits verfügbar – Trailer.

Update: Aus gesundheitlichen Gründen konnte ich leider nicht zur Berlinale fahren. Deshalb hoffe ich jetzt sehr auf Kino- und DVD-Starts der Filme.

„Kraftidioten“ von Hans Petter Moland

Im Wettbewerb läuft der Film „Kraftidioten“ von Hans Petter Moland, der bereits im Jahr 2010 mit „En ganske snill mann“ („Ein Mann von Welt“) bei der Berlinale war. Abermals arbeitet er mit Drehbuchautor Kim Fupz Aakeson und Hauptdarsteller Stellan Skarsgård zusammen, außerdem sind Birgitte Hjort Sørensen („Marie Krøyer“), Bruno Ganz, Pål Sverre Hagen („Kon-Tiki“), Jakob Oftebro und Tobias Santelman dabei. Laut Pressetext ist der Film eine „blutig-schwarze Komödie voller großer Bilder einer winterlich-weißen, schier endlos wirkenden Landschaft“.

„Blind“ von Eskil Vogt

In der Panorama-Sektion ist meines Erachtens der interessanteste skandinavische Beitrag zu finden. „Blind“ ist das Regiedebüt von Eskil Vogt, der mir vor allem als Drehbuchautor von Joachim Triers Filmen „Reprise“ und „Oslo, 31. August“ in Erinnerung ist. Beide Filme fand ich außergewöhnlich gut, deshalb freue ich mich sehr auf diesen Film, in dem Eskil Vogt mit „Schein und Sein spielt“ und „Plot-Konventionen ad absurdum“ führt. Außerdem hat er gerade den Drehbuch-Preis beim Sundance-Festival gewonnen.

„Concerning Violence“ von Schweden Göran Olsson

(c) Lennart Malmer

(c) Lennart Malmer

Ebenfalls im Panorama läuft der Dokumentarfilm „Concerning Violence“ des Schweden Göran Olsson, der vor drei Jahren mit „Black Power Mixtapes 1967-1975“ ebenfalls in Berlin war. In seinem Film zeigt er abermals Archivbilder von schwedischen Dokumentarfilmern und Fernsehjournalisten, dieses Mal wurden sie zwischen 1966 und 1984 in Afrika aufgenommen und zeigen die Freiheitskämpfe in sechs afrikanischen Staaten.

„En du elsker“ von Pernille Christensen Fischer

(c) Rudolf Konow, Zentropa

(c) Rudolf Konow, Zentropa

Als Special Screening ist „En du elsker“ („Someone you love“) von der dänischen Regisseurin Pernille Christensen Fischer zu sehen, deren „Eine Familie“ ebenfalls bei der Berlinale 2010 lief und damals den FIPRESCI-Preis erhalten hat. Mit Trine Dyrholm, Brigitte Hjort Sjørensen und Mikael Persbrandt prominent besetzt erzählt sie in ihrem Film die Geschichte des Sängers Thomas Jacob, der sich plötzlich um seinen Enkel kümmern muss. Das Drehbuch hat sie mit Kim Fupz Aakeson geschrieben.

„Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann“ von Felix Herngren

(c) Concorde Filmverleih

(c) Concorde Filmverleih

Ein weiteres Special Screening ist „Hundraåringen som klev ut genom fönstret och försvann“ („Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“) von Felix Hergren. Der Film basiert natürlich auf dem gleichnamigen Bestseller von Jonas Jonasson und wird am 20. März in den deutschen Kinos starten. Der deutschsprachige Trailer ist bei kino-zeit.de zu sehen.

Sehr stark ist das skandinavische Kino bei den Kinder- und Jugenfilmden vertreten, inklusive der Ko-Produktionen sind es sechs Beiträge:

„Beyond Beyond“ von Esben Tof Jacobsen

In der Generation Kplus ist „Beyond Beyond“ von Esben Tof Jacobsen zu sehen, der 2007 und 2011 mit seinen Animationsfilmen „Having a brother“ und „The Great Bear“ in Berlin war. Sein neuer Film ist ein animiertes 3D-Familienabenteuer, in dem ein kleiner Junge seine Mutter vermisst und seinen Vater vor dem Federkönig verteidigt.

„Emil & Ida i Lönneberga“ von Per Åhlin, Alicja Jaworski Björk und Lasse Persson

Bei „Emil & Ida i Lönneberga“ ( Regie: Per Åhlin, Alicja Jaworski Björk und Lasse Persson) führt Astrid Lindgrens Erzählstimme durch die Animation des hierzulande als Michel bekannten Jungen aus Lönneberga. Rochus vom Kinderfilmblog hat den Film bereits gesehen.

„MGP Missionen” von Martin Miehe-Renard

(c) Karin Tengberg

(c) Karin Tengberg

In „MGP Missionen“ („The Contest“) von dem dänischen Regisseur Martin Miehe-Renard muss Karl mit seiner Mutter nach Kopenhagen ziehen. Die Stadt gefällt ihm nicht, in der Schule ist der Junge vom Land ein Außenseiter. Aber dann findet in Sawsan – einem Mädchen aus einer türkischen Familie – eine Freundin, die ihm das Großstadtleben näherbringt. Und auch sie hat Probleme: Sie träumt davon, an einer Castingshow teilzunehmen. Aber ihr Vater ist dagegen. Ein Trailer des Films ist auf der Seite des dänischen Filminstituts zu sehen.

„Midden in de Winternacht“ von Lourens Blok

„Midden in de Winternacht“ („A Christmoose Story“) erzählt die Geschichte des von Max, in dessen Scheune ein sprechender Elch landet. Und das ausgerechnet kurz vor Weihnachten! Der Film basiert auf Andreas Steinhöfels Roman „Es ist ein Elch entsprungen“.

„Ömheten“ von Sofia Norlin

In der Generation 14plus – also Filme, die für Jugendliche ab 14 Jahren empfohlen sind, ist „Ömheten“ von Sofia Norlin zu sehen. In dem Spielfilmdebüt der schwedischen Regisseurin stehen Jugendliche aus Kiruna im Mittelpunkt, deren Leben von dem Aktivitäten der Minengesellschaft vor Ort bestimmt wird.

„Obietnica“ („The Word“) von Anna Kazejak
Außerdem läuft dort die polnisch-dänische Koproduktion „Obietnica“ („The Word“) von Anna Kazejak, in der sie von der Beziehung zwischen Lia und Janek erzählt. Es kriselt zwischen ihnen, aber Lila will Janek eine letzte Chance geben – unter einer Bedingung …

Und dann laufen noch zwei skandinavische Filme im Rahmen der Retrospektive bzw. des Filmprogramms zu Karl Baumgartner:

„Hævnens Nat“ von Benjamin Christensen
In der Retrospektive läuft zudem „Haevnens Nat“ („Die Nacht der Rache“) des Dänen Benjamin Christensen, dessen für damalige Zeiten innovative Licht- und Schattensetzung den Boden für künftige Horrorfilme bereitete.

„Boheemielämää“ von Aki Kaurismäki
Karl Baumgartner wird in diesem Jahr mit der Berlinale Kameria ausgezeichnet. Aus diesem Anlass wird auch der einzige finnische Film gezeigt: „Boheemielämää“ („Das Leben der Bohème“ von Aki Kaurismäki ist der Auftakt der erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen dem Regisseur und Produzenten – und dieser Film wurde auf der Berlinale 1992 mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet.

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Oscar 2014 – Neun fremdsprachige Filme in der Auswahl

©A.M.P.A.S.

©A.M.P.A.S.

Am 20. Dezember hat die Academy die Shortlist in der Kategorie des besten fremdsprachigen Films bekanntgegeben, die durchaus einige Überraschungen bietet. So sind weder der hoch gehandelte saudi-arabische Beitrag „Das Mädchen Wadjda“ noch der iranische Film „The Past“ und der chilenische „Gloria“ unter den letzten neun Beiträgen vertreten, dafür die Filme aus Palästina und Bosnien-Herzegowina. Auch der deutsche Beitrag ist noch im Rennen, am meisten gefreut habe ich mich aber, dass zwei meiner Lieblingsfilme des Jahres weiterhin Chancen haben: „The Broken Circle Breakdown“ und „La grande bellezza“.

Die Shortlist im Überblick:

Belgien: „The Broken Circle Breakdown“ von Felix van Groeningen
Bosnien-Herzegowina: „An Episode in the Life of an Iron Picker“ von Danis Tanović
Deutschland: „Zwei Leben“ („Two Lives“) von Georg Maas
Dänemark: „Jagdten“ („The Hunt“; dt.: „Die Jagd“) von Thomas Vinterberg
Hongkong: „The Grandmaster“ von Wong Kar-wai
Italien: „La grande bellezza“ („The Great Beauty“) von Paolo Sorrentino
Kambodscha: „The Missing Picture“ von Rithy Panh
Palästina: „Omar“ von Hany Abu-Assad
Ungarn: „The Notebook“ („Das große Heft“) von János Szász

Eine übersicht über alle eingereichten Filme ist hier zu finden.

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Dänisches Kino: „Nach der Hochzeit“ von Susanne Bier

Jacob Peterson (Mads Mikkelsen, „Jagten“) ) leitet ein Waisenhaus in Indien, das kurz vor der Schließung stellt. Aus seiner Heimat Dänemark winkt ihm finanzielle Unterstützung, allerdings verlangt der reiche Jørgen (Rolf Lassgård), dass Jacob selbst nach Dänemark kommt, um den Scheck entgegenzunehmen. Widerwillig reist Jacob nach Kopenhagen, verspricht aber vorher seinem Ziehsohn Pramod (Neeral Mulchandani), dass er rechtzeitig zu seinem Geburtstag wieder zurück ist. In Dänemark erfährt er dann, dass sein Projekt lediglich in der engeren Auswahl für finanzielle Förderung ist und Jørgen mit der Entscheidung noch warten will. Da Jacob alleine in Kopenhagen ist, lädt ihn Jørgen zu der Hochzeit seiner Tochter Anna (Stine Fischer Christensen) ein. Dort begegnet Jacob nicht nur seiner ersten große Liebe Helen (Sidse Babett Knudsen) wieder, die mittlerweile mit Jørgen verheiratet ist, sondern erfährt auch, dass Anna seine Tochter ist.

(c) Universum Film

(c) Universum Film

Wenn in einem dänischen Film auf einem Familienfest ein Geheimnis enthüllt wird, ist der Gedanke an Thomas Vinterbergs „Das Fest“ fast unvermeidlich, deshalb hält man bei jeder Tischrede den Atem an und wartet förmlich auf die Katastrophe. Im Gegensatz zu Vinterbergs Film machen sich aber Susanne Biers Figuren nicht schuldig, sondern treffen Entscheidungen. Sehr deutlich wird es in der Szene, in der Jacob und Helene über das Ende ihrer Beziehung sprechen: Er betrog sie, sie reiste ab und dachte, er reist ihr nach. Doch er blieb und dachte, sie kommt zurück. Beides haben sie nicht getan, deshalb scheiterte ihre Beziehung. Weiterlesen

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Dänisches Kino: „Das Erbe“ von Per Fly

Der plötzliche Tod seines Vaters stellt Christoffer (Ulrich Thomsen, „Das Fest“) vor ein lebensentscheidendes Dilemma: Soll er dem Wunsch seiner Mutter folgen und sein bisheriges, äußerst glückliches Leben in Stockholm zurücklassen, um das familieneigene Stahlunternehmen durch eine Fusion zu retten, obwohl er weiß, welche Belastung es für ihn ist? Oder soll er auf seine Ehefrau Maria (Lisa Werlinder) hören und mit ihr in Stockholm bleiben, obwohl er weiß, dass seine Familie ihm das kaum verzeihen wird? Weiterlesen

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Geiselnahme auf hoher See: „Kapringen“ von Tobias Lindholm

(c) TrustNordisk

(c) TrustNordisk

Anscheinend sind zwei Filme über somalische Piraten den meisten Filmverleiher zu viel, daher startet Paul Greengrass’ „Captain Phillips“ hierzulande in den Kinos, während der eindringliche „Kapringen“ von dem dänischen Regisseur und Drehbuchautor („Jagten“) Tobias Lindholm leider nicht zu sehen ist. Das ist bedauerlich, da Tobias Lindholm eine psychologisch dichte und packende Geschichte über eine Geiselnahme auf hoher See erzählt, die weitaus näher an der Realität sein dürfte – und außerdem die Frage beantwortet, wie die Geschichte von Captain Phillips ausgegangen wäre, wenn er kein US-Amerikaner auf einem us-amerikanischen Schiff gewesen wäre.

Die Geiselnahme

Mikkel und ein somalischer Pirat (c) Magnus Nordenhof Jøhnk/TrustNordisk

Mikkel und ein somalischer Pirat (c) Magnus Nordenhof Jøhnk/TrustNordisk

Kein einziges Mal verlässt die Kamera von Magnus Nordenhof Jønck die zwei Handlungsorte des Films: das gekaperte Schiff und den Sitz der dänischen Reederei. Dadurch fehlen sämtliche Action-Elemente, das Kapern ist nicht zu sehen, auch die Abwehrversuche des Schiffes sind lediglich durch einen Ausdruck des Satellitenbildes zu erkennen. Vielmehr lernt der Zuschauer erst den Schiffskoch Mikkel Hartmann (Pilou Asbæk) durch eine Telefonat mit seiner Frau kennen, das er von der Schiffsbrücke aus führt, dann den CEO Peter C. Ludvigsen (Søren Malling), der im Hauptsitz der Reederei gerade eine Verhandlung für seine Firma erfolgreich zu Ende geführt hat und nun ein Interview gibt. Dann wird er von seinem Mitarbeiter Lars Vestergaard (Dar Salim) unterrichtet, dass ein Schiff vermutlich von Piraten gekapert wurde.

Die Verhandlungen

Peter bei den Verhandlungen (c) Magnus Nordenhof Jøhnk/TrustNordisk

Peter bei den Verhandlungen (c) Magnus Nordenhof Jøhnk/TrustNordisk

In der Folge wechseln die Sequenzen zwischen dem Schiff und der Konzernzentrale, so dass die Dynamik in dieser Beziehung sehr deutlich wird. Während die Piraten anfangs Schiffskoch Mikkel, den Kapitän (Keith Pearson) sowie Maschinisten Jan (Roland Møller) von den vier übrigen Besatzungsmitgliedern separieren, engagiert Peter den Berater Connor Julian (Gary Skjoldmose Porter, der diesen Job auch im wahren Leben macht) und richtet eine Verhandlungszentrale ein. Connors erster Rat ist es, einen Berater für die Verhandlungen zu engagieren, da jegliche Emotionen schädlich sein könnten. Doch der kontrollierte Peter lehnt ab, er will die Verhandlungen selbst führen, ja, er sieht es als seine Aufgabe an. Die Piraten haben hingegen den Verhandlungsführer Omar (Abdihakin Asgar) mit an Bord gebracht, der darauf besteht, nicht als Pirat gesehen zu werden.

Schleppend gehen die Verhandlungen voran, anfangs fordern die Piraten 20 Millionen Dollar, Peter bietet 250.000 Dollar. Geschickt nutzt Omardie zunehmende Verzweiflung der Besatzung sowie Mikkels Familie, um den Druck zu erhöhen. Pete hält diesen Manipulationsversuchen weitgehend stand, obwohl es ihm zusehends schlecht damit geht. Schließlich hätte seine Firma das Geld, das die Geiselnehmer fordern. Es geht lediglich darum, nicht zu schnell einzulenken, um die Forderungen nicht noch weiter in die Höhe zu treiben.

Klaustrophobische Spannung

Tobias Lindholm (c) Lærke Posselt/TrustNordisk

Tobias Lindholm (c) Lærke Posselt/TrustNordisk

Monatelang sitzen Mikkel, der Kapitän und Jan daher in der Kabine fest, während sich Peter immer mehr vor der Umwelt verschanzt. Er isoliert sich, wie die Gefangenen isoliert werden. Doch Zeit – so betont Connor – spielt für die Piraten keine Rolle, während sie im Westen umso wichtiger ist. Dabei macht Tobias Engholm durch die fast schon dokumentarische Bildsprache und Handkamera die klaustrophobische Anspannung während dieser andauernden Verhandlungen deutlich. Daneben zeigt Hauptdarsteller Pilou Asbæk eine beeindruckende Wandlung, die die psychischen Auswirkungen dieser Situation sehr deutlich macht. Er magert ab, sein Blick wird starr und er wird schließlich völlig apathisch. Das ist schmerzhaft mit anzusehen. Auch Peter leidet unter dem Druck, wird unbeherrscht – und mit kleinen Nuancen in Mimik und Gestik lässt Søren Malling erkennen, welche Veränderungen sein Charakter durchlebt.

Wenn dann nach erfolgter Einigung Musik erklingt, wird die Stille, die in diesem Film geherrscht hat, um so lauter. Wenn die Kamera schließlich am Ende des Films die Welt außerhalb des Gebäudes zeigt, wird erst klar, wie sehr man beim Zusehen ebenfalls gefangen war. „Kapringen“ ist ein sehr sehenswerter Film!

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Städteplanung in der Gegenwart – „The Human Scale“

Welchen Einfluss hat die Bauweise einer Stadt auf unser Leben? Mit dieser Frage beschäftigt sich der dänische Filmemacher Andreas M. Dalsgaard in seinem Dokumentarfilm „The Human Scale“ vor allem anhand des Lebenswerks des Städteplaners Jan Gehl.

Jan Gehl (c) NFP

Jan Gehl (c) NFP

Der Film beginnt mit den Vorstellungen einer modernen Stadt: Hohe Büroräume im Zentrum ermöglichen Erwerbstätigkeit, die Menschen wohnen außerhalb in Hochhaussiedlungen. Bei Straßen wird zuallererst an das Fortkommen der Autos gedacht. Jan Gehl hingegen hat den Mensch und seine Bewegungen in den Mittelpunkt seiner Arbeit gestellt und sich auf den Raum zwischen den Gebäuden konzentriert. Er will die Lebensqualität der Menschen verbessern – und hatte in Kopenhagen beispielhaften Erfolg.

„Erst formen wir die Städte, dann formen die Städte uns.“

Madison Square (c) NFP

Madison Square (c) NFP

Jan Gehls Methode ist einfach: Er untersucht, wie sich Menschen im öffentlichen Raum verhalten, wie sie sich bewegen, welche Orte sie aufsuchen und welche sie meiden. Aufgrund dieser Erkenntnisse nimmt er Eingriffe in der Stadtplanung vor – beispielsweise begrenzt er den Verkehr auf zentralen Plätzen, stellt einige Blumenkübel und Bänke auf. In Kopenhagen sind auf diese Weise eine riesige Fußgängerzone und breite Radwege entstanden, auf denen sich die Menschen begegnen können. In New York sorgte ein ähnlicher Eingriff, dass der Madison Square zum beliebten Aufenthaltsort für Einheimische und Touristen wurde. Und in Christchurch, Neuseeland, haben die Bewohner entschieden, dass der Neuaufbau nach dem Erdbeben dem europäischen Modell einer Stadt folgen soll, so dass Gebäude nicht höher als vier Stockwerke sein sollen. Die Formel erscheint denkbar simpel: Mit mehr Raum für Fußgänger und Radfahrer werden Städte wieder für die Menschen da sein und Begegnungen ermöglichen.

Grenzen des Ansatzes

Sportplatz in China (c) NFP

Sportplatz in China (c) NFP

In fünf Teilen, in denen jeweils eine Stadt vorgestellt wird, erzählt „The Human Scale“ von der Arbeit und dem Einfluss Jan Gehls. Dadurch bleiben Auseinandersetzungen seines Ansatzes und andere städtebauliche Modelle leider außen vor. Spätestens bei dem Abschnitt über die chinesische Megastadt Chongqing zeigt sich jedoch, dass der von Gehl entwickelte Weg in Europa und Nordamerika zwar erfolgreich ist, aber nicht einfach auf die Verhältnisse in China oder andere schnell wachsende Regionen übertragen werden kann. Hier entsteht allein schon ein Problem durch die Frage, wo die Menschen leben sollen. Andere Aspekte – wie beispielsweise die Begrenztheit der finanziellen Mittel in Städten wie Dhaka, Bangladesch – werden ebenso weitgehend ausgeblendet.

(c) NFP

(c) NFP

Daher bietet „The Human Scale“ vor allem interessante Einblicke in die Arbeit Jan Gehls und Anreize, sich mit diesem Thema weiter zu beschäftigen. Denn fraglos werden die größten Herausforderungen der kommenden Jahre die weiterhin andauernde Verstädterung und das Wachstum der Weltbevölkerung sein – und diesen gilt es zu begegnen.

„The Human Scale“ startet am 31. Oktober 2013 in den Kinos.

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