Krimi-Kritik: „Accra“ von Kwei Quartey

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„Sodom und Gomorra“ wird der übelste Slum von Accra, der Hauptstadt Ghanas, genannt. Inmitten der giftigen Dämpfe der Mülldeponie, Armut und Gewalt kämpfen die Menschen in Agbogbloshie jeden Tag ums Überleben, darunter nach Schätzungen bis zu 50 000 Kinder, die auf der Straße leben. Viele sind aus dem Norden des Landes gekommen und hofften auf ein besseres Leben. Nun verdingen sie sich als Kofferträger, schleppen Waren, putzen Schuhe oder prostituieren sich. An einem Sonntagmorgen im Juni wird Detective Inspector Darko Dawson nach Agbogbloshie gerufen: Ein Junge hat eine Leiche entdeckt. Bei dem Toten handelt es sich um den 16-jährigen Straßenjungen Musa, der von seinem Mörder verstümmelt und in Korle-Lagune, in der Nähe der Mülldeponie, abgelegt wurde. Weitere Tote folgen – und Inspector Dawson sucht fieberhaft nach einem Serienmörder, der seine Opfer verstümmelt an möglichst dreckigen Orten ablegt.

Serienmord und Gesellschaftsbild
Getreu vieler afrikanischer Kriminalromane vermutet Inspector Dawson anfangs einen Zusammenhang mit Opferritualen. Aber so leicht macht es der Schriftsteller Kwei Quartey seinen Lesern nicht. Sein Kriminalroman „Accra“ ist nicht einfach ein Serienkillerthriller vor afrikanischer Kulisse, sondern er zeichnet ein Bild von der ghanaischen Gesellschaft, das mit der Jagd nach einem Serienmörder durchzogen ist. Daher persifliert er sogar die Annahme, dass Morde in Afrika stets im Zusammenhang mit Voodoo-Ritualen stehen und lässt einen exzentrischen und wohlhabenden Professor als Berater auftreten, der sein Geld im Ausland mit Vorträgen über eben dieses Thema verdient. Diese Beobachtungen fügen sich gut in den sorgfältig ausgearbeiteten Kriminalfall, in dem es ausreichend Verdächtige und Hinweise auf den wahren Täter gibt.

Kwei Quartey

Kwei Quartey erzählt eindringlich von dem Alltag seiner Personen. Die Überlebensversuche der Straßenkinder, die sich oft in Gruppen zusammenschließen und sich beim Schlafen gegenseitig bewachen, und ihre harte Realität schildert er ohne falsches Pathos aber mit spürbarer Entrüstung. Seine Hauptfigur Darko Dawson – bekannt aus dem Vorgängerroman „Trokosi“ – lebt zwar in der Mittelschicht, aber auch in seinem Leben gibt es nur wenig Sicherheit. Er wird als Polizist nicht gut bezahlt, oft fehlt ihm Geld und bei seiner Arbeit sind häufig notwendiges Material oder einfachen Möglichkeiten wie einen ruhigen Verhörraum nicht vorhanden. Vor allem aber leidet er darunter, dass er die notwendige Herzoperation seines Kindes nicht bezahlen kann. Diese Hilflosigkeit sucht Darko Dawson mitunter ein und er muss dagegen ankämpfen, abermals mithilfe des „wee“ – Marihuanas – dem Alltag zu entfliehen.

Ein guter Kriminalroman über Ghana
Diese privaten Geschichten seiner Hauptfigur sind mitunter etwas zu viel, auch ist das Ende des Kriminalromans alllzu märchenhaft. Insgesamt ist „Accra“ aber solide erzählt und ein sehr gelungenes Beispiel dafür, wie mit einem Kriminalroman ein Land und seine Gesellschaft dargestellt werden kann.

Kwei Quartey: Accra. Lübbe 2012. Übersetzt von Sabine Schilasky.

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